GKV-Finanzen

Gutachten zeigt: Gesundheitsausgaben für Bürgergeldbeziehende nur zu gut einem Drittel gedeckt

Juli 2024

Es ist Aufgabe des Staates, das Existenzminimum von bedürftigen Bürgerinnen und Bürgern zu gewährleisten. Nach der Rechtsprechung zählt dazu auch die Absicherung der medizinischen Versorgung im Krankheitsfall. Bei den Sozialhilfebeziehenden kommen die Sozialhilfeträger, das sind meist die Kommunen, vollständig für die Kosten der gesundheitlichen Versorgung auf. Bei der gesundheitlichen Versorgung von Bürgergeldbeziehenden allerdings steht der Bund in der Pflicht – aber er kommt seinen Ausgleichsverpflichtungen gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung nicht annähernd nach, wie ein Gutachten des IGES Instituts zeigt: Mit den vom Bund gezahlten Beiträgen wird nur gut ein Drittel der tatsächlichen Ausgaben für diesen Personenkreis gedeckt.

Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Bürgergeldbeziehende lagen im Jahr 2022 9,2 Mrd. Euro höher als die für diese Gruppe gezahlten Beiträge. Das zeigt das aktuelle Gutachten des IGES Instituts, mit dem die Deckungsquote von Einnahmen und Ausgaben der GKV für hilfebedürftige erwerbsfähige Personen im Jahr 2022 untersucht wurde. Durch diese systematische Unterfinanzierung gehen der gesetzlichen Krankenversicherung jedes Jahr Milliardenbeträge verloren. Damit haben allein im Jahr 2022 die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen den Bundeshaushalt mit 9,2 Milliarden Euro entlastet. Aufgrund der steigenden Zahl der Leistungsbeziehenden dürfte diese jährliche Unterfinanzierung der gesundheitlichen Versorgung von Bürgergeldbeziehenden in den Jahren 2023 und 2024 sogar noch höher liegen.

Bund spart zulasten der GKV

Insgesamt sind im Jahr 2022 lediglich 39 Prozent der Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II, inzwischen Bürgergeld, durch die für diesen Personenkreis gezahlten Beiträge gedeckt gewesen. Eine kostendeckende Pauschale hätte fast dreimal höher ausfallen müssen – statt der im Jahr 2022 tatsächlich vom Bund gezahlten Monatspauschale von 108,48 Euro hätte diese dann 311,45 Euro betragen.

Zum Vergleich: Für privat krankenversicherte Bürgergeldbeziehende zahlt der Staat aus Steuermitteln einen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung in Höhe von bis zu 421,77 Euro im Monat.

Sozialpolitische Verteilungswirkung beachten

Es gibt einen zentralen sozialpolitischen Unterschied, ob die Krankenkassen aus ihren Beiträgen etwas finanzieren oder der Bund aus Steuergeldern. Wenn die gesetzlichen Krankenkassen etwas bezahlen, dann wird dies aus den Beiträgen der 58 Millionen Mitglieder (die 16 Millionen Familienmitglieder sind beitragsfrei mitversichert) und von deren Arbeitgebenden finanziert. Dabei zahlen Gutverdienende nur bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze von 5.175 Euro. Wer 10.000 oder 15.000 Euro im Monat verdient, zahlt also nicht mehr als jemand, der 6.000 Euro verdient. Beamtinnen und Beamte sowie Selbständige, die in der Regel privat versichert sind, sind völlig außen vor.

Eine Frau zählt Geld in ihrer Geldbörde

Wenn etwas aus Steuermitteln bezahlt wird, dann finanzieren alle 84 Millionen Menschen in diesem Land dies gemeinsam über Einkommenssteuer, Gewerbesteuer, Mehrwertsteuer usw. Damit sind dann alle Bürgerinnen und Bürger an der Finanzierung beteiligt. Auch gibt es bei der Einkommenssteuer keine Obergrenze. Alle Einkünfte werden herangezogen. Und durch die Steuerprogression in der Einkommenssteuer leisten Gutverdienende einen höheren Anteil. Hier macht es also einen Unterschied, ob jemand 6.000 oder 10.000 Euro im Monat verdient.

Wenn sich also der Bund den Großteil dieser staatlichen Sozialleistung aus Beitragsmitteln der gesetzlichen Krankenkassen bezahlen lässt, dann ist das nicht nur sachfremd, sondern hat auch eine besondere sozialpolitische Verteilungswirkung: Denn so werden überproportional Gering- und Mittelverdienende belastet und Gutverdienende und Privatversicherte entlastet.

Hintergrund zum Gutachten

Das Gutachten ermittelt, wie umfassend Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld (ALG) II durch Steuermittel gedeckt sind. Es aktualisiert ein Gutachten aus dem Jahr 2017 und entstand im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes. Basis sind Auswertungen von Daten der Bundesagentur für Arbeit, des Bundesministeriums für Gesundheit sowie der gesetzlichen Krankenkassen. Demnach ergibt sich für das Jahr 2022 eine Unterfinanzierung der Gesundheitsausgaben von ALG-II-Beziehenden in Höhe von 9,2 Milliarden Euro (2016: 9,6 Milliarden Euro). Das entspricht einer Deckungsquote von 39 Prozent. Eine kostendeckende monatliche Beitragspauschale des Bundes für diese Versichertengruppe – jetzt Bürgergeldbeziehende - hätte 311,45 Euro betragen, tatsächlich waren es im Jahr 2022 nur 108,48 Euro. (cwi)

Die Studie ist hier zu finden.

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