Arzneimittel

Mogelpackung Medizinforschungs-gesetz: Warum Geheimpreise zu mehr Bürokratie und höheren Kosten führen

Mai 2024

Ob Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz oder Pflegeunterstützungs- und –entlastungsgesetz – längst haben wir uns auch in der Gesundheitspolitik an scheinbar selbsterklärende Gesetzesnamen gewöhnt, die wohl jedem Deutschlernenden Tränen in die Augen treiben. Die ursprüngliche, gute Idee dahinter: die oftmals abstrakte demokratische Gesetzgebung für die Öffentlichkeit zugänglicher machen. Nicht erst seit der gegenwärtigen Regierungskoalition ist vermehrt aber auch eine gegenläufige Kritik zu vernehmen. Der Gesetzeswerbesprech verdrehe Gesetzesinhalte – manchmal sogar in ihr glattes Gegenteil. Ein Paradebeispiel liegt nun mit dem Medizinforschungsgesetz vor. Abgesehen von Studien- und Antragserleichterungen für medizinische Studien soll mit dem Gesetz auch die Möglichkeit für geheime Arzneimittelpreise für neue Arzneimittel geschaffen werden. Geheime Arzneimittelpreise zur Forschungsförderung - spätestens mit diesem Vorhaben gehen Inhalt und Titel des Gesetzes auseinander. Aber der Reihe nach...

So schnell wie in Deutschland kommen Arzneimittel in keinem anderen EU-Staat auf den Markt. Ausschlaggebend hierfür ist das AMNOG-Verfahren, das eine Erstattung ab dem ersten Tag des Markteintritts sicherstellt. Gleichzeitig läuft dann auch die Nutzenbewertung an. Im Anschluss kommt es zu Preisverhandlungen, die der GKV-Spitzenverband führt. Der hier verhandelte Preis ist transparent. Alle gesetzlichen Krankenkassen, Krankenhäuser, Ärztinnen und Ärzte, aber auch die PKV sowie Beihilfestellen des Staates bis hin zu Kirchen oder Justizvollzugsanstalten rechnen auf dieser Grundlage ab – ein etabliertes und aufwandsarmes System. Und genau das soll sich durch das sogenannte Medizinforschungsgesetz ändern.

Preise fürs Schaufenster

Zukünftig soll es nach dem Gesetzesentwurf möglich sein, dass pharmazeutische Unternehmen die Option für einen geheimen Erstattungsbetrag erhalten. Die Umsetzung würde in einem denkbar bürokratischen Rückerstattungsmodell folgen. Dafür würde das pharmazeutische Unternehmen einen höheren „Schaufensterpreis“ wählen, der den tatsächlichen und eben geheimen Erstattungsbetrag verschleiert. Auf der Grundlage des „Schaufensterpreises“ würde dann die Abrechnung mit Großhandel und Apotheken - inklusive Umsatzsteuer und Abschlägen - erfolgen. Anschließend würde sich die Krankenkasse, bei der ein Medikament mit Geheimpreis in der Abrechnung auftaucht, in einem eigenen Rückabwicklungsverfahren den zu viel gezahlten Differenzbetrag von dem pharmazeutischen Unternehmen wieder zurückholen.

Geheimpreise hebeln Wirtschaftlichkeit aus

Selbst dieser neue Normalvorgang würde bereits eine bürokratische Sonderkonjunktur und neue Finanzströme auslösen. Hinzu kämen noch zahlreiche weitere Regelungen – für Arzneimittelpreisauskünfte, Arzneimittelimporte bis hin zur Frage der Selbstbeteiligung. Das Problem: Vieles würde dadurch bürokratischer - aber heute funktionierende zentrale Regelungen blieben auf der Strecke. Dazu zählt beispielhaft das sehr wichtige Wirtschaftlichkeitsgebot. Ärztinnen und Ärzte müssen bei der Verordnung von Arzneimitteln deren Wirtschaftlichkeit beachten. Gibt es für die Indikation eine gleichwertige aber günstigere Alternative, dann ist diese zu verordnen. Wenn Preise allerdings geheim sind, wäre das nicht mehr möglich. Die absehbare Folge wären deutliche Mehrausgaben. Der GKV-Spitzenverband hat hierzu Berechnungen auf Basis von Verordnungsanalysen durchgeführt. Die Ergebnisse lassen aufhorchen: Zweistellige Milliardenbeiträge an Zusatzkosten pro Jahr sind wahrscheinlich, selbst in Minimalszenarien wäre man immer noch bei Mehrkosten im einstelligen Milliardenbereich. Hinzu kämen weitere Ausgaben für zusätzliche Bürokratiekosten, Mehrkosten durch Wegfall von Parallelimporten, höhere Zuweisungen an Apotheken – dies alles ohne auch nur einen einzigen Versorgungsvorteil für die Versicherten der GKV. Auch die anderen Kostenträger – PKV, staatliche Beihilfestellen etc. - wären von höheren Ausgaben betroffen.

Ein Tablettenblister auf Geldscheinen

Reizvolle Option - vor allem für Arzneimittel ohne Zusatznutzen

Interessant dürfte ein Geheimpreis für die Industrie insbesondere für Arzneimittel sein, die im AMNOG-Verfahren keinen oder einen nicht-quantifizierbaren Zusatznutzen attestiert bekommen. Wenn Unternehmen dennoch sehr hohe Preisvorstellungen haben, würde ein Geheimpreis neue preisstrategische Optionen bieten. Das Problem: In knapp 65 Prozent der Nutzenbeschlüsse des G-BA steht dieses Ergebnis. Von Einzelfällen ist man hier also weit entfernt.

Keine Einsparungen durch Geheimpreise

Als Argument für Geheimpreise bei AMNOG-Arzneimitteln werden vereinzelt mögliche Einsparungen genannt. Als Grund hierfür wird die Referenzierung anderer Staaten auf den Deutschen Erstattungsbetrag angeführt. Vereinfacht gesagt: Der deutsche Preis gilt dort (gemeinsam mit weiteren Preisen anderer Staaten) als Orientierungswert bei der Bestimmung der eigenen Erstgattungshöhe. Geheime Preise würden hier Abhilfe schaffen, da man nicht automatisch das Preisniveau für andere Staaten mitverhandeln würde. So das Argument in Kurzform. Was aus einer theoretischen Perspektive im erstem Moment einleuchtend klingen mag, lässt sich für Staaten mit Geheimhaltungsklauseln empirisch nicht annährend aussagekräftig belegen.

Auch für das deutsche System wären solche Einspareffekte wohl eher kaum zu erwarten. Ohne zusätzliche gesetzlich verbindliche Instrumente zur Preissenkung wäre es schlicht naiv anzunehmen, dass man niedrigere Erstattungsbeträge für das deutsche GKV-System aushandeln könnte, nur weil ein internationaler Preiseffekt für ein Unternehmen besser ausfällt. Entsprechend enthält beispielsweise auch der Gesetzesentwurf selbst keine Hinweise auf Einsparungen durch Geheimpreise. Für niedrigere Arzneimittelpreise bedarf es klarer Gesetze. Nachbesserungen der bestehenden Leitplanken, des Kombiabschlags sowie der Preis-Mengen-Regelungen wären hier beispielsweise gangbare Wege.

Industrieförderung auf dem Rücken der Beitragszahlenden

„Zuletzt hat der Forschungs- und Produktionsstandort Deutschland im internationalen Vergleich an Attraktivität verloren.“ Der zweite Satz des Gesetzesentwurfs macht die Intention des Gesetzgebers deutlich und daraus resultiert wohl auch, völlig nüchtern betrachtet, die Idee einer Einführung von Geheimpreisen - eine industriepolitische Fördermaßnahme, die mit Mitteln der Versichertengemeinschaft, den Beiträgen von Handwerkern und Hebammen bezahlt werden soll. So kritikwürdig dies ist, so irritierend ist auch, dass dies die Verbände der Pharmaindustrie bislang kaum zu schätzen wissen, sich zurückhaltend oder sogar ablehnend äußern. Höhere Kosten und dadurch steigende Beiträge, mehr Bürokratie, kein Versorgungsgewinn für die Versicherten – mit dem Entwurf des Medizinforschungsgesetzes würden erhebliche Lasten für den Standort Deutschland insgesamt entstehen. Diese stecken zudem voller zusätzlicher Rechtsrisiken – wie nicht zuletzt die aktuellen Verfassungsklagen ausgerechnet vonseiten der Pharmaunternehmen mit Blick auf die Rechtsmaterie zeigen - und würden neue Finanzströmen bis hin zu einer de facto Kreditgewährung durch die GKV an pharmazeutische Unternehmen bewirken.

Als Maßnahme zur Standortförderung gibt das Gesetz mindestens so viele Rätsel auf wie die Namenswahl des Gesetzes. Vielleicht ist es am Ende aber auch schlicht wieder ganz einfach zu erklären: Nicht nur im Namen, sondern auch dem Gesetz selbst steckt etwas ganz anderes darin, als darauf steht. (mro)

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