Serie: Qualitätssicherung für bessere Versorgung

Klinikwahl bei Frühgeburt: die risikoadjustierte Fallzahl hilft

Februar 2021

Bei einer drohenden Frühgeburt benötigen werdende Eltern valide und relevante Informationen zu der Frage, welches Krankenhaus für die Geburt eines leichtgewichtigen Kindes besonders geeignet ist. Das Internetportal des Gemeinsamen Bundesausschusses Perinatalzentren.org bietet leicht zugängliche und hilfreiche Informationen – insbesondere durch die Anwendung einer speziellen Kennzahl.

Für die Versorgung von Frühgeborenen – insbesondere von Kindern mit sehr niedrigem Geburtsgewicht - bedarf es spezialisierter Krankenhäuser mit besonderer technischer und personeller Ausstattung, sogenannte Perinatalzentren. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Überlebensrate in solchen Zentren deutlich besser ist als in nicht-spezialisierten Krankenhäusern (Chung JH, 2010) (Watson SI, 2014) (Sink DW, 2011) (Rogowski JA, 2013). Daher hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in einer Richtlinie für die Qualitätssicherung von Früh- und Reifgeborenen (QFR-RL) Vorgaben für die personelle und infrastrukturelle Ausstattung definiert.

Vergleichsmöglichkeit anhand von Kennzahlen

Auf der Internetseite Perinatalzentren.org werden die in der Richtlinie vorgegebenen Anforderungen überblicksartig veröffentlicht (siehe Abbildung 1, dort am Beispiel der Berliner Perinatalzentren). Neben anderen Informationen wird dort die Fallzahl der Perinatalzentren als eine wichtige Kennzahl veröffentlicht. Diese stellt die durchschnittliche Anzahl der Kinder mit einem Geburtsgewicht von unter 1.500 Gramm dar, die in den letzten fünf Jahren in dem jeweiligen Perinatalzentrum versorgt wurden. Damit spiegelt die Fallzahl die Erfahrung der Perinatalzentren mit der Versorgung von sehr leichtgewichtigen Frühgeborenen wider. Je mehr Fälle in einem Perinatalzentrum behandelt werden, umso größer ist die Erfahrung und umso besser ist das Behandlungsergebnis für diese kleinen Patientinnen und Patienten (Roland Hentschel, 2018) (Miedaner F, 2018).

Vergleichende Darstellung aller Berliner Perinatalzentren auf www.Perinatalzentren.org

Abbildung 1: Berliner Perinatalzentren auf Perinatalzentren.org

Frühgeborene können sich in bestimmten Merkmalen, wie z. B. in ihrem Gewicht, unterscheiden. Diese Merkmale wiederum beeinflussen das Behandlungsergebnis der Frühgeborenen unabhängig von der Versorgungsleistung des Perinatalzentrums. Das Behandlungsergebnis ist also von vornherein nicht nur durch die Kompetenz der Zentren zu erklären, sondern auch durch patienten-seitige Faktoren. Wenn ein Perinatalzentrum besonders viele schwerkranke Frühgeborene behandelt, zeigt dieses Zentrum z. B. eine höhere Todesrate im Vergleich zu einem Perinatalzentrum, das hauptsächlich leicht erkrankte Frühgeborene behandelt. Von den leichterkrankten Kindern überleben generell mehr Kinder. Würden also diese patientenseitigen Einflussfaktoren auf das Behandlungsergebnis des Perinatalzentrums nicht berücksichtigt, wäre ein fairer Vergleich der Zentren untereinander nicht möglich. Für einen fairen Vergleich der Perinatalzentren empfiehlt sich deshalb die sogenannte risikoadjustierte Fallzahl. Diese drückt aus, wie viele leichtgewichtige Frühgeborenen in dem Perinatalzentrum in den letzten fünf Jahren durchschnittlich behandelten wurden – jedoch unter Berücksichtigung der Patientenmerkmale, welche bei der risikoadjustierten Fallzahl über ein statistisches Verfahren ausgeglichen werden.

Berechnung der risikoadjustierten Fallzahl

Dieses rechnerische Verfahren zur Ermittlung der risikoadjustierten Fallzahl basiert auf einem Risikoadjustierungsmodell, das jährlich anhand der Patientenmerkmale angepasst wird. Das so generierte Risikoadjustierungsmodell wird – inklusive der zur Risikoadjustierung verwendeten Merkmale, einer Begründung für deren Auswahl, der verwendeten Regressionsgewichte sowie einer Beschreibung des methodischen Vorgehens - jährlich veröffentlicht (Gemeinsamer Bundesausschuss, 2019). In das Risikoadjustierungsmodell und in die risikoadjustierten Vergleiche werden Kinder nicht miteinbezogen, die ein Gestationsalter unter 24+0 Schwangerschaftswochen bzw. ein Aufnahmegewicht von unter 500 Gramm aufweisen. Weitere Ausschlussfaktoren sind letale Fehlbildungen oder eine primär palliativ erfolgte Versorgung der Kinder. Durch dieses statistische Verfahren wird ermöglicht, mehrere Perinatalzentren auf Basis der geleisteten Fallzahl fair zu vergleichen. Im Ergebnis gilt, dass eine höhere risikoadjustierte Fallzahl eines Zentrums für eine größere Erfahrung des jeweiligen Behandlungsteams steht.

Grundlage für die Berechnung der risikoadjustierten Fallzahl sind Daten der Perinatalzentren, die dort regelmäßig dokumentiert und jährlich an das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) übermittelt werden. Für das einzelne Perinatalzentrum wird die risikoadjustierte Fallzahl auf Perinatalzentren.org in drei verschiedene Gewichtsgruppen dargestellt (siehe Abbildung 2).

Darstellung der risikoadjustierte Fallzahl nach Geburtsgewicht am Beispiel Charité

Abbildung 2: Darstellung der risikoadjustierte Fallzahl nach Geburtsgewicht am Beispiel Charité

Neben der einrichtungsbezogenen Darstellung der risikoadjustierten Fallzahl finden sich auf Perinatalzentren.org zusätzlich auch Informationen auf Ebene der gesamten Bundesrepublik abgebildet: die kleinste risikoadjustierte Fallzahl (Minimum), die höchste risikoadjustierte Fallzahl (Maximum) sowie der Durchschnittswert über alle Perinatalzentren in Deutschland, gemessen über die relevanten fünf Erfassungsjahre. Werdenden Eltern wird so ermöglicht, eine informierte Entscheidung für sich und ihr Kind zu treffen. (kck)

Literaturverzeichnis

Chung JH, P. C. (2010). The effect of neonatal intensive care level and hospital volume on mortality of very low birthweight infants. Med Care, S. 48:635-644.

Gemeinsamer Bundesausschuss. (2005). Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Reifgeborenen – QFR-RL. Von https://www.g-ba.de/richtlinien/41/ abgerufen

Gemeinsamer Bundesausschuss. (2006). Mindestmengenregelungen gemäß § 136b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V. Von https://www.g-ba.de/richtlinien/5/ abgerufen

Gemeinsamer Bundesausschuss. (2019). Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Veröffentlichung des Modells zur Risikoadjustierung gemäß § 7 Absatz 2 Satz 3 der Anlage 4 QFR-RL. Von https://www.g-ba.de/downloads/39-261-4105/2019-12-19_QFR-RL_Veroeffentlichung-Modell-Risikoadjustierung.pdf abgerufen

Günther Heller, D. K. (2002). Are we regionalized enough? Early-neonatal deaths in low-risk births by the size of delivery units in Hesse, Germany 1990–1999. International Epidemiological Association, S. 31:1061–1068.

Miedaner F, L. K. (2018). Volume, size, professionals' specialization and nutrition management of NICUs and their association with treatment quality in VLBW infants. Journal of Perinatology, S. 38:402–410.

Rogowski JA, S. D. (2013). Nurse staffing and NICU infection rates. JAMA Pediatr, S. 167:444-450.

Roland Hentschel, K. G. (2018). Risk-adjusted mortality of VLBW infants in high-volume versus low-volume NICUs. Arch Dis Child, S. 104(4).

Sink DW, H. S. (2011). Nurse:patient ratio and achievement of oxygen saturation goals in premature infants. Arch Dis Child Fetal Neonat Ed, S. 96:F93-F98.

Watson SI, A. W. (2014). The effects of designation and volume of neonatal care on mortality and morbidity outcomes of very preterm infants in England retrospective population-based cohort study. BMJ open, S. doi:10.1136/bmjopen-2014-004856.

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