Stationäre Versorgung

Ein Autorenbeitrag von Dr. Ramin Tavakolian, Dr. Horst Schuster und Peter Follert

Qualitätssicherung mit Mindestmengen des G-BA:

Für Patientensicherheit im ganzen Land

Juni 2023

Die Erkenntnis ist nicht neu und weltweit unstrittig: Komplizierte ärztliche Leistungen wie größere Operationen werden effizienter, sicherer und in ihrer medizinischen Qualität besser durchgeführt, wenn hierfür eine ausreichende Erfahrung besteht. Dies betrifft bei Operationen vorrangig die Operateurinnen und Operateure, die ihre Leistungen aber optimal nur eingebettet in eine erfahrene Teamstruktur und mit adäquater Ausstattung an einem Krankenhaus erbringen können. In Deutschland setzen die Mindestmengenregelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für komplexe Krankenhausleistungen diesen Grundsatz für bisher neun Eingriffsarten bzw. Operationen um. Dabei stellen die Mindestmengen – jenseits von Behandlungsempfehlungen und Zertifizierungen - eine von allen Klinken einzuhaltende Vorgabe zur Verbesserung der Patientensicherheit dar. Mindestmengenvorgaben reduzieren nachweislich vermeidbare schwere Komplikationen und Todesfälle. Die vom G-BA aus wissenschaftlichen Kenntnissen abgeleitete Festlegung einer bestimmten in einem Jahr zu erbringenden Mindestfallzahl, stellt demnach eine „rote Linie“ dar, die im Interesse der Behandlungssicherheit nicht unterschritten werden darf. Es gilt ferner, bei schwierigeren, größeren Eingriffen Gelegenheitsversorgung zu verhindern, denn die wissenschaftliche Literatur zeigt, dass es in Krankenhäusern mit niedrigen Fallzahlen und daher wenig Expertise und Erfahrung mehr Komplikationen und auch Todesfälle gibt. Das nächstgelegene Krankenhaus ist bei größeren und komplexeren Operationen nicht automatisch das beste für eine qualitativ gute Versorgung. Es kommt dann vielmehr auf die Erfahrung und das Können an, die sich nur aus regelmäßiger praktischer Tätigkeit sammeln bzw. erwerben lassen.

Dennoch werden auch die gut begründeten und für die Patientensicherheit wichtigen Mindestmengenregelungen aktuell im Zusammenhang mit der geplanten Krankenhausreform durch Kritik der Bundesländer an bundeseinheitlichen Vorgaben sowie durch den Ruf nach möglichst weitgehenden Ausnahmeregelungen infrage gestellt. Im Folgenden wird anhand von zwei Beispielen aufgezeigt, warum bundeseinheitliche und verbindliche Mindestmengen wichtig für die Versorgungssicherheit der Patientinnen und Patienten sind, warum wir mehr davon brauchen und warum es von dieser Qualitätsvorgabe keine Ausnahmen geben darf.

Inhalt

Beispiel 1: Operation des Magenkarzinoms

Die Evidenzlage für Mindestmengen sowie deren mögliche Wirkeffekte hängen eng mit der jeweiligen Versorgungsstruktur zusammen. Diese ist in Deutschland mit sehr vielen kleinen Krankenhäusern im internationalen Vergleich ein Sonderfall. Es finden sich in keinem anderen Land der Welt derart viele Krankenhäuser, die auch komplexe Eingriffe durchführen. In Deutschland kann grundsätzlich jedes Krankenhaus alle Leistungen von der Herztransplantation bis hin zur Hernienoperation durchführen und abrechnen. Es gibt kaum verbindliche Qualitätsvorgaben, Vorgaben für Personal oder zur Ausstattung mit notwendigen Geräten – jedes Krankenhaus darf alles.

Am Beispiel des Magenkarzinoms soll dies im Folgenden illustriert werden. Im Indikationsbereich Magenkarzinom hat der GKV-Spitzenverband im G-BA im Dezember 2022 einen Antrag auf Einleitung des Beratungsverfahrens zur Einrichtung einer neuen Mindestmenge gestellt. Das Magenkarzinom ist ein relativ häufiger Krebs, ca. 15.000 Personen erkranken jährlich hieran. Aufgrund der unspezifischen Symptome wird Magenkrebs meist erst sehr spät erkannt. Aus diesem Grund ist die Prognose mit einer Fünfjahresüberlebensrate von 37 Prozent bei Männern und 34 Prozent bei Frauen vergleichsweise schlecht. Dass Mindestmengen die Patientenversorgung verbessern würden, ist unstrittig: Die Deutsche Krebsgesellschaft hat im Rahmen ihrer Zertifizierung bei Magenkarzinom mindestens 20 operative Fälle jährlich vorgesehen, die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) gibt in Abhängigkeit der Zentrumskategorie verschiedene Mindestzahlen zwischen 15 und 35 vor. Die S3-Leitlinie zur Versorgung des Magenkarzinoms empfiehlt, Patientinnen und Patienten die Überweisung in eine Klinik mit hoher Fallzahl anzubieten.

Arzt mit OP-Brille und Mundschutz

Die Versorgungsrealität in Deutschland sieht trotz der langjährigen Zertifizierungsaktivitäten leider anders aus: 2021 wurden Magensektionen von insgesamt 780 Kliniken durchgeführt, lediglich 50 Kliniken führten diese Operationen jährlich mindestens 20-mal durch. Ungefähr 480 Kliniken führen eine Magenresektion höchstens fünfmal jährlich durch. An 260 Kliniken wird dieser komplexe Eingriff lediglich ein- oder zweimal jährlich durchgeführt.

Dieses Beispiel zeigt auch, dass die Bundesländer mit ihrer Krankenhausplanung bislang nichts unternehmen, um Gelegenheitsversorgung bei einem komplexen und für die Patientinnen und Patienten risikoreichen Eingriff zu verhindern. Die Erwartung an die Krankenhausplanung der Bundesländer, nur Krankenhäuser, die basale Qualitätsanforderungen an Ausstattung und fachlicher Expertise erfüllen, in ihren Krankhausplan aufzunehmen, werden besonders sichtbar in Ballungsräumen enttäuscht: So werden in Berlin an insgesamt 34 Standorten Magenresektionen bei Magenkrebs durchgeführt, davon an neun Standorten lediglich eine oder zwei Operationen jährlich. Auch fern der Hauptstadt zeigt sich in vielen Städten ein ähnliches Bild: So wurden beispielsweise in Köln an 6 von 13 Standorten und in München an 9 von 15 Standorten lediglich fünf oder weniger Operationen pro Jahr durchgeführt.

Diese Besonderheit der deutschen Versorgungslandschaft schränkt die Vergleichbarkeit mit der internationalen Evidenz ein. Es gibt in der internationalen Literatur kaum entsprechende Häufigkeitskategorien mit solch extrem niedrigen Fallzahlen in Untersuchungen zur Volume-Outcome-Beziehung. Denn üblicherweise werden Versorgungsstrukturen so geplant und betrieben, dass die Zentren eine vernünftige Auslastung und Expertise aufweisen.

Aktuell befinden sich weitere potenzielle Anwendungsbereiche im Beratungsverfahren beim G-BA sowie in Vorbereitung beim GKV-Spitzenverband. Hierbei zeigt sich regelmäßig, dass in Deutschland eine völlig ungesteuerte Versorgung durch sehr viele kleinere Kliniken erfolgt, die schwierige Eingriffe nur sehr selten durchführen. Auch bei der Vorbereitung eines Antrags für eine neue Mindestmenge bei Leberresektion findet sich wieder das bekannte Bild.

Beispiel 2: Leberchirurgie bei Tumorerkrankungen

Die Leberchirurgie bei Tumorerkrankungen ist ein komplexer Eingriff, dessen Mortalität in Deutschland von ca. 4 Prozent bei kleinen Resektionen bis hin zu 25 Prozent bei ausgedehnten komplizierten Resektionen reicht. Die Anlässe für die Operation sind zumeist lebereigene Tumore (Hepatozelluläres Karzinom – HCC) oder Metastasen eines Kolonkarzinoms. Das Ausmaß der Operation ist vom Befall der Leber abhängig, wobei im Idealfall eine vollständige Entfernung des Tumorgewebes angestrebt wird und hierdurch eine echte Heilungschance besteht. Aus diesem Grund sollte bei der Operation auch keine „falsche Zurückhaltung“ an den Tag gelegt werden, sondern eine möglichst optimal ausgedehnte Resektion durch kompetente Chirurgen oder Chirurginnen erfolgen.

Im internationalen Vergleich ist die Mortalität bei Leberresektionen in Deutschland hoch (Filmann N, Walter D, Schadde E, Bruns C, Keck T, Lang H, Oldhafer K, Schlitt HJ, Schön MR, Herrmann E, Bechstein WO, Schnitzbauer AA, Mortality after liver surgery in Germany, BJS 2019, 106: 1523-1529): Sie liegt für alle Eingriffe bei 5,8 Prozent sowie bei komplexen Leberresektionen („Major-Resektionen“) bei 10,4 Prozent. In Schweden liegt sie zwischen 2,1 und 7,5 Prozent, in Norwegen über alle Resektionsarten hinweg bei 0,9 Prozent sowie in Frankreich bei 3,4 Prozent. Aufgrund der komplexen Gefäßversorgung der Leber und ihres hohen Blutflussvolumens ist die Operation in jedem Fall anspruchsvoll, besonders aber bei der größeren (Major-)Resektion. Die Abgrenzung zwischen kleinen und ausgedehnteren Operationen und deren Klassifikation ist nicht trivial; die unterschiedlichen Grunderkrankungen (HCC oder Metastasen) sowie das Ausmaß ihrer Ausbreitung in der Leber tragen erheblich zur Höhe der Mortalität bei, sodass Vergleiche zwischen Krankenhäusern erschwert sind. Manche Kliniken wagen im Sinne der Patientin bzw. des Patienten auch risikoreichere Konstellationen und haben demzufolge eine höhere Mortalität. Das Gegenbeispiel wäre ein Krankenhaus, welches lediglich eine kleine, komplikationsarme Resektion durchführt, der Patient bzw. die Patientin dann jedoch an einem Rezidiv des Tumors verstirbt.

Dass Erfahrung bei Leberesektionen entscheidend ist, wird auch durch die Zertifizierungsaktivitäten in Deutschland belegt: So sieht das Zertifikat der Deutschen Krebsgesellschaft (OnkoZert) ein Krankenhausvolumen von mindestens 25 Operationen bei malignen Tumorerkrankungen der Leber vor. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) sieht im Rahmen der Zertifizierung für unterschiedliche Ebenen der Zentrumskompetenz Mindestmengen zwischen 25 und 75 für alle Resektionen sowie zwischen 10 und 30 für Major-Resektionen vor.

Auch hier sieht die Versorgung in Deutschland anders aus: Bei ca. 450 Krankenhäusern, die in Deutschland Major-Resektionen der Leber durchführen, wird der Eingriff von 300 Krankenhäusern höchstens dreimal jährlich durchgeführt. Auch hier lässt sich aufzeigen, dass die breite Gelegenheitsversorgung keinen Zusammenhang mit ländlichen Strukturmerkmalen oder Wegstrecke aufweist. So wurden in Berlin insgesamt an 22 Krankenhäuser Major-Resektion durchgeführt, davon führten neun Krankenhäuser den Eingriff höchstens dreimal jährlich durch.

Qualitätsziel für die Zukunft: Mehr Mindestmengen und weniger Gelegenheitsversorgung

Die Beschlüsse des G-BA zu Mindestmengen werden in der allgemeinen Öffentlichkeit sowie aufseiten von Fachgesellschaften und auch in der Politik intensiv diskutiert. Der G-BA ermittelt mittels einer sehr genauen Feststellung und Bewertung der besten verfügbaren Evidenz und einer möglichst präzisen Folgenabschätzung die adäquate Höhe und Ausgestaltung jeder Mindestmenge. Teil dieser Folgenabschätzung ist auch das Ziel einer möglichst „wohnortnahen“ Versorgung. Bei planbaren und besonders risikoreichen Eingriffen stehen jedoch die Sicherheit der Behandlung und das beste erreichbare Ergebnis für die Patientinnen und Patienten im Vordergrund, was sich nur durch eine Konzentration der betreffenden Leistung auf geeignete Krankenhäuser erreichen lässt. Hier ergibt sich regelhaft ein Konflikt mit den Betroffenen einer Region, deren Krankenhaus bestimmte Eingriffe dann nicht mehr erbringen darf. Es bestehen Ängste vor einer anonymen Versorgung in einer fernen Großklinik. Eine wohnortnahe Operation durch eine Klinik ohne die erforderliche Expertise bedeutet aber für Patientinnen und Patienten, dass sie ein signifikant höheres Risiko haben, bei oder nach einem in ihrem Leben einmaligen Eingriff zu versterben oder eine schwere Komplikation zu erleiden. Dies zeigt die wissenschaftliche Evidenz bei all den vom G-BA festgelegten Mindestmengen. Mindestmengen für Krankenhäuser haben daher das Ziel, in ganz Deutschland ausnahmslos eine gleich gute Versorgungsqualität zu sichern und die existierende Gelegenheitsversorgung zum Schutz der Patientinnen und Patienten zu verhindern. Deshalb braucht es jenseits regionaler Krankenhausplanungen oder freiwilliger Zertifizierungen bundeseinheitlich geltende Mindestmengen und Qualitätsvorgaben. Ausnahmen davon lassen sich nicht begründen, denn die Mindestmengen des G-BA gelten nur für planbare Leistungen, nicht für die Versorgung von Notfällen. Für eine hohe Patientensicherheit in der Versorgung, insbesondere von schwierigen Eingriffen, bedarf es vor allem einer Abkehr von dem Grundsatz „jedes Krankenhaus kann und darf alles machen“. Die geplante Krankenhausreform wird sich daran messen lassen müssen.

Über die Autoren

Dr. Ramin Tavakolian

Dr. Ramin Tavakolian, ein Autor des Beitrags

Dr. med. Ramin Tavakolian ist Fachreferent im Referat Qualitätssicherung der Abteilung Medizin beim GKV-Spitzenverband.

Seine Schwerpunktthemen sind die Mindestmengenregelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses und deren evaluationsgestützte Weiterentwicklung.

Dr. Horst Schuster

Der Facharzt für Plastische Chirurgie ist beim GKV-Spitzenverband in der Abteilung Medizin tätig.

Dort betreut er als Fachreferent das Thema Qualitätssicherung und insbesondere das Instrument der Mindestmengen.

Peter Follert

Autor Peter Follert

Der Diplom-Psychologe leitet das Referat Qualitätssicherung in der Abteilung Medizin des GKV-Spitzenverbandes.

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