Methodenbewertung

Autorenbeitrag von Dr. Nick Bertram und Friederike Kuhnt

Neue Legislatur, neues Glück?

Warum die §§ 137h und 137e SGB V endlich reformiert werden müssen

März 2025

Im Oktober 2024 wurde vom Plenum des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) eine Richtlinie zur Erprobung der neuen Behandlungsmethode „Endoskopische Injektions-Implantation von 32P-markierten Mikropartikeln bei irresektablen, lokal fortgeschrittenen Pankreastumoren“ erlassen. Anhand dieses aktuellen Beispiels einer Krankenhausmethode mit sehr überschaubarer Evidenzgrundlage, bei der jedoch ein Hochrisikomedizinprodukt zum Einsatz kommt, wird in diesem Beitrag dargelegt, warum in der neuen Legislaturperiode endlich an einer ernsthaften Reform der §§ 137h und 137e SGB V gearbeitet werden muss. Die Sicherheit von Patientinnen und Patienten sind dabei ebenso in den Fokus zu nehmen wie Nutzen- und Wirtschaftlichkeitsaspekte: Von dem aktuell vorherrschenden gesundheitspolitischen Mantra „Forschung ist Versorgung“ sollte sich endgültig verabschiedet werden. Deshalb lauten die Reformvorschläge des GKV‑Spitzenverbandes:

  • Der Nachweis des Nutzens einer neuen Methode hat durch die herstellenden Unternehmen der maßgeblichen Medizinprodukte zu erfolgen. Das ist nicht Aufgabe der Solidargemeinschaft.
  • Der G-BA unterstützt die herstellenden Unternehmen bei der Evidenzgenerierung durch die Festlegung von Eckpunkten einer Studie, die den Anforderungen an einen Nutzennachweis genügen könnte. Nur bei besonders versorgungsrelevanten Methoden sollte dem G-BA die Möglichkeit eingeräumt werden, eine Erprobung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung auch selbst durchzuführen.
  • Grundsätzlich dürfen auch im Krankenhaus nur Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, deren Nutzen nachgewiesen ist. Von diesem Grundsatz darf nur unter eng definierten Rahmenbedingungen abgewichen werden: Um einen frühen Innovationszugang zu ermöglichen, können vielversprechende Methoden ohne Nutzennachweis unter kontrollierten Studienbedingungen in Innovationszentren/Level-III-Kliniken angeboten und vergütet werden. Außerhalb von kontrollierten Studien sollte keine Finanzierung solcher Leistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung erfolgen.

Inhalt

Einleitung

Bedingt durch Skandale um fehlerhafte Medizinprodukte Anfang der 2010er-Jahre, von denen diejenigen um defekte Brustimplantate durch die mediale Aufbereitung wohl zu den bekanntesten zählen1, wurde das Medizinprodukterecht auf europäischer Ebene verschärft. Auch die deutsche Gesetzgebung sah sich zum Handeln gezwungen und führte im Zuge des GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) im Jahr 2015 den § 137h neu in das fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ein und verankerte damit erstmals die Nutzenbewertung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, bei denen Hochrisikomedizinprodukte in der Krankenhausbehandlung zum Einsatz kommen.2

Seit Geltungsbeginn von § 137h SGB V fanden nur wenige Bewertungsverfahren für Hochrisikomedizinprodukte statt3 und der Gesetzgeber sah rasch Reformbedarf. Bereits im Jahr 2019 wurden die Paragraphen mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) angepasst.4 Auch nach dieser Neufassung blieb die Zahl der Bewertungsverfahren überschaubar: 2020, im Jahr nach der Reform, wurden im Rahmen der Informationsübermittlung acht Methoden, bei denen Hochrisikomedizinprodukte zum Einsatz kommen, an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) übermittelt.5 2021 waren es sieben.6 In den Jahren darauf wurden lediglich noch zwei7, 8 (2022) bzw. drei9-11 (2023) Methoden dem Bewertungsregime nach § 137h SGB V zugeführt.

Eine Hochrisikomethode aus dem Jahr 2021 ist die „Endoskopische Injektions-Implantation von 32P-markierten Mikropartikeln bei irresektablen, lokal fortgeschrittenen Pankreastumoren“ – nachfolgend der Einfachheit halber lediglich als „Mikropartikel“ bezeichnet.12 Für diese stellte der G-BA am 3. Februar 2022 fest, dass sie die Voraussetzungen für ein Bewertungsverfahren gemäß § 137h SGB V erfüllt. Dieses Bewertungsverfahren schloss der G-BA am 18. März 2022 mit dem Ergebnis ab, dass für die Mikropartikel weder der Nutzen noch die Schädlichkeit oder die Unwirksamkeit als belegt anzusehen sind. Eine Prüfung, ob die Methode überhaupt ein sogenanntes Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative aufweist, fand – wie vom Gesetzgeber mit den Änderungen im TSVG beabsichtigt – nicht statt. Gleichzeitig mit diesem Beschluss leitete der G-BA ein Beratungsverfahren über eine Richtlinie zur Erprobung gemäß § 137e SGB V ein.13

Obwohl es im Wortlaut von § 137h SGV heißt, dass der G-BA „innerhalb von sechs Monaten nach dem Beschluss […] über eine Richtlinie zur Erprobung“ zu entscheiden hat, konnte besagter Beschluss im Plenum des G-BA erst am 17. Oktober 2024 gefasst werden.12 Diese Beratungen beschäftigten den G-BA ebenso wie die mehrfach zur Stellungnahme aufgeforderten Expertinnen und Experten also über 30 Monate.

Nachfolgend soll zunächst kurz zum medizinischen Hintergrund des lokal fortgeschrittenen Pankreaskarzinoms sowie zum theoretisch-wissenschaftlichen Konzept, das hinter der Methode der Mikropartikel steht, ausgeführt und die Erprobungsrichtlinie zu den Mikropartikeln vorgestellt werden. Die Herausforderungen, die mit einer adäquaten Umsetzung einer Erprobungsstudie antizipierbar sind, werden Gründe dafür liefern, warum der Gesetzgeber endlich die Regelungen nach § 137h SGB V in Zusammenspiel mit § 137e SGB V derart reformieren muss, dass sowohl dem Patientinnen- und Patientenschutz gedient wird als auch finanzielle Schäden von der Solidargemeinschaft ferngehalten werden können.

Medizinischer Hintergrund Pankreaskarzinom

In Deutschland erkranken jährlich über 20.000 Personen neu an einem Pankreaskarzinom (Bauchspeicheldrüsenkrebs), wobei über 95 % aller Pankreaskarzinome (duktale) Adenokarzinome sind, also von der Deckzellschicht des Drüsengewebes ausgehende, maligne Tumore. Frauen und Männer sind von dieser Krebsart in etwa gleichen Teilen betroffen. Zu den Risikofaktoren des Pankreaskarzinoms zählen neben Adipositas (Übergewicht) und Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder chronischer Pankreatitis (Entzündung der Bauchspeicheldrüse) insbesondere auch schädliche Verhaltensweisen wie Tabak- oder Alkoholmissbrauch. Bauchspeicheldrüsenkrebs stellt einen Tumor des höheren Alters dar: Während für Männer das mittlere Erkrankungsalter bei etwa 72 Jahren liegt, erkranken Frauen mit circa 76 Jahren. Die Prognose von Personen mit Pankreaskarzinomen ist sehr schlecht. Ursache dafür ist insbesondere eine erst sehr späte Diagnosestellung, da es bisher keine wirksamen Früherkennungsmaßnahmen gibt. Dadurch ist in den meisten Fällen keine kurative Behandlung mehr möglich. Wegen der oft sehr frühen und aggressiven Metastasierung besteht oft allenfalls noch die Möglichkeit der Anwendung palliativer Behandlungskonzepte. Bei beiden Geschlechtern stellt Bauchspeicheldrüsenkrebs die vierthäufigste Krebstodesursache dar: Bei Männern stehen etwa 7,5 % aller Krebstodesfälle im Zusammenhang mit dem Pankreaskarzinom und bei Frauen sind es sogar circa 9,0 %.14

Die Therapieempfehlungen in der Behandlung von Pankreaskarzinomen, wie sie in hochwertigen Leitlinien14 gegeben werden, orientieren sich weniger an den „klassischen“ TNM-Kriterien (T = Primärtumor; N = Lymphknotenstatus; M = Fernmetastasen) oder der Stadieneinteilung nach dem American Joint Committee on Cancer15, sondern an einer Einteilung des Krebses in drei Kategorien, die der nachfolgenden Tabelle entnommen werden können.

Tabelle 1 Klassifizierung und stark vereinfachte Darstellung der Therapiemodalitäten des Pankreaskarzinoms

Quellen: 14 und 16

  lokal begrenzt, resektabel lokal fortgeschritten,
nicht resektabel, nicht metastasiert
metastasiert
Anteil zum
Zeitpunkt der Erstdiagnose
15 bis 20 % 15 bis 20 % 60 bis 70 %
Therapie Operation (Resektion) Chemotherapie Chemotherapie/
Best Supportive
Care
ggf. Folgetherapie (adjuvante)
Chemotherapie
Operation
(Resektion)

Weil die nachfolgend besprochene Behandlungsmethode der Mikropartikel gegenwärtig gemäß ihrer Zweckbestimmung17 nur bei Patientinnen und Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen, nicht resektablen und nicht metastasierten Pankreaskarzinom zum Einsatz kommen darf, wird der gegenwärtige, leitliniengerechte Therapiestandard in Deutschland nachfolgend nur für diese Gruppe von Patientinnen und Patienten beschrieben.14, 16 Patientinnen und Patienten in gutem Allgemeinzustand – in der Regel wird hier der sogenannte ECOG (Eastern Cooperative Oncology Group) Performance Status18 erhoben, der 0 bis 2 betragen sollte – wird in der Regel eine palliative Chemotherapie angeboten. Ziel ist die Verbesserung der Überlebenszeit oder der Lebensqualität. Manchmal kann diese Therapie auch mit der Hoffnung verbunden sein, den Tumor in einen resektablen, d. h. operationsfähigen, Zustand zu überführen. In der Erstlinienchemotherapie werden bei Patientinnen und Patienten mit ECOG-Status 0 und 1 meist Kombinationschemotherapien empfohlen, wie das sogenannte (modifizierte) FOLFIRINOX-Schema, eine Kombination aus den vier Wirkstoffen Folinsäure (FOL), 5-Fluorouracil (F), Irinotecan (IRIN) und Oxaliplatin (OX), oder – seltener - eine Kombination aus den Wirkstoffen Gemcitabin und nab-Paclitaxel (nanoparticle albumin–bound bzw. Nanopartikel-Albumin-gebundenes Paclitaxel). Bei Betroffenen mit reduziertem Allgemeinzustand (ECOG-Status größer als oder gleich 2) erfolgt meist nur eine Monotherapie mit Gemcitabin. Selbstverständlich kann bei sehr schlechtem Allgemeinzustand auch nur noch eine Supportivtherapie (Best Supportive Care) erfolgen. Eine Radio- bzw. Radiochemotherapie kann denjenigen Patientinnen und Patienten mit ECOG-Status bis 2, die während der Chemotherapie keine Progression (Tumorwachstum) hatten, angeboten werden, um gegebenenfalls eine Verkleinerung des Tumors zu erreichen oder wenigstens eine unveränderte Größe.14

Da ein Langzeitüberleben mit der Diagnose Pankreaskrebs auch im lokal fortgeschritten, nicht resektablen und nicht metastasierten Stadium aktuell eine absolute Ausnahme darstellt, sind innovative Behandlungskonzepte und neue Therapiemöglichkeiten dringend erforderlich. An dieser Stelle nun schicken sich die Mikropartikel an, einen Beitrag leisten zu wollen.

Methodenbeschreibung der 32P-Mikropartikel

Bei der Krankenhausmethode der Mikropartikel kommt das sogenannte OncoSil™-System des australischen Unternehmens OncoSil Medical Ltd. zum Einsatz. Es stellt ein aktives implantierbares Hochrisikomedizinprodukt dar. Die Methode darf aktuell gemäß Gebrauchsanweisung nur bei Patientinnen und Patienten mit irresektablem, lokal fortgeschrittenem Bauchspeicheldrüsenkrebs eingesetzt werden. Das primäre Behandlungsziel ist eine Verkleinerung des Tumors, um so vielleicht doch noch seine operative Entfernung zu ermöglichen. Gelingt dies nicht, werden als weitere Ziele der Behandlung die lokale Tumorkontrolle, eine verbesserte Schmerzkontrolle oder eine weniger ausgeprägte Verschlechterung der Lebensqualität postuliert. Die Behandlung mit den Mikropartikeln erfolgt in Ergänzung zu einer Erstlinienchemotherapie – in der Regel innerhalb von vier Wochen nach dem Beginn der Chemotherapie.13 Gemäß der Zweckbestimmung des Medizinproduktes – eine aktuelle Gebrauchsanweisung17 stellt das Unternehmen auf seiner Homepage bereit – handelt es sich bei dieser Erstlinienchemotherapie ausschließlich um Chemotherapien auf Gemcitabinbasis.

Bei den Mikropartikeln handelt es sich um winzig kleine Kugeln, die mit dem Radioisotop Phosphor-32 (32P) beladen sind. 32P ist ein reiner Betastrahler mit einer Halbwertszeit von 14,27 Tagen. Innerhalb von 81 Tagen werden etwa 98 % der Strahlung abgegeben. Die Reichweite der Strahlung liegt im Pankreasgewebe in einem Bereich zwischen 2,76 und 8,2 mm.13

Eine Ärztin und ein Arzt behandeln einen älteren Patienten mittels Ultraschall

Die eigentliche Implantation der Mikropartikel in das Tumorgewebe erfolgt im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes. Die Patientin oder der Patient werden unter Sedierung und lokaler Anästhesie des Rachenraums einem minimal-invasiven endoskopischen Eingriff unterzogen. Das Tumorgewebe, in das die Mikropartikel injiziert werden sollen, wird dafür endosonographisch, also per Ultraschall, dargestellt. Ebenfalls unter Ultraschallkontrolle wird dann entweder transgastral (durch den Magen) oder transduodenal (durch den Zwölffingerdarm) eine Punktionsnadel in den Tumor eingeführt, über die eine vorher genau berechnete Menge an Mikropartikeln abgegeben wird. Es wird empfohlen, im Anschluss an die Implantation und vor der Entlassung aus der Klinik eine Bildgebung (sogenannte Bremsstrahlung SPECT (Single-Photon- bzw. Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie) / CT (Computertomografie)) durchzuführen, um die korrekte Lage der Mikropartikel zu kontrollieren.13

Das Wirkprinzip dieser Art von Strahlen- oder auch Brachytherapie besteht darin, dass die von den Mikropartikeln abgegebene Betastrahlung direkt Schäden am Erbgut der bestrahlten Tumorzellen erzeugt. Dies führt zum einen dazu, dass Zellteilungen verhindert werden, die in Tumorzellen schneller stattfinden als in gesunden Zellen. Zum anderen werden Zellen auch direkt zum Absterben gebracht. Da gesunde Zellen im Gegensatz zu Krebszellen ausgeprägte Reparaturmechanismen besitzen, können diese besser als die Tumorzellen regenerieren und die durch die Bestrahlung entstandenen Schäden der Erbinformation beseitigen.19

Da die Mikropartikel auch nach der Abgabe aller Strahlung permanent im Körper verbleiben, sind sie ein dauerhaftes Implantat.17

Die Methode wird von einschlägigen deutschen Leitlinien gegenwärtig weder adressiert noch empfohlen.14, 16

Die Beratungen im G-BA zum Hochrisikomedizinprodukt Mikropartikel

Nach der erfolgten Informationsübermittlung durch ein deutsches Krankenhaus im Einvernehmen mit dem Unternehmen OncoSil Medical Ltd. stellte der G-BA am 3. Februar 2022 fest, dass die Methode der Mikropartikel die Voraussetzungen für ein Bewertungsverfahren gemäß § 137h SGB V erfüllt. Für das sich anschließende Bewertungsverfahren konnte das Gremium von den vielen übermittelten Informationen lediglich die vier Fallserien DB2-202 (4 Patientinnen und Patienten mit irresektablem, lokal fortgeschrittenem Pankreastumor)20, OncoPaC-1 (9 Patientinnen und Patienten)21, PanCO (42 Patientinnen und Patienten)22 und 4PanCO+8 (12 Patientinnen und Patienten)23 heranziehen, die als nicht-vergleichende Studien nur der Evidenzstufe IV gemäß Verfahrensordnung des G-BA entsprechen und bei denen es sich ausschließlich um Pilotstudien handelte. Die Ergebnissicherheit zu den in den Studien berichteten patientenrelevanten Endpunkten wie Gesamtüberleben und Schmerz oder zu (schwerwiegenden) unerwünschten Ereignissen, die durch die Behandlung auftraten (Treatment Emergent Adverse Events), schätzte der G-BA als minimal ein.

Da für die Bewertung also keine Ergebnisse aus Studien der Evidenzstufe I vorlagen – laut G-BA gibt es keine erkennbaren Gründe, die ein Abweichen von dieser Evidenzstufe bezüglich der heranzuziehenden Unterlagen für eine Nutzenbewertung der Mikropartikel erforderlich machen würden –, konnte das Gremium dieses Bewertungsverfahren am 18. März 2022 nur folgerichtig mit dem Ergebnis abschließen, dass für die Mikropartikel weder der Nutzen noch die Schädlichkeit oder die Unwirksamkeit als belegt anzusehen sind, und Beratungen über eine Erprobungsrichtlinie einleiten.13

Diese Beratungen zogen sich über zweieinhalb Jahre hin. Die Überschreitung der gesetzlich vorgegebenen Frist von sechs Monaten illustriert die Herausforderungen und Schwierigkeiten, vor denen der G-BA stand, hier ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen.

Der am 17. Oktober 2024 vom Plenum des G-BA gefasste Beschluss über eine Richtlinie zur Erprobung der Mikropartikel sieht in § 2 die Beantwortung der folgenden Studienhypothese vor: „Die Erprobung soll der Beantwortung der Frage dienen, ob bei Patientinnen und Patienten mit nicht metastasiertem, irresektablem, lokal fortgeschrittenem Pankreastumor die einmalige endoskopisch-intratumorale Injektions-Implantation von 32P-markierten Mikropartikeln zusätzlich zur leitliniengerechten Erstlinienchemotherapie im Vergleich zu einer alleinigen leitliniengerechten Erstlinienchemotherapie hinsichtlich des Therapieversagens überlegen ist.“12 Das PICOS-Schema (Population, Intervention, Comparison (Vergleichsintervention), Outcome (Zielgröße), Studientyp), ein international anerkanntes Hilfsschema in der evidenzbasierten Medizin zur Formulierung einer Forschungsfrage, kann der nachfolgenden Tabelle 2 entnommen werden.

Tabelle 2 PICOS-Schema der Erprobungsrichtlinie zu den Mikropartikeln

Quelle: 12

P Patientinnen und Patienten mit nicht metastasiertem, irresektablem, lokal fortgeschrittenem Pankreastumor mit einer Indikation zu einer Erstlinienchemotherapie, die gleichermaßen für die Intervention als auch Kontrollintervention geeignet sein müssen
I Einmalige endoskopisch-intratumorale Injektions-Implantation von 32P-markierten Mikropartikeln zusätzlich zu einer Erstlinienchemotherapie, die als Therapiestandard dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, wobei mindestens der Chemotherapie-Zyklus, der im Rahmen der Mikropartikelimplantation zum Einsatz kommt, von der Zweckbestimmung des Medizinproduktes umfasst und zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringbar ist
C Alleinige, dem Therapiestandard entsprechende Erstlinienchemotherapie, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringbar ist, ggf. gefolgt von einer (Chemo)-Radiotherapie
O a) primärer Endpunkt:
Therapieversagen als kombinierter Endpunkt aus den Teilkomponenten
  • Nichterreichen einer R0-Resektion oder
  • Auftreten eines Rezidivs nach zuvor erreichter R0-Resektion oder
  • Tod
b) sekundäre Endpunkte:
  • Morbidität (z. B. Schmerzen)
  • Gesamtüberleben
  • gesundheitsbezogene Lebensqualität
    (schwerwiegende) unerwünschte Ereignisse
S Randomisiert, kontrollierte Studie (Randomized Controlled Trial; RCT)

Auf die Verabschiedung der – inhaltlich eher vage beschriebenen – Erprobungsrichtlinie reagierte das Unternehmen OncoSil Medical Ltd. unmittelbar medienwirksam, dass es sich „freue, einen bedeutenden Meilenstein bekannt zu geben: […] Die Genehmigung einer vollständig erstattungsfähigen klinischen Studie durch den G-BA.“24

Bewertung der vom G-BA erlassenen Erprobungsrichtlinie

Da der Gesetzgeber mit den Änderungen im TSVG dem G-BA untersagte, eine Prüfung vorzunehmen, ob eine neue Methode unter Verwendung eines Hochrisikomedizinproduktes – im vorliegenden Fall der Mikropartikel – überhaupt ein sogenanntes Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative besitzt, kann an dieser Stelle nur spekuliert werden, ob die Methode diese Prüfung bestanden hätte: Das Fehlen vergleichender Daten sowie die vorliegende Evidenz, deren Ergebnissicherheit nur als minimal eingeschätzt werden kann und lediglich auf Anwendungsbeobachtungen bei nicht einmal 70 Patientinnen und Patienten beruht, lassen aus Sicht des Autors und der Co-Autorin doch erhebliche Zweifel daran aufkommen.

In dieser Gemengelage sah sich der G-BA nun gezwungen, eine Erprobungsrichtlinie zu erarbeiten und zu erlassen, wie sie zuvor beschrieben wurde. Dass das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in seiner Funktion als Rechtsaufsicht über den G-BA nach der Fristverletzung – die Richtlinie zur Erprobung der Mikropartikel hätte spätestens sechs Monate nach Vorliegen des Bewertungsergebnisses, dass diese Methode weder nützlich, schädlich oder unwirksam ist, verabschiedet werden müssen – nicht in den Prozess eingegriffen hat, kann als Indiz dafür gewertet werden, dass dem Gesetzgeber durchaus bewusst ist, wie schwierig die Aufgabe für den G-BA ist, in diesen Fällen sachrichtige und zielgenaue Entscheidungen zu treffen.

Die Erprobungsrichtlinie kann in ihrer verhältnismäßig allgemein gehaltenen Form nur als folgerichtig bezeichnet werden, da sie letztlich den gesetzlichen Auftrag erfüllt. Gleichzeitig wird sie jedoch auch die von verschiedenen Seiten an sie gestellten Erwartungen enttäuschen. Diese Enttäuschung liegt insbesondere darin begründet, dass aktuelle leitliniengerechte Chemotherapieempfehlungen14, 16 beim lokal fortgeschrittenen, nicht resektablen, nicht metastasierten Pankreaskarzinom teils in fundamentalem Widerspruch stehen zur Zweckbestimmung17 des Hochrisikomedizinproduktes OncoSil™. Dies wurde auch durch das Einschätzungsverfahren, eine Sachverständigenanhörung sowie das Stellungnahmeverfahren des G-BA zur Erprobungsrichtlinie unterstrichen.12 Das Medizinprodukt ist gegenwärtig lediglich in Kombination mit einer gemcitabinbasierten Chemotherapie zugelassen und darf somit auch nur so zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden. Die dahinterliegenden Chemotherapieregimes, nämlich eine Kombination aus Gemcitabin und nab-Paclitaxel sowie die Monotherapie mit Gemcitabin, werden gegenwärtig nur Patientinnen und Patienten empfohlen, deren Allgemeinzustand reduziert ist (oder die den Therapiestandard FOLFIRINOX bei gutem Allgemeinzustand ablehnen). Laut Expertenmeinung sei jedoch lediglich die Population Adressatin der neuen Hochrisikomethode, die einen so guten Allgemeinzustand aufweist, dass eine hohe Chance besteht, dass neben der Chemotherapie eben auch die interne Bestrahlung gut toleriert werden kann. Es zeigt sich, dass der Hersteller des Hochrisikomedizinproduktes derzeit schlicht seiner Aufgabe noch nicht nachgekommen ist, die Zweckbestimmung an die aktuellen Therapierealitäten anzupassen. Gegenwärtig läuft zwar die Studie TRIPP-FFX25, die mit dem Ziel einer Erweiterung der Zweckbestimmung auf das FOLFIRINOX-Schema verbunden ist. Einen Zeithorizont, wann das Medizinprodukt tatsächlich dem aktuellen Versorgungsstand in Deutschland entsprechend angewendet werden könnte, lässt sich daraus jedoch nicht unmittelbar ableiten. So sollte die Studie laut Studienregistereintrag25 zwar im September 2024 beendet sein, zum Stand November 2024 war sie jedoch weiterhin als rekrutierend im Studienregister hinterlegt. Es handelt sich dabei um eine sogenannte Phase II-Studie, also eine Studie zur Bewertung, ob das Hochrisikomedizinprodukt überhaupt wirksam und sicher ist sowie zur Dosisfindung. Die Studienergebnisse werden dann auch überhaupt erst zeigen, ob die Hochrisikomethode Mikropartikel die beschriebenen, verhältnismäßig guten Effekte der FOLFIRINOX-Therapie noch steigern kann, d. h. ob diese in der Kombination überhaupt wirkt. Aktuell gibt es nur Hinweise darauf, dass gemcitabinbasierte Chemotherapien durch Strahlung verstärkt werden.14

Diesem Dilemma begegnete der G-BA mit der bereits dargelegten Formulierung in seiner Erprobungsrichtlinie, dass die „Prüfintervention […] zusätzlich zur Erstlinienchemotherapie entsprechend dem nach dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse geltenden Therapiestandard“ zu erfolgen hat und diese mindestens „im Rahmen der Injektions-Implantation von 32P-markierten Mikropartikeln […] von der Zweckbestimmung des Medizinproduktes umfasst“12 sein muss. Aus dieser Textierung lassen sich nun mindestens drei verschiedene Szenarien herauslesen, mit denen die unabhängige wissenschaftliche Institution (uwI), die sich um die Ausgestaltung und eigentliche Durchführung der Erprobungsstudie zu kümmern hat, konfrontiert sein könnte:

  • Das Unternehmen OncoSil Medical Ltd. hat bis zur eigentlichen Studiendurchführung erreicht, dass sein Hochrisikomedizinprodukt zusammen mit dem aktuell gängigen Therapiestandard FOLFIRINOX eingesetzt werden darf.
  • Die Studie wird analog zur gegenwärtigen Zweckbestimmung mit der Kombinationschemotherapie Gemcitabin und nab-Paclitaxel und/oder Gemcitabinmonotherapie durchgeführt.
  • Die uwI nimmt die G-BA-Formulierung wörtlich und unterbricht die leitliniengerechte Chemotherapie mit FOLFIRINOX, um während der Implantation der Mikropartikel auf eine gemcitabinbasierte umzuschwenken.

In allen drei Szenarien sind bei der konkreten Studienplanung und -durchführung weitere Herausforderungen zu erwarten. Der G-BA hat in den beiden Sätzen in Absatz 3 § 4 seiner Erprobungsrichtlinie festgelegt, dass die als „Therapiestandard […] in Prüf- und Vergleichsintervention gewählte Erstlinienchemotherapie […] zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringbar sein“ muss und nur „den Einsatz von Arzneimitteln außerhalb ihres zugelassenen Anwendungsgebiets ein[schließt], sofern deren Bestimmung als zweckmäßige Vergleichstherapie in entsprechender Anwendung des § 6 Absatz 2 AM-NutzenV [Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung] zulässig ist“12 (Entscheidend für den vorliegenden Fall erscheint insbesondere § 6 Absatz 2 Spiegelstrich 2 AM-NutzenV).

Gemäß einer Fachinformation ist Gemcitabin als Monotherapie „zur Behandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem […] Adenokarzinom des Pankreas“ zugelassen und „in Kombination mit Paclitaxel für die Behandlung von Patientinnen mit nicht operablem, lokal rezidiviertem oder metastasiertem Brustkrebs […]“26, nicht jedoch zur Behandlung lokal fortgeschrittener, nicht resektabler, nicht metastasierter Pankreaskarzinome. Auch ist nab-Paclitaxel gemäß einer Fachinformation aktuell nur „in Kombination mit Gemcitabin indiziert für die Erstlinienbehandlung von erwachsenen Patienten mit metastasiertem Adenokarzinom des Pankreas.“27 Entsprechend seines Charakters als Kombinationstherapie aus vier Wirkstoffen ist auch das FOLFIRINOX-Schema nicht zur Behandlung von lokal fortgeschrittenen, nicht resektablen, nicht metastasierten Pankreaskarzinomen zugelassen. Daraus lässt sich ableiten, dass lediglich eine Therapie mit Gemcitabinmonotherapie im Indikationsgebiet als „in-label“ angesehen werden kann und es sich bei der Gabe von Gemcitabin in Kombination mit nab-Paclitaxel oder von FOLFIRINOX um „Off-Label-Anwendungen bzw. -Use“ handelt, also um einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln außerhalb der von Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete. Ärztinnen und Ärzten ist eine „Off-Label-Anwendung“ von Arzneimitteln zwar grundsätzlich erlaubt, ihrer Erstattungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sind jedoch enge Grenzen gesetzt.28 So kann gemäß eines Urteils des Bundessozialgerichts vom 19. März 2002 (AZ.: B 1 KR 37/00 R) ein „Off-Label-Use“ eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sein, wenn damit eine schwerwiegende, lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung behandelt werden kann, für die keine andere Therapieoption (mehr) verfügbar ist und bei der aufgrund der Datenlage ein begründeter Verdacht besteht, dass ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.

In diesen engen, vom Bundessozialgericht gezogenen „Off-Label-Use-Kriterien“ bewegt sich gegenwärtig die Leistungsvergütung von Patientinnen und Patienten mit nicht metastasierten, irresektablen, lokal fortgeschrittenen Pankreastumoren, die mit Gemcitabin in Kombination mit nab-Paclitaxel oder mit FOLFIRINOX behandelt werden: In Einzelfallprüfungen ist zu entscheiden, ob für die Behandlung dieser unbestreitbar schwerwiegenden, lebensbedrohlichen Erkrankung keine andere Therapie verfügbar ist, was in den allermeisten Fällen bejaht werden dürfte und entsprechend eine Vergütung seitens der gesetzlichen Krankenversicherung auslöst. Um nun wieder den Bogen zu den Mikropartikeln zu spannen, könnte das bedeuten, dass im Rahmen der Erprobungsstudie alle zu rekrutierenden Patientinnen und Patienten, die eine Chemotherapie erhalten, die nicht eine Gemcitabinmonotherapie ist, „Einzelfälle“ im Sinne der Bundessozialgerichtssprechung wären – laut dem Kapitel „Schätzung der Studienkosten […]“ in den Tragenden Gründen zum Beschluss über die Erprobungsrichtlinie rechnet der G-BA hier mit bis zu 250 „Einzelfällen“.12 Das klingt zwar reichlich absurd, ist aber letztlich die aktuelle gesetzliche Vorgabe mit Pflicht zur Erprobung seitens des G-BA.

Hinzu kommt, wie bereits erwähnt, dass das Hochrisikomedizinprodukt nicht für die Anwendung im Rahmen einer FOLFIRINOX-Behandlung zugelassen ist. Würde es zusammen mit diesem Chemotherapieregime angewendet, fände quasi ein „doppelter Off-Label-Use“ statt. Dies ist jedoch nicht möglich, da auch während einer Erprobungsstudie Medizinprodukte nur im Rahmen ihrer Zweckbestimmung zum Einsatz kommen dürfen. Diese Hürde erklärt letztlich die Formulierung des G-BA, dass die Erstlinienchemotherapie nur „im Rahmen der Injektions-Implantation von 32P-markierten Mikropartikeln […] von der Zweckbestimmung des Medizinproduktes umfasst“ sein muss: Im hypothetischen Fall ergäbe sich hier die Möglichkeit, eine FOLFIRINOX-Behandlung zu beginnen, diese zu unterbrechen für die Gabe eines Zyklus Gemcitabin, in dessen Rahmen die Mikropartikel eingesetzt werden, um im Anschluss das FOLFIRINOX-Programm fortzuführen. Die Frage, wie eine Ethikkommission auf ein derartig unorthodoxes Vorgehen in einer klinischen Studie reagieren würde, bei dem letztlich Patientinnen und Patienten in der Interventionsgruppe nur zur Schaffung der Anwendungsmöglichkeit eines Medizinproduktes mit fraglichem Nutzen die leitlinienempfohlene Chemotherapie, von der positive Effekte bekannt sind14, für einen Zyklus vorenthalten wird, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden.

Wie dargelegt, musste der G-BA einiges an Verrenkungen unternehmen, um für die Mikropartikel eine adäquate, wie vom Gesetz vorgesehene Erprobungsrichtlinie zu erstellen, die an vielen Stellen so offen formuliert ist, um der gegenwärtig unklaren Gesamtsituation gerecht zu werden. Es bleibt an dieser Stelle letztlich nur ein Appell an die uwI, bei der Konzipierung der eigentlichen Erprobungsstudie, die demnächst anstehen dürfte, klug und bedacht sowie tatsächlich im Sinne der Patientinnen- und Patientensicherheit zu entscheiden.

Wieder musste sich der G-BA mit einer Methode unter Verwendung eines Hochrisikomedizinproduktes beschäftigen, das nicht annähernd so weit ausgereift ist, dass es in der Schwerstkrankenversorgung tatsächlich flächendeckend zum Einsatz kommen könnte. Die Tatsache, dass die bereits erwähnte, herstellergesponserte Studie TRIPP-FFX25 als RCT durchgeführt wird, zeigt, dass Unternehmen durchaus in der Lage sind, selbst und vor Einbeziehung des G-BA geeignete Evidenz zu generieren.

In der Vergangenheit hatte der Autor bereits auf einen anderen ähnlich gelagerten Fall, die „Endovaskuläre Implantation eines Stentgrafts mit Klappenelement bei Trikuspidalklappeninsuffizienz“ hingewiesen29, bei dem tatsächlich, wie von diesem zum damaligen Zeitpunkt nur gemutmaßt, das Medizinprodukt aufgrund von Unreife vom Markt genommen wurde und die laufenden Beratungen über eine Erprobungsrichtlinie wieder eingestellt werden mussten. In den Tragenden Gründen zum Einstellungsbeschluss heißt es diesbezüglich, „dass aufgrund von aufgetretenen Stentbrüchen von einer weiteren Herstellung und einem weiteren Inverkehrbringen der medizinischen Sonderanfertigung abgesehen werde.“30

Ausblick auf die neue Legislatur: Eine Reform von §§137e und 137h SGB V ist überfällig

In dieser Publikation wird anhand eines weiteren Beispiels dargestellt, warum die Notwendigkeit besteht, endlich die Regelungen nach §§ 137h und 137e SGB V zu ändern.

Was eigentlich als Maßnahme zur raschen Einführung von Innovationen unter bestmöglicher Wahrung des Schutzes von Patientinnen und Patienten gemeint war, führt in der Umsetzung dazu, dass Hersteller mit unausgereiften Hochrisikomedizinprodukten wie dem erwähnten Stentgraft29 oder den in diesem Artikel behandelten Mikropartikeln aus der Pflicht entlassen werden, Daten vorzulegen, die beweisen, dass ihre zumeist sehr kostenintensiven und risikobehafteten Methoden auch tatsächlich einen Mehrwert für Patientinnen und Patienten bringen und diesen nicht schaden, oder wenigstens einen Nutzen vermuten lassen. Diese Pflicht wird durch die aktuell gültige Gesetzgebung der Solidargemeinschaft, konkret dem G-BA und den Krankenkassen (die die Kosten für die experimentellen Methoden tragen müssen) zugemutet.

Ein wesentliches Motiv der Gesetzgebung scheint auch Standortpolitik gewesen zu sein. Dass die Erprobungsregelungen als Wirtschaftsförderungsmaßnahme allerdings nicht vorrangig deutschen klein- oder mittelständischen Unternehmen zugutekommen, sondern häufig internationalen Großkonzernen und Global Playern, kann auf der Homepage31 des G-BA nachvollzogen werden.

Gerade der Blick auf die schlechte Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung32 und die generell hohe Abgabenlast in Deutschland33 verlangt es, Effizienzreserven zu heben und unnötige Kosten zulasten der Solidargemeinschaft abzubauen. Die Reduktion versicherungsfremder Ausgaben wäre ein denkbarer Baustein. Dazu würde auch eine Reform der Regelungen der §§ 137h und 137e SGB V zählen. Diese Regelungen haben zur Folge, dass Forschungsaufwendungen von den Beitragszahlenden getragen werden müssen.

Reformvorschläge wurden in der Vergangenheit bereits reichlich gemacht.34 Diese haben an ihrer Aktualität nichts eingebüßt:

  • Der Nachweis des Nutzens einer neuen Methode hat durch die herstellenden Unternehmen der maßgeblichen Medizinprodukte zu erfolgen. Das ist nicht Aufgabe der Solidargemeinschaft.
  • Der G-BA unterstützt die herstellenden Unternehmen bei der Evidenzgenerierung durch die Festlegung von Eckpunkten einer Studie, die den Anforderungen an einen Nutzennachweis genügen könnte. Nur bei besonders versorgungsrelevanten Methoden sollte dem G-BA die Möglichkeit eingeräumt werden, eine Erprobung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung auch selbst durchzuführen.
  • Grundsätzlich dürfen auch im Krankenhaus nur Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, deren Nutzen nachgewiesen ist. Von diesem Grundsatz darf nur unter eng definierten Rahmenbedingungen abgewichen werden: Um einen frühen Innovationszugang zu ermöglichen, können vielversprechende Methoden ohne Nutzennachweis unter kontrollierten Studienbedingungen in Innovationszentren/Level-III-Kliniken angeboten und vergütet werden. Außerhalb von kontrollierten Studien sollte keine Finanzierung solcher Leistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung erfolgen.

Mit der Forderung, die Regelungen nach § 137h sowie § 137e SGB V zu reformieren, stehen der Autor und die Co-Autorin nicht allein da. So forderte zum Beispiel der Unparteiische Vorsitzende des G-BA Josef Hecken in der Vergangenheit ebenso „eine durchgängige evidenzbasierte Bewertung […] neuer diagnostischer und therapeutischer Methoden [sowie] eine strikte Trennung echter von Scheininnovationen.“35 Auch stellte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) – interessanterweise sogar unmittelbar im Zusammenhang mit den Mikropartikeln – fest, „auf welcher schwachen Evidenz der Einsatz von innovativen Hochrisiko-Medizinprodukten im Krankenhaus häufig fußt“ und empfahl, dass „die gegenwärtigen Regelungen im § 137h SGB V überdacht werden sollten.“36

Literatur

1. Heneghan C: The saga of Poly Implant Prosthèse breast implants. BMJ 2012 344: e306.

2. Eine detaillierte Beschreibung der Historie, der Auslösemechanismen sowie der Inhalte von § 137h SGB V sowie der Regelungen hierzu in der Verfahrensordnung des G-BA wurden bereits vorgenommen bei Bertram N, Dettloff M: Hochrisikomedizinprodukte im Krankenhaus: Plädoyer für eine solidarische und rationale Innovationssteuerung. G+S 2021 75(4-5): 56-62.

3. Bendig LM: Mehr Erprobungsstudien auf Kosten der Solidargemeinschaft. 2021. Online verfügbar unter: www.gkv-90prozent.de/ausgabe/24/meldungen/24_hochrisikomethoden/24_hochrisikomethoden.html (Zugriff am 28.10.2024).

4. Bundesgesetzblatt: Terminservice- und Versorgungsgesetz. 2019. Online verfügbar unter: www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/T/TSVG_BGBL.pdf (Zugriff am 26.3.2021).

5. Kuhnt F: Gefahr für Patienten-Sicherheit durch Hochrisiko-Methoden im Krankenhaus. 2021. Online verfügbar unter: www.gkv-90prozent.de/ausgabe/23/meldungen/23_hochrisikomethoden_krankenhaus/23_hochrisikomethoden_krankenhaus.html (Zugriff am 12.5.2022).

6. Bertram N: Einsatz von Hochrisikomethoden im Krankenhaus erfolgt weiterhin im Blindflug. 2022. Online verfügbar unter: www.gkv-90prozent.de/ausgabe/28/meldungen/28_hochrisikomedizinprodukte/28_hochrisikomedizinprodukte.html (Zugriff am 28.10.2024).

7. G-BA: Renale Denervation mittels Ultraschallablation bei unkontrollierter Hypertonie. 2023. Online verfügbar unter: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/55 (Zugriff am 28.10.2024).

8. G-BA: Aortenklappenimplantation (TAVR) bei inoperabler Aortenklappeninsuffizienz. 2023. Online verfügbar unter: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/54 (Zugriff am 28.10.2024).

9. G-BA: Azidoseausgleich mittels Albumin-Dialyse bei intensivmedizinisch zu behandelnden Patientinnen und Patienten mit Azidose. 2023. Online verfügbar unter: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/57 (Zugriff am 28.10.2024).

10. G-BA: Endovaskuläre Implantation eines Transkatheter-Trikuspidalklappenersatzes bei Trikuspidalklappeninsuffizienz. 2024. Online verfügbar unter: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/58 (Zugriff am 28.10.2024).

11. G-BA: Einsatz eines medikamentenbeschichteten, adaptierenden Hybrid-Koronarstents im Rahmen einer PCI bei KHK. 2024. Online verfügbar unter: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/59 (Zugriff am 28.10.2024).

12. G-BA: Endoskopische Injektions-Implantation von 32P-markierten Mikropartikeln bei irresektablen, lokal fortgeschrittenen Pankreastumoren. 2024. Online verfügbar unter: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/methodenbewertung/262/ (Zugriff am 28.10.2024).

13. G-BA: Endoskopische Injektionsimplantation von 32P-Mikropartikeln bei irresektablen, lokal fortgeschrittenen Pankreastumoren. 2022. Online verfügbar unter: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/46 (Zugriff am 28.10.2024).

14. Deutsche Krebsgesellschaft: S3-Leitlinie zum exokrinen Pankreaskarzinom. 2024. Online verfügbar unter: www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/pankreaskarzinom (Zugriff am 29.10.2024).

15. American Cancer Society: Pancreatic Cancer Stages. 2024. Online verfügbar unter: www.cancer.org/cancer/types/pancreatic-cancer/detection-diagnosis-staging/staging.html (Zugriff am 29.10.2024).

16. Oettle H et al.: Onkopedia Leitlinie Pankreaskarzinom. 2018. Online verfügbar unter: www.onkopedia.com/de/onkopedia/archive/guidelines/pankreaskarzinom/version-19092023T095831/@@guideline/html/index.html (Zugriff am 29.10.2024). Hinweis: Die Leitlinie befindet sich in Überarbeitung. Diese war während der Manuskripterstellung noch nicht abgeschlossen.

17. OncoSil Medical Ltd: eIFU and Document Library. 2024. Online verfügbar unter: www.oncosil.com/resource-library/?resource-category=ifu (Zugriff am 30.10.2024).

18. NN: ECOG – WHO – Zubrod Performance Status Scale. Ohne Datum. Online verfügbar unter: www.onkopedia.com/de/wissensdatenbank/wissensdatenbank/allgemeinzustand/ECOG%20-2.pdf (Zugriff am 29.10.2024).

19. Bundesamt für Strahlenschutz: Was ist Strahlentherapie? 2021. Online verfügbar unter: www.bfs.de/DE/themen/ion/anwendung-medizin/strahlentherapie/einfuehrung/einfuehrung_node.html (Zugriff am 30.10.2024).

20. pSiMedica Ltd: 32P BioSiliconTM in Addition to Gemcitabine in Pancreatic Cancer. 2006. Online verfügbar unter: https://clinicaltrials.gov/study/NCT00346281?term=NCT00346281&rank=1 (Zugriff am 30.10.2024).

21. OncoSil Medical Ltd: A Pilot Study of OncoSil™ Given to Patients With Pancreatic Cancer Treated With Gemcitabine +/- Nab-paclitaxel. (OncoPaC-1). 2021. Online verfügbar unter: https://clinicaltrials.gov/study/NCT03076216?term=NCT03076216&limit=10&rank=1 (Zugriff am 30.10.2024).

22. OncoSil Medical Ltd: A Pilot Study of OncoSil™ Given to Patients With Pancreatic Cancer Treated With FOLFIRINOX or Gemcitabine+Abraxane (PanCO). 2021. Online verfügbar unter: https://clinicaltrials.gov/study/NCT03003078?term=NCT03003078&limit=10&rank=1 (Zugriff am 30.10.2024).

23. Naidu J et al.: Combined chemotherapy and endoscopic ultrasound-guided intratumoral 32P implantation for locally advanced pancreatic adenocarcinoma: a pilot study. Endoscopy 2022 54(1): 75-80.

24. OncoSil Medical Ltd: G-BA Approval received for OncoSil™ Device. 2024. Online verfügbar unter: www.oncosil.com/g-ba-approval-received-for-oncosil-device/ (Zugriff am 30.10.2024). Hinweis: Sinngemäße Übersetzung aus dem Englischen des Statements „OncoSil Medical Limited […] is pleased to announce a significant milestone. Next step for fully reimbursed clinical trial approved by German Federal Joint Committee (G-BA)“ durch den Autor.

25. OncoSil Medical Ltd: FOLFIRINOX Versus OncoSil™ in Addition to FOLFIRINOX in Patients With Locally Advanced Pancreatic Adenocarcinoma (TRIPP-FFX). 2024. Online verfügbar unter: https://clinicaltrials.gov/study/NCT05466799 (Zugriff am 5.11.2024).

26. Accord: Fachinformation Gemcitabin Accord 100 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung. 2022. Online verfügbar unter: www.accord-healthcare.de/sites/default/files/2022-11/Accord_Fachinformation_Gemcitabin.pdf (Zugriff am 5.11.2024).

27. Bristol Myers Squibb: Fachinformation/Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Abraxane® 5 mg/ml [...]. 2021. Online verfügbar unter: https://fi.b-ms.de/abraxane (Zugriff am 5.11.2024).

28. Detaillierte Ausführungen dazu finden sich unter anderem bei G-BA: Off-Label-Use – Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten. Ohne Datum. Online verfügbar unter: www.g-ba.de/themen/arzneimittel/arzneimittel-richtlinie-anlagen/off-label-use/ (Zugriff am 5.11.2024) oder bei G-BA: Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Thema Off-Label-Use. Ohne Datum. Online verfügbar unter: www.g-ba.de/themen/arzneimittel/arzneimittel-richtlinie-anlagen/off-label-use/faq/#wann-ist-ein-off-label-use-eine-krankenkassenleistung (Zugriff am 5.11.2024).

29. Bertram N, Dettloff M: Hochrisikomedizinprodukte im Krankenhaus: Plädoyer für eine solidarische und rationale Innovationssteuerung. G+S 2021 75(4-5): 56-62.

30. G-BA: Endovaskuläre Implantation eines Stentgrafts mit Klappenelement bei Trikuspidalklappeninsuffizienz (§ 137e SGB V). 2022. Online verfügbar unter: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/37 (Zugriff am 12.11.2024).

31. G-BA: Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse. 2024. Online verfügbar unter: www.g-ba.de/bewertungsverfahren/verfahren-137h/ (Zugriff am 12.11.2024).

32. NN: Zusatzbeiträge für Krankenkassen sollen deutlich steigen. 2024. Online verfügbar unter: www.spiegel.de/wirtschaft/service/gkv-schaetzerkreis-empfiehlt-hoeheren-zusatzbeitrag-fuer-krankenkasse-plus-0-8-prozentpunkte-a-8a3492a1-29af-47ad-af26-7e7b6949031e (Zugriff am 12.11.2024).

33. Welter P: Hohe Kosten belasten die Investitionen in Deutschland. 2024. Online verfügbar unter: www.faz.net/aktuell/wirtschaft/standort-deutschland-hohe-kosten-belasten-die-investitionen-der-unternehmen-19736340.html (Zugriff am 12.11.2024).

34. So unter anderem bei Bertram N, Dettloff M: Hochrisikomedizinprodukte im Krankenhaus: Plädoyer für eine solidarische und rationale Innovationssteuerung. G+S 2021 75(4-5): 56-62, bei Bertram N, Kuhnt F: Erprobungsstudien des Gemeinsamen Bundesausschusses: Eine Reform ist überfällig. G+S 2022 76(6): 30-6 oder bei Bendig LM, Dettloff M: Über das Scheitern einer Erprobungsstudie von Hochrisiko-Medizinprodukten. G+S 2023 77(6): 21-9.

35. Laschet H: GBA fordert striktere Evidenz für Innovationen. 2022. Online verfügbar unter: www.esanum.de/today/posts/gba-fordert-striktere-evidenz-fuer-innovationen (Zugriff am 3.12.2024).

36. IQWiG: Hochrisiko-Medizinprodukte: Für zwei neue Methoden liegen keine vergleichenden Daten vor. 2022. Online verfügbar unter: www.iqwig.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-detailseite_65024.html (Zugriff am 27.11.2024).

Über den Autoren und die Autorin

Dr. med. dent. Nick Bertram, MPH

Dr. Nick Bertram ist Fachreferent im Referat Methodenbewertung in der Abteilung Medizin beim GKV-Spitzenverband.

Friederike Kuhnt

Autorin Friederike Kuhnt

Friederike Kuhnt ist Leiterin des Referats Methodenbewertung in der Abteilung Medizin beim GKV-Spitzenverband.

Bleiben Sie auf dem Laufenden