Qualitätssicherung

Mindestmenge für allogene Stammzell-Transplantation zeigt signifikanten Vorteil im Überleben

September 2024

Bereits im Dezember 2022 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Mindestmenge für allogene (körperfremde) Stammzelltransplantationen (SZT) festgelegt (vgl. Kasten 1). Als Ergebnis dürfen Krankenhäuser diese Leistung nur noch dann erbringen, wenn sie die nunmehr geltende Mindestmenge erreichen (vgl. Kasten 2). Vonseiten ärztlicher Vertreter gibt es allerdings Widerstand gegen diese Mindestmenge – der wird damit begründet, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Leistungsmenge und der Qualität der Behandlung gäbe. Das widerspricht der wissenschaftlichen Analyse des G-BA. Weiterhin wird argumentiert, dass die Erfüllung besonderer Strukturvorgaben, wie sie durch die Akkreditierung eines Krankenhauses beim JACIE1 garantiert sind, die Patientensicherheit in gleicher Weise gewährleisten würde und eine Mindestmenge für allogene Stammzelltransplantationen deshalb überflüssig wäre. Aber ist diese Behauptung wissenschaftlich haltbar?

Eine der wichtigsten deutschen Fachgesellschaften auf dem Gebiet der Behandlung von Blutkrebs hat eine eigene Datenanalyse zu genau diesen Fragen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden im April 2024 auf dem 50. EBMT2-Kongress vorgestellt und bestätigen die Untersuchungen, welche der G-BA angestellt hatte – und damit auch die fachliche Richtigkeit seines Beschlusses: Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Hämatopoetische Stammzelltransplantationen und Zelltherapie e. V. hat die Daten des Deutschen Registers für hämatopoetische Stammzelltransplantation und Zelltherapie (DRST) auswerten lassen und dabei sowohl den Zusammenhang zwischen Ergebnis und Fallzahl als auch den Zusammenhang zwischen Ergebnis und Zentrumsbezug (JACIE-Akkreditierung) überprüft.

Analyse bestätigt Wirksamkeit der Mindestmenge

Für die Analyse wurden nur allogene SZT bei akuter myeloischer Leukämie (AML) berücksichtigt, da diese Erkrankung die häufigste Indikation für eine allogene SZT darstellt und durch diese Beschränkung auch ein möglichst homogenes Patientenkollektiv geschaffen wurde. Es konnten mehr als 5.000 Patientinnen und Patienten eingeschlossen werden, die zwischen 2015 und 2021 allogen transplantiert worden waren. Endpunkt war die Sterblichkeit innerhalb des ersten Jahres nach allogener SZT. Um den Bezug der Datenanalyse zu der bei einer Höhe von 40 Fällen pro Jahr und pro Standort festgelegten Mindestmenge des G-BA herzustellen, wählten die Autoren zwei Gruppen von Krankenhäusern (Volumengruppen), eine mit weniger als 40 Fällen pro Jahr und eine mit mehr als 40 Fällen pro Jahr. Neben zahlreichen weiteren Parametern wurden außerdem die Gruppen „mit“ und „ohne JACIE-Akkreditierung“ mit demselben Endpunkt (Versterben innerhalb eines Jahres) verglichen.

Kasten 1

Das Blut enthält mehrere Zellarten, die unterschiedliche Funktionen ausüben. Rote Blutzellen (Erythrozyten) transportieren Sauerstoff, Blutplättchen (Thrombozyten) helfen bei der Blutgerinnung und verschiedene weiße Blutzellen (Leukozyten) dienen der Abwehr von Infektionen oder helfen bei der Wundheilung. Bei gesunden Menschen werden alle Blutzellen regelmäßig erneuert. Die Produktion der neuen Blutzellen erfolgt bei Erwachsenen im Knochenmark, die Entsorgung der Zellen in Milz und Leber. Jede dieser Blutzellarten entsteht aus ihrer jeweiligen Vorstufe; ganz am Anfang stehen die Stammzellen. Die blutbildenden (hämatopoetischen) Stammzellen im Knochenmark gewährleisten die permanente Erneuerung des Blutes. Diese Stammzellen haben das Potential sich in alle Blutzellarten zu entwickeln (pluripotent), daher ihr Name: sie bilden den gemeinsamen „Stamm“ aller Blutzell-Linien.

Jede einzelne Blutzell-Linie kann von Blutkrebs befallen werden. In einem solchen Fall sind die betreffenden Vorstufen krankhaft verändert und bilden „falsche“ Zellen, die ihre Funktionen nicht mehr ausüben können oder unkontrolliert wachsen. Bei der akuten myeloischen Leukämie, einer häufigen Blutkrebsart werden beispielsweise statt gesunder weißer Blutkörperchen nur noch unreife Vorstufen gebildet – und von diesen zu viele. Sie breiten sich im Knochenmark aus und stören auch die Blutbildung der anderen Zellarten. Die eigentliche Abwehrfunktion gesunder weiser Blutzellen wird nicht mehr ausgeführt. Durch ihr verdrängendes Wachstum fehlen auch die anderen Blutzellen, zum Beispiel Thrombozyten. Die Immunabwehr, der Sauerstofftransport und die Blutgerinnung sind gleichermaßen gestört. Unbehandelt würde ein betroffener Patient an einer einfachen Infektion versterben oder bei einer kleinen Verletzung verbluten.

Zur Behandlung und Heilung einer solchen Blutkrebserkrankung werden – stark vereinfacht – sämtliche blutbildende Zellen des Patienten (mit ihnen auch die vom Krebs befallenen) durch eine sehr starke Chemotherapie abgetötet. Mit einer sog. Stammzelltransplantation werden dem Patienten danach neue hämatopoetische Stammzellen eines gesunden Spenders verabreicht. Aus den gespendeten Stammzellen können sich im Körper des Patienten nunmehr gesunde Blutzell-Linien entwickeln. Wenn die Behandlung gelingt, kann sich das Blut krebsfrei erneuern.

Als allogene Stammzelltransplantation wird die Verwendung von Stammzellen eines fremden Spenders bezeichnet. Im Unterschied dazu ist es bei einigen Blutkrebsarten auch möglich, die Behandlung mit körpereigenen Stammzellen (autolog), die dem Patienten noch vor der Chemotherapie entnommen werden, durchzuführen. Die körperfremde (allogene) Spende ist komplizierter, weil die Zellen einem genetisch fremden Individuum entstammen. Die heranwachsenden Immunzellen sind zwar krebsfrei – aber werden immer das tun, was ihre eigentliche Aufgabe ist: fremdes genetisches Material angreifen und vernichten. In diesem Fall ist das der gesamte Organismus des Empfängers. Bei jeder allogenen Stammzelltransplantation ist eine Immunabwehrreaktion der gespendeten, neu heranwachsenden weißen Blutzellen zu erwarten, die sich gegen den Organismus des Empfängers richtet (graft-versus-host-disease, GvHD). Die GvHD mit einer richtig dosierten Dämpfung der neu gebildeten Immunzellen unter Kontrolle zu halten, ist eine der großen Herausforderungen dieser lebensrettenden Behandlungsmethode.

Die Untersuchung bestätigt nun die Ergebnisse einer Publikation von Majhail3 et al. aus dem Jahre 2020, welche Grundlage des G-BA-Beschlusses war. Es zeigte sich ein statistisch signifikanter Vorteil im Überleben zugunsten der Standorte mit mehr als 40 Fällen pro Jahr: Wenn man die Grenze bei n=40 pro Jahr zieht, beträgt die Hazard Ratio (HR) für Kliniken unterhalb dieser Mindestmenge 1,21, d. h.: In den Kliniken unter n=40/Jahr versterben 21 Prozent mehr Patientinnen bzw. Patienten.

Ideale Mindestmenge müsste noch höher liegen

Die Analyse weist außerdem darauf hin, dass die zusätzlichen Todesfälle überwiegend nicht durch AML-Rezidive, sondern durch eine nicht-Rezidiv-bedingte Sterblichkeit verursacht werden – also auf Komplikationen während oder nach der Behandlung beruhen. Eine der häufigsten lebensbedrohlichen Komplikationen nach allogener Stammzelltransplantation ist eine Transplantat-gegen-Wirt-Erkrankung (GvHD), die ausschließlich nach allogener Stammzelltransplantation auftritt und deren Diagnose und Therapie sehr anspruchsvoll ist. Eine kontinuierliche Analyse der Fallzahlen ermittelte bei der Auswertung des DRST (nur AML) sogar eine ideale Mindestmenge von 45.

Kasten 2

Mindestmengen legen fest, dass ein Krankenhaus eine bestimmte Leistung nur dann erbringen darf, wenn es diese Leistung auch mit der gebotenen Erfahrung – also häufig genug – durchführt. Die Erfahrung gilt dann als ausreichend, wenn die betreffende Behandlung an dem Krankenhaus mindestens so oft durchgeführt wird, wie es die für diese Leistung festgelegte Mindestmenge vorsieht. Wird die Mindestfallzahl nicht erreicht, darf das Krankenhaus die betreffende Leistung überhaupt nicht durchführen - vgl. Warum wir Mindestmengen brauchen – ausnahmslos!

Nicht für alle Krankenhausbehandlungen gibt es eine Mindestmenge. Diese Vorgabe ist nur für besonders komplizierte und risikoreiche Behandlungen erforderlich. Die meisten Standardoperationen und -Behandlungen werden nach wie vor ohne Mindestmenge in fast jedem Krankenhaus in Deutschland durchgeführt.

Eine Mindestmenge für eine komplexe Behandlung kann vom G-BA auch nur dann festgelegt werden, wenn sich aus der wissenschaftlichen Fachliteratur oder aus anderen Datenanalysen deutliche Hinweise darauf ergeben, dass eine minimale Fallzahl tatsächlich helfen würde, um beispielsweise die Häufigkeit von schweren oder gar tödlichen Komplikationen zu verringern. Die mit einer Mindestmenge sichergestellte regelmäßige Durchführung soll tatsächlich die Sicherheit für die Patienten verbessern. Hierzu forscht der G-BA bei jeder neuen Mindestmenge gründlich nach wissenschaftlicher Literatur, bevor sie beschlossen wird.

Andere günstige Prognosefaktoren nach DRST-Auswertung sind der akademische Status des Standortes (Hochschulklinik) und eine vorbestehende Erfahrung mit allogener SZT von mehr als zehn Jahren. Allerdings erreichen Kliniken mit diesen Merkmalen auch fast alle eine Mindestmenge von 40 allogenen Stammzelltransplantation pro Jahr. Die JACIE-Akkreditierung hatte keinen Einfluss auf die Sterblichkeit innerhalb eines Jahres nach allogener Stammzelltransplantation.

Mindestmengen senken Sterblichkeit signifikant

Mit diesen Ergebnissen wurde die Übertragbarkeit der Arbeit von Majhail et al. auf den deutschen Versorgungskontext bestätigt. Sowohl die Auswertung des US-amerikanischen Transplantationsregisters durch Majhail et al. als auch des deutschen Transplantationsregisters durch Bethge et al. sprechen übereinstimmend dafür, dass bei einer Transplantationsfrequenz <40/Jahr die klinische Erfahrung unzureichend ist und dass eine signifikant höhere Sterblichkeit durch Komplikationen nach allogener Stammzelltransplantation die Folge ist. Setzt man voraus, dass bei anderen Diagnosen als AML die klinische Erfahrung mit allogener Stammzelltransplantation einen vergleichbaren Einfluss auf die Prognose hat, ist damit zu rechnen, dass durch Konzentration der Versorgung auf Kliniken mit ausreichender Erfahrung pro Jahr ca. 95 Patientinnen und Patienten weniger an tödlichen Komplikationen nach allogener Stammzelltransplantation versterben. Zur Einordnung: Laut DRST-Bericht 2022 wurden in Deutschland 3.005 allogene Ersttransplantationen durchgeführt. Durch die Mindestmengenregelung werden ca. 15 Prozent der Patientinnen und Patienten auf größere Zentren umverteilt (n=450). Von diesen versterben 21 Prozent weniger (n=95).

Zwei Ärzte im Operationssaal

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Durch die vorgestellte Studie erfahren auch die Arbeitsweise und die wissenschaftliche Begründung des G-BA bei seinen Mindestmengenfestlegungen eine deutliche Unterstützung. Es ist zu erwarten, dass der G-BA-Beschluss zur Mindestmenge bei allogener Stammzelltransplantation zu einer Verbesserung der Qualität der Versorgung führen wird.

1 JACIE = Joint Accreditation Committee ISCT-Europe & EBMT; ISCT = International Society of Cell & Gene Therapy; EBMT= European Society of Blood and Marrow Transplantation

2 EBMT = European Society for Blood and Marrow Transplantation (Europäische Gesellschaft für Blut- und Knochenmarks-Transplantation)

3 Majhail NS, Mau LW, Chitphakdithai P et al. Transplant center characteristics and survival after allogeneic hematopoietic cell transplantation in adults. Bone Marrow Transplant 2020; 55(5): 906-917. https://dx.doi.org/10.1038/s41409-019-0748-1.

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