GKV Live

Kassen leer, System in Gefahr: Ist das Vertrauen der Versicherten in GKV und SPV gefährdet?

Dezember 2024

Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und soziale Pflegeversicherung (SPV) sind unbestritten wichtige Säulen zur Absicherung zentraler Lebensrisiken, werden als solche von den Bürgerinnen und Bürgern hochgeschätzt und genießen großes Vertrauen. Wackelt die finanzielle Stabilität dieser beiden Sozialsysteme, wie das zurzeit der Fall ist, droht ein erheblicher Vertrauensverlust. Flächendeckende Beitragssatzsteigerungen von zusammen einem Prozentpunkt oder sogar mehr, wie sie sich für das Jahr 2025 abzeichnen, bringen die Beitragszahlenden zunehmend an ihre finanziellen Belastungsgrenzen. Wie kann vor diesem Hintergrund die Finanzierung von GKV und SPV zukunftsfest und nachhaltig gestaltet werden? Diese Frage war Dreh- und Angelpunkt der GKV Live-Veranstaltung am 3. Dezember 2024.

Dort diskutierte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, mit Christos Pantazis MdB, stv. gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Tino Sorge MdB, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Janosch Dahmen MdB, gesundheitspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Prof. Dr. Andrew Ullmann MdB, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion über die aktuellen Probleme und Herausforderungen für GKV und SPV.

Prekäre Finanzsituation, möglicher Vertrauensverlust

In ihrer Einführung betonte Doris Pfeiffer nachdrücklich, wie prekär die derzeitige Situation der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung sei. Für das Gesamtjahr 2024 erwarte der GKV‑Spitzenverband ein Defizit von vier bis 4,5 Milliarden Euro, mehr als 30 Krankenkassen hätten ihren Zusatzbeitrag in diesem Jahr bereits angehoben und zum Jahreswechsel seien weitere flächendeckende Beitragssatzerhöhungen zu erwarten, zumal die Krankenkassen teilweise auch ihre gesetzliche Mindestreserve wieder auffüllen müssten. Das Vertrauen der Beitragszahlenden würde dadurch auf eine harte Probe gestellt. Die Stabilität der Finanzen und der Versorgung müsse daher ganz oben auf der Agenda der neuen Regierung stehen.

Viele Vorschläge, wenig belastbare Berechnungen

In seinem folgenden Impulsstatement gab Prof. Dr. Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld einen Überblick über die anstehenden Investitionsbedarfe im Gesundheitswesen, die durch Krankenhausreform, Digitalisierung, Ambulantisierung, Ausbildung und Resilienz der Lieferketten entstehen. Demgegenüber stünden immer enger begrenzte Ressourcen – die Reserven der Kassen seien aufgebraucht, der Beitragssatz auf Rekordniveau. Auch die Konsolidierung der GKV‑Finanzen über Steuerfinanzierung stoße an ihre Grenzen und die Reformen der letzten Legislaturperiode hätten auch wenig zur finanziellen Stabilisierung beigetragen. Es gäbe Alternativen zu immer weiteren Erhöhungen des Beitragssatzes, etwa die Einführung einer Eigenbeteiligung, eine ergänzende obligatorische Pflegeversicherung oder ein erhöhter Steuerzuschuss. Insgesamt gäbe es keinen Mangel an Vorschlägen zur Finanzierung der GKV und der SPV, allerdings wenig belastbare Berechnungen von entsprechenden Szenarien. Letztlich sei eine Rückkehr von Budgets und Selbstbeteiligungen kaum vermeidbar, so Greiners Fazit.

Impressionen der GKV Live- Veranstaltung am 3. Dezember 2024

Nachjustieren bei Krankenhausreform

In der anschließenden Diskussionsrunde spielte schnell die Krankenhausreform eine große Rolle. Während Janosch Dahmen die Beteiligung der GKV an den Kosten des Transformationsfonds als sachgerecht einschätzte und auch Andrew Ullmann diese Regelung als guten Kompromiss bezeichnete, wies Doris Pfeiffer nachdrücklich darauf hin, dass die Investitionsfinanzierung gesetzlich klar geregelte Sache der Länder sei. Die gesetzlich vorgesehene Teil-Finanzierung des Krankenhaus-Transformationsfonds aus Beitragsgeldern sei verfassungswidrig, wie Pfeiffer betonte. Tino Sorge wies schon einmal vorsorglich darauf hin, dass nach der Reform vor der Reform sei und erklärte, dass auch beim Transformationsfonds sicher nachjustiert werden müsse.

Veritables Finanzproblem bei SPV

Für die soziale Pflegeversicherung konstatierte Christos Pantazis ein veritables Problem. Auch Doris Pfeiffer betonte, dass es in der Pflegeversicherung tatsächlich Spitz auf Knopf stehen würde. Eine Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen in der SPV wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige wäre sicher gerechter, aber in der jetzigen Situation bräuchte es zunächst eine kurzfristige Lösung. Ansonsten hätten wir demnächst eine Debatte darüber, dass Pflegeleistungen nicht mehr gezahlt werden könnten – und die würde sicher auch in der Politik niemand führen wollen.

Viele Vorschläge, großer Handlungsdruck

Im Bereich der ambulanten Versorgung plädierte Christos Pantazis für ein Primärarztsystem, mit dem Kosteneinsparungen möglich wären. Dem stimmten die anderen Politiker weitgehend zu, wobei Janosch Dahmen die noch größeren Einsparpotentiale einer dringend notwendigen Notfallreform betonte, die gleichzeitig auch die Versorgung verbessern würde. Darüber hinaus forderte er ein neues System für patentgeschützte Arzneimittel, denn hier liefen die Kosten aus dem Ruder. Neben mehr Patientensteuerung etwa durch Primärarztsysteme brachte Andrew Ullmann Selbstbeteiligungen an medizinischen Behandlungen und mehr Zusatzversicherungen für gesetzlich Versicherte ins Gespräch. Auch Tino Sorge sprach sich für die Einführung verschiedener Versichertentarife aus, die je nach Grad der Patientensteuerung unterschiedlich teuer sein könnten. Einig waren sich alle Diskussionsteilnehmenden jedenfalls in Einem: Der gesetzgeberische Stillstand durch den Bruch der Ampel-Koalition muss so schnell wie möglich beendet und die notwendigen Reformarbeiten zur Stabilisierung der Finanzen von GKV und SPV von einer neuen Regierung prioritär angegangen werden. Ein wenig Hoffnung machte da Tino Sorge: Bei vielen Gesetzen wie etwa der Notfallreform würde die neue Regierung ja nicht bei null anfangen. (cwi)

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