GKV-Positionen

Digitale Gesundheits-Anwendungen: Chancen und Risiken

Oktober 2019

Mitten im parlamentarischen Verfahren befindet sich das Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (das Digitale-Versorgung-Gesetz - DVG). Voraussichtlich im November wird sich der Deutsche Bundestag in der zweiten und dritten Lesung abschließend mit dem DVG befassen. Der GKV-Spitzenverband begrüßt die Intention des Gesetzgebers, Chancen und Potenziale digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) verstärkt zur Versorgung der Versicherten in Deutschland zu nutzen. Zugleich ist kritisch zu hinterfragen, ob das Gesetz mit der Einführung neuer Zugangswege für DiGa gesundheitliche Risiken für deren Nutzerinnen und Nutzer birgt. Insbesondere die inhaltliche Ausgestaltung der Prüfkriterien sowie der Vergütungsregelungen ist aus der Sicht des GKV-Spitzenverbandes problematisch.

Rechtsanspruch auf Versorgung durch DiGA

Digitalisierungsprozesse, Technologien und digitale Anwendungen finden gegenwärtig in allen Gesellschaftsbereichen statt und verändern das Leben der Menschen grundlegend. Mit dem Gesetzentwurf erhalten Versicherte erstmalig einen Rechtsanspruch auf eine medizinische Versorgung unter Nutzung von digitalen Gesundheitsanwendungen. Zur Umsetzung dieses Rechtsanspruchs schafft der Gesetzgeber für die Hersteller neue Zugangswege und –prozesse, über die ihre Produkte in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden. Dabei weicht der Gesetzgeber allerdings bewusst von etablierten Zugangswegen und -kriterien der gemeinsamen Selbstverwaltung ab.

Marktzugang und Erstattung - Entscheidung künftig durch staatliche Institution statt Selbstverwaltung

Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll die Aufgabe übertragen werden, DiGA in Bezug auf positive Versorgungseffekte zu prüfen und in einem amtlichen Verzeichnis als erstattungsfähig zu führen. Damit verlagert der Gesetzgeber die Gestaltungsverantwortung von der gemeinsamen Selbstverwaltung an eine staatliche Institution.

Aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes sind Ärzteschaft und Krankenkassen in die Entscheidungsfindung des BfArM einzubinden. Dazu sollte eine Benehmensherstellung mit den Partnern der Bundesmantelverträge (Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband) festgelegt werden. Zudem sollte bei Unsicherheiten in der Entscheidung, ob es sich um eine DiGA oder eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB) handelt, das BfArM unter Übermittlung aller Unterlagen eine Auskunft beim Gemeinsamen Bundesausschuss einholen.

Finanzierung mit Fehlanreizen

Für DiGA besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung im ersten Jahr nach Aufnahme in das Verzeichnis – und zwar zu dem Preis, den der Hersteller nach eigenem Belieben festlegt! Dies birgt den Fehlanreiz zur Erstattung hoher Einstandskosten, wenn die vereinbarten Vergütungen erst im zweiten Jahr einsetzen und ihre Gültigkeit entfalten können. Vor dem Hintergrund der typischen Charakteristika digitaler Gesundheitsanwendungen, wie schnelle, teilweise monatliche Releasezyklen, hohe Individualisierung oder modulare Erweiterbarkeit, ist zu befürchten, dass es nach zwölf Monaten gar nicht mehr zu der geforderten Bewertung kommt. Den finanziellen Belastungen der Beitragszahlenden steht dann eine DiGA mit einem ungeklärten Nutzen für die Versicherten gegenüber.

Zur Sicherung einer sachgerechten Preisfindung für DiGAa sollten daher nach Ansicht des GKV-Spitzenverbandes die verhandelten Preise jeweils rückwirkend zum 1. Monat der Aufnahme in das BfArM-Verzeichnis gelten. Für die Preisverhandlungen sollten entsprechende Evaluationsergebnisse zur Verfügung gestellt werden. Zudem sollte der Gesetzgeber eine Ausgabenobergrenze für die jährlichen Gesamtausgaben für DiGA festsetzen, die im Abstand von zwei Jahren zu überprüfen ist.

Schnelle Zulassung gefährdet Patientensicherheit

Das Verlassen der etablierten Zugangswege und –kriterien soll den spezifischen Bedingungen der DiGA Rechnung tragen und ihren Weg in die gesundheitliche Versorgung beschleunigen. Zeit und Zulassungsgeschwindigkeit sind mit Sicherheit wichtig. Als alleiniges Kriterium sind sie untauglich, denn sie bergen Risiken. Diese in Kauf zu nehmen ist inakzeptabel, wenn es um die Gesundheit der Menschen geht. Der Weg der DiGA in die gesundheitliche Versorgung darf nicht durch ein Ablassen von evidenzbasierten Zulassungskriterien erfolgen. Der Nachweis des Patientennutzens ist unbedingt zu erbringen.

Dazu schlägt der GKV-Spitzenverband vor, die Bewertungskriterien für den Zugang digitaler Gesundheitsanwendungen in die Leistungspflicht der Krankenkassen neu und auf wissenschaftlicher Basis zu entwickeln. Der Nachweis der positiven Versorgungseffekte sollte am Evidence Standards Framework for Digital Health Technologies des National Institute for Health and Care Excellence (NICE 2019) angelehnt werden.

Außerdem fordert der GKV-Spitzenverband, dass nach Aufnahme der DiGA in das Verzeichnis erstattungsfähiger Versorgungsangebote eine jährliche Prüfung erfolgt. Diese soll auf Statusberichten zum Nutzerverhalten, zur Adherence und zu den Versorgungseffekten unter den Bedingungen der Routineversorgung basieren.

An digitale Gesundheitsanwendungen sollten grundsätzlich dieselben Maßstäbe zu Patientennutzen und Wirtschaftlichkeit angelegt werden wie an alle anderen GKV-Leistungen auch. Daher fordert der GKV-Spitzenverband vom Gesetzgeber eine deutliche Schärfung der Kriterien für die Aufnahme in das Verzeichnis digitaler Gesundheitsanwendungen. Die Erstjahrpreise müssen in den nachfolgenden Preisverhandlungen mit den Krankenkassen berücksichtig werden. Ziel muss es sein, die Qualität der neuen DiGA zu sichern und die Wirtschaftlichkeit zu wahren. Bei aller Akzeptanz schnellerer Zugangswege im digitalen Zeitalter: Die Geschwindigkeit der Zulassung von DiGA kann nicht der alleinige Maßstab sein.

Impressionen von der GKV Live-Veranstaltung "Digital ist besser" am 22. Oktober 2019

GKV Live zur Digitalisierung

Um Digitalisierung sowie deren Chancen und Risiken ging es auch auf einer GKV Live-Veranstaltung am 22. Oktober 2019 im Haus des GKV-Spitzenverbandes. Dr. Doris Pfeiffer begrüßte die zahlreich erschienenen Gäste und bekräftigte ihre Sorge, dass mit der neuen Gesetzgebung viel Geld für Scheininnovationen ausgegeben werden könnte und der Nutzen zu wenig im Fokus stehe. Dr. Thomas Steffen, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, warb dagegen in seinem Impulsstatement für eine mehr chancengetriebene Debatte. Er stellte die These auf: "Mit Digitalisierung machen wir das Gesundheitswesen besser, schneller und souveräner."

Auf dem Podium diskutierten anschließend die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes Dr. Doris Pfeiffer gemeinsam mit den Bundestagsabgeordneten Tino Sorge (CDU/CSU-Bundestagsfraktion), Dirk Heidenblut (SPD-Bundestagsfraktion), Harald Weinberg (Fraktion DIE LINKE im Bundestag), Christine Aschenberg-Dugnus (FDP-Bundestagsfraktion) und Maria Klein-Schmeink (Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) über digitale Innovationen wie Gesundheits-Apps, Zugangswege und Nutzenbewertung, Datenschutz und die elektronische Patientenakte.

Einig waren sich alle, dass nur die Patientinnen und Patienten selbst über ihre Gesundheitsdaten und deren Freigabe an Dritte entscheiden sollten. Kritik wurde hauptsächlich an der engen Ausrichtung des DVG geübt. Es müsse bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen auch darum gehen, wie Dokumentationspflichten digitalisiert und vereinfacht werden können, wie die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung gestärkt werden oder wie die Versorgung in der Fläche gelingen kann. All dies fehle in dem nun vorliegenden Gesetzesentwurf. (rsc, här)

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