Serie: Qualitätssicherung für bessere Versorgung

Geburtshilfe im Krankenhaus: Kritische Ereignisse messen und reduzieren

September 2022

Im Jahr 2021 wurden nach vorläufigem Stand 795.500 Kinder in Deutschland geboren. Der weit überwiegende Teil aller Geburten (> 98 Prozent) findet in Deutschland in einem Krankenhaus statt. Die Geburtshilfe hat eine hohe gesamtgesellschaftliche Bedeutung und hohe Relevanz für die Gesundheitsversorgung. Nicht überraschend existieren daher schon seit längerem Qualitätssicherungsmaßnahmen, die eine hohe Qualität in der stationären Versorgung von werdenden Müttern und ihren Kindern garantieren sollen.

Die Qualitätssicherung hat in der Geburtshilfe eine lange Tradition. Die sogenannte Münchner Perinatalstudie in den Jahren 1975 bis 1977 gilt als Ausgangspunkt der gesetzlichen Qualitätssicherung im Bereich der Perinatalmedizin. Diese hat sich rasch zur landesbezogenen und schließlich zur bundesweiten „Perinatalerhebung“ weiterentwickelt. Die aktuelle Qualitätssicherung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in der Geburtshilfe führt dieses Konzept der Perinatalerhebung fort.

Die gesetzliche Qualitätssicherung zur Perinatalmedizin umfasst die Bereiche Geburtshilfe und Neonatologie (Neugeborenenversorgung). Im Bereich Geburtshilfe werden als Besonderheit gegenüber den anderen Leistungsbereichen der stationären Qualitätssicherung zwei Personen betrachtet, nämlich die Schwangere bzw. die Mutter und das Neugeborene. Es werden daher sowohl Qualitätsindikatoren, die sich auf die Schwangere bzw. Mutter beziehen, als auch Qualitätsindikatoren, die das Neugeborene erfassen, verwendet.

Qualitätsverbessernde Maßnahmen in diesem Leistungsbereich unterstützten das Nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“.

Qualitätsindikator „Qualitätsindex zum kritischen Outcome bei Reifgeborenen“

Der Qualitätsindikator „Qualitätsindex zum kritischen Outcome bei Reifgeborenen“ ist ein Indikator aus der Qualitätssicherung Geburtshilfe und betrachtet aus der Patientengruppe der Neugeborenen die Reifgeborenen. Mit diesem Qualitätsindikator wird das „Outcome“, also der Zustand unmittelbar nach der Geburt dieser Reifgeborenen betrachtet. Hierfür werden Werte aus der Ersteinschätzung nach der Geburt erfasst.

Der hier vorgestellte Indikator betrachtet gezielt die neugeborenen Kinder, die nicht frühgeboren sind, d.h. letztlich die größte Gruppe der Neugeborenen (ca. 91 Prozent aller Neugeborenen). Auch bei diesen Kindern kann es vorkommen, dass Ereignisse kurz vor oder während der Geburt zu einer Gefährdung oder möglicherweise sogar Schädigung führen können, einem sogenannten „kritischen Outcome“. Solche Ereignisse können auch bei sorgfältigster Geburtsplanung und -begleitung eintreten, z.B. ein Nabelschnurvorfall. Sie müssen aber frühzeitig erkannt und umgehend angemessen behandelt werden.

Der Indikator erfasst daher eher seltene Ereignisse. Er trägt aber dazu bei, die erforderliche Aufmerksamkeit auf solche Ereignisse zu richten und kann auf Struktur- und Prozessmängel in der Geburtshilfe von Kliniken hinweisen, die in diesem Indikator Auffälligkeiten aufweisen.

Ein Hand, die schützend über dem Kopf eines Neugeborenen liegt

Ersteinschätzung des Neugeborenen nach der Geburt

Nach der Geburt eines jeden Neugeborenen erfolgt immer eine Ersteinschätzung. Diese schnelle Einschätzung ist wichtig, um gegebenenfalls rasch weitere Maßnahmen wie beispielsweise eine Sauerstoffgabe einleiten zu können. Die Ersteinschätzung erfolgt mit Hilfe des sogenannten „Apgar-Scores“ sowie dem pH-Wert und der Basenabweichung.

Niedrige Werte beim Apgar-Score, dem pH-Wert und der Basenabweichung weisen auf eine mögliche Gefährdung des Neugeborenen hin. Aus der Gesamtschau der Ergebnisse kann der aktuelle Zustand eines Neugeborenen kurz nach der Geburt einfach und recht aussagekräftig beurteilt werden.

Der Apgar-Score wird dreimal, in der ersten, fünften und zehnten Minute nach der Geburt erhoben. Häufig können nach einer unkomplizierten Geburt eines Neugeborenen nach einer Minute der Wert von 9, nach 5 Minuten der Wert von 10 und nach 10 Minuten ebenfalls der Wert von 10 vergeben werden (Apgar 9/10/10). Bei einem Apgar-Score nach 5 Minuten von unter 5 besteht ein besonderes Risiko für schwerwiegende Beeinträchtigungen und eine erhöhte Sterblichkeit.

Der pH-Wert und die Basenabweichung („Base Excess“) werden ebenfalls direkt nach der Geburt untersucht. Hierzu wird Blut aus der Nabelschnur entnommen und eine Blutgasanalyse durchgeführt. Mit diesen Werten kann eine Übersäuerung des Blutes (Azidose) festgestellt werden. Ein pH-Wert unter 7,0 und ein Base Excess unter -16 mmol/l werden als schwerwiegende Übersäuerung angesehen, die ebenfalls mit einem höheren Risiko für Schädigungen oder einer höheren Sterblichkeit einhergehen kann.

Berechnung des Qualitätsindikators

Jeder Qualitätsindikator erfasst bestimmte Ereignisse in einer Patientengruppe. Der Qualitätsindikator „Qualitätsindex zum kritischen Outcome bei Reifgeborenen“ erfasst Reifgeborene, die nach Klinikaufnahme verstorben sind oder bei denen direkt nach der Geburt eines oder mehrere der folgenden Outcomes festgestellt wurden:

  • Apgar-Score nach 5 Minuten von unter 5
  • pH-Wert von unter 7,00
  • Base Excess von unter -16 mmol/l

Das Qualitätsziel ist ein geringer Anteil von Reifgeborenen mit diesen Ereignissen.

Ergebnisse des Qualitätsindikators

Tabelle 1 zeigt die Häufigkeit der „kritischen Outcomes“ dieses Indikators über die Erfassungsjahre 2016 bis 2020.

Tabelle 1: Häufigkeit „Kritisches Outcome bei Reifgeborenen“ 2016-2020

Quellen: Bundesauswertungen 2016 - 2020

Erfassungsjahr 2016 2017 2018 2019 2020
Häufigkeit
“Kritisches Outcome”
- in Prozent
0,72 0,70 0,74 0,75 0,75
- in absoluten Zahlen (5.035 / 698.166) (4.956 / 704.683) (5.153 / 699.235) (5.197 / 696.509) (5.213 / 694.500)

Die Ergebnisse zeigen, dass mit diesem Indikator ein Großteil aller Neugeborenen erfasst wird (etwa 700.000) und die beobachtete Häufigkeit der Ereignisse insgesamt sehr niedrig (<1 Prozent) ist.

Um einen angemessenen und fairen Vergleich der Krankenhausergebnisse zu ermöglichen, werden die Ergebnisse risikoadjustiert. Deshalb werden Risikofaktoren, die das Krankenhaus nicht beeinflussen kann, die aber Auswirkungen auf das Ergebnis haben können, für die Berechnung berücksichtigt.

Im „Qualitätsindex zum kritischen Outcome bei Reifgeborenen“ gehören zu diesen Risikofaktoren beispielsweise bestimmte Schwangerschaftserkrankungen, angeborene Fehlbildungen des Neugeborenen oder eine vorzeitige Plazentalösung (spontane Ablösung des Mutterkuchens).

Mit Hilfe dieser Faktoren wird für jedes Krankenhaus berechnet, wie häufig unter Berücksichtigung dieser Faktoren ein kritisches Outcome erwartet werden kann (erwartete Rate „E“ = „expected“). Die beobachtete Häufigkeit dieser Ereignisse in einem Krankenhaus (beobachtete Rate „O“ = „observed“) wird dann in Bezug zu dieser erwarteten Rate gesetzt und das sogenannte O/E („observed“ / „expected“) ermittelt.

Im Vergleich der Krankenhäuser zeigen O/E-Werte über 1, dass das Ergebnis in diesem Krankenhaus schlechter als erwartet und mehr Reifgeborene mit kritischem Outcome entbunden wurden als erwartet. Entsprechend sind bei Krankenhäusern mit einem O/E-Ergebnis kleiner als 1 weniger Reifgeborene mit kritischem Outcome entbunden worden; das Ergebnis ist also besser als erwartet.

Für das Bundesergebnis liegt der O/E-Wert methodenbedingt immer nahe 1 und hat daher nur sehr wenig Aussagekraft. Sehr aussagekräftig ist dieser Wert jedoch für eine Bewertung bzw. einen Vergleich der Ergebnisse der einzelnen Krankenhäuser.

Die Spannweite der Ergebnisse zeigt das Ausmaß der Unterschiede zwischen den Krankenhäusern. Diese hat sich in den letzten fünf Jahren deutlich verringert und weist auf eine insgesamt bessere Ergebnisqualität hin, da es immer weniger Krankenhäuser mit besonders abweichenden Ergebnissen gibt.

Tabelle 2: Bundesergebnisse und Spannweite der Krankenhausergebnisse des Indikators „Qualitätsindex zum kritischen Outcome bei Reifgeborenen“ 2016 bis 2020

Quellen: Bundesauswertungen 2016 - 2020

Erfassungsjahr 2016 2017 2018 2019 2020
Bundesergebnis O/E
(“observed”/“expected”)
0,97 0,97 1,05 1,06 1,06
Spannweite der Krankenhausergebnissea 0 – 7,74 0 – 7,04 0 – 6,16 0 – 5,97 0 – 5,21
Referenzbereichb ≤ 2,19 ≤ 2,32 ≤ 2,32 ≤ 2,32 ≤ 2,32
a = Spannweite bezieht sich auf Krankenhäuser mit mindestens 20 Fällen.
b = Als Referenzbereich bezeichnet man den Toleranzbereich zwischen z.B. von Fachexperten vorgegebenen Soll- und Grenzwerten (Referenzwerte), bis zu denen ein Ergebnis noch als akzeptabel bewertet wird.
 

Bei diesem Indikator handelt es sich um einen sogenannten planungsrelevanten Qualitätsindikator. Bei planungsrelevanten Qualitätsindikatoren wird für Krankenhäuser mit statistisch signifikant vom Referenzbereich abweichenden Ergebnissen ein besonderes Stellungnahmeverfahren durch das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) durchgeführt.

Stellungnahmeverfahren mit Bewertung des IQTIG

Krankenhäuser mit statistisch auffälligen Ergebnissen haben die Möglichkeit, die Dokumentation in diesem Indikator auf Richtigkeit überprüfen zu lassen (Datenvalidierungsverfahren). Falls Korrekturen an der Dokumentation in einem Krankenhaus erforderlich sind, erfolgt eine Neuberechnung des Indikatorergebnisses. Falls das Ergebnis weiterhin statistisch auffällig ist, erfolgt das Stellungnahmeverfahren gemäß Richtlinie zu planungsrelevanten Qualitätsindikatoren. Im Stellungnahmeverfahren – ähnlich wie bis 2020 im sog. Strukturierten Dialog - kann das Krankenhaus schriftlich in einer Stellungnahme Gründe für das abweichende Ergebnis darlegen. Das IQTIG bewertet diese Stellungnahme mit Hilfe einer Fachkommission. Im Ergebnis wird bei einem Krankenhaus bei zu akzeptierenden Gründen für die Abweichung „zureichende Qualität“ oder bei fachlich nicht zu akzeptierenden Gründen „unzureichende Qualität“ festgestellt.

Ergebnisse der Stellungnahmeverfahren zu den Erfassungsjahren 2018 und 2019

Mit Hilfe des Referenzbereichs wird erfasst, wenn in einem Krankenhaus risikoadjustiert deutlich mehr solche Ereignisse festgestellt werden als erwartet. Der Referenzbereich für diesen Indikator beträgt seit 2017 ≤2,32, d.h. ein Krankenhaus mit etwas mehr als doppelt so vielen Ereignissen als erwartet wird rechnerisch auffällig.

Für das Erfassungsjahr 2019 war dies bei 25 Krankenhäusern (d.h. knapp 4% der Krankenhäuser, die über eine Geburtshilfe verfügen) der Fall (siehe Tabelle 3).

Tabelle 3: Ergebnisse des Strukturierten Dialogs und Stellungnahmeverfahren für planungsrelevante Indikatoren zum Qualitätsindikator „Qualitätsindex zum kritischen Outcome bei Reifgeborenen“ zu den Erfassungsjahren 2018 und 2019

Quellen: Anhang zum Bericht zum Strukturierten Dialog 2019 zum Erfassungsjahr 2018 und Anhang zum Bericht zum Strukturierten Dialog 2020 zum Erfassungsjahr 2019

Erfassungsjahr 2018* 2019**
Betrachtete Standorte 692 680
Rechnerisch auffällige Standorte (inklusive statistisch signifikant auffälliger Standorte) 31 25
Standorte mit Bewertung als „qualitativ auffällig” oder als „unzureichende Qualität” 12 15
* Die Bewertung von vier statistisch signifikant vom Referenzbereich abweichenden Ergebnissen ist im Stellungnahmeverfahren für planungsrelevante Indikatoren erfolgt, die Bewertung der übrigen nur rechnerisch abweichenden Ergebnisse im Strukturierten Dialog.
** Die Bewertung aller vom Referenzbereich abweichenden Ergebnisse ist im Strukturierten Dialog erfolgt, da das Verfahren der planungsrelevanten Qualitätsindikatoren aufgrund der Corona-Pandemie in 2019 teilweise ausgesetzt war.

Im Rahmen des Strukturierten Dialogs bzw. des Stellungnahmeverfahrens für planungsrelevante Indikatoren wurde bei diesen Kliniken geprüft, ob „qualitative Auffälligkeiten“, d.h. Qualitätsdefizite oder Verbesserungspotenziale festzustellen waren. Bei 15 der 25 Krankenhäuser mit rechnerisch auffälligen Ergebnissen im Erfassungsjahr 2019 war dies der Fall, so dass gezielt Verbesserungsmaßnahmen eingeleitet werden konnten.

Dies weist auf eine besonders hohe Aussagekraft dieses Indikators hin: Bei 60 Prozent der rechnerisch auffälligen Ergebnisse zum Erfassungsjahr 2019 wurde nach weitergehender Analyse ein Qualitätsdefizit festgestellt. Die rechnerischen Ergebnisse dieses Indikators weisen daher sehr spezifisch auf tatsächliche Qualitätsdefizite hin.

Zusammengefasst handelt es sich daher um einen Indikator mit hoher praktischer Bedeutung. Es wird die Ergebnisqualität für die sehr große Gruppe von reifgeborenen Neugeborenen erfasst. Es werden seltene, aber hoch relevante Ereignisse erfasst. Rechnerisch auffällige Ergebnisse werden bei relativ wenig Krankenhäusern festgestellt. Diese erweisen sich bei einer weitergehenden Analyse dann jedoch vielfach auch als tatsächliche Qualitätsprobleme, so dass gezielt Verbesserungsmaßnahmen eingeleitet werden können.

Der Artikel ist mit Unterstützung des Kompetenz-Zentrums Qualitätssicherung KCQ des Medizinischen Dienstes Baden-Württemberg entstanden. (pfo)

Über die Serie

Patientinnen und Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass sie in Krankenhäusern, Arzt- und Zahnarztpraxen qualitativ hochwertig und auf dem neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse versorgt werden. Daher hat der Gesetzgeber verschiedene Maßnahmen der Qualitätssicherung vorgesehen, zum Beispiel, welche technische Ausstattung und Qualifikationen von Ärzten, Ärztinnen und Pflegepersonal notwendig sind (Strukturqualität), wieviel Erfahrung und Expertise vorhanden sein sollte (Mindestmengen), wie die Versorgungsprozesse optimal gestalten werden können (Qualitätsmanagement) und auch, dass über Behandlungsergebnisse (Ergebnisqualität) öffentlich berichtet werden muss (Qualitätsberichte Krankenhäuser). So können die Patientinnen und Patienten sich über die Qualität informieren und diese bei der Wahl z. B. eines Krankenhauses für einen bestimmten Eingriff berücksichtigen. Für die Umsetzung dieser Vorgaben hat der Gesetzgeber den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) damit betraut, durch Richtlinien und Beschlüsse verbindliche Regelungen für die Krankenhäuser, Arzt- und Zahnarztpraxen aber auch für die Krankenkassen zu erlassen.

Der GKV-Spitzenverband ist als ein Träger des G-BA in den jeweiligen Gremien und Arbeitsgruppen des G-BA an der Ausgestaltung und Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen an die Qualitätssicherung maßgeblich beteiligt und setzt sich insbesondere dafür ein, die Qualität der Behandlungen für die gesetzlich Versicherten sichtbar zu machen. Die gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien des G-BA sind jedoch oftmals schwer zu verstehen, und Qualitätsergebnisse nicht einfach in ihrer Bedeutung zu bewerten. Daher stellen wir in jeder Ausgabe von 90 Prozent einen bestimmten Aspekt der Qualitätssicherung ausführlich vor, um einerseits das wichtige Thema Qualitätssicherung bekannter zu machen und andererseits Hilfestellung zu bieten, die Ergebnisse besser zu verstehen.

Bleiben Sie auf dem Laufenden