Serie: Qualitätssicherung für bessere Versorgung

Frühmobilisation nach einer Lungenentzündung ist Qualitätsmerkmal für eine gute Krankenhausbehandlung

April 2022

Lungenentzündungen gehören zu den häufigsten Infektionskrankheiten in Deutschland. Die Hälfte der Erkrankten muss stationär behandelt werden. Für ihre Genesung ist es wichtig, dass sie frühzeitig vom Krankenhausbett entwöhnt werden und aufstehen, um die Atemkapazitäten der Lunge zu stärken. In einem Qualitätssicherungsverfahren wird daher untersucht, ob Krankenhäuser diese Frühmobilisation der betroffenen Patientinnen und Patienten realisieren.

Atemwegsinfektionen sind einer der häufigsten Gründe für einen Arztbesuch [1]. Bei einer Pneumonie oder auch Lungenentzündung handelt es sich um eine tiefe Atemwegsinfektion, bei der das Lungengewebe betroffen ist. Wurde diese Entzündung nicht im Zusammenhang mit einem Krankenhausaufenthalt erworben, spricht man von einer ambulant erworbenen Pneumonie, oft mit der englischen Bezeichnung „community-acquired pneumonia - CAP“ bezeichnet. In Deutschland erkranken daran jährlich etwa 500.000 bis 600.000 Menschen [2, 3]. Von den Erkrankten muss etwa die Hälfte im Krankenhaus behandelt werden. Die ambulant erworbene Pneumonie kommt somit ähnlich häufig vor wie der Schlaganfall oder der Herzinfarkt [4]. In den westlichen Ländern wie Deutschland ist die Lungenentzündung die Infektionserkrankung, die am häufigsten zum Tod führt. Die meisten der ambulant erworbenen Pneumonien werden durch Bakterien verursacht. Mit der Corona-Pandemie, d.h. dem Auftreten von SARS-CoV-2-Infektionen in den letzten beiden Jahren, hat jedoch der Anteil der durch Viren bedingten Lungenentzündungen deutlich zugenommen.

Etwa 80 Prozent der ambulant erworbenen Pneumonien treten bei Menschen auf, die älter als 60 Jahre sind, wobei das Risiko mit jedem Lebensjahrzehnt erheblich steigt. Zudem haben Bewohnerinnen und Bewohner aus Pflegeheimen und bettlägerige Patientinnen und Patienten ein höheres Risiko verglichen mit denen, die zu Hause leben und mobil sind [5]. Lungenentzündungen sind bei Menschen in einem hohen Lebensalter und bei schweren Begleiterkrankungen eine Erkrankung, die zum Tode führen kann [1, 5].

Weitere allgemeine Informationen zur Erkrankung finden sich auf dem Gesundheitsportal des Bundesministeriums für Gesundheit und der Internetseite „Gesundheitsinformation“ des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Qualitätssicherung von 255.000 stationären Fälle

Das Qualitätssicherungs-Verfahren (QS-Verfahren) „Ambulant erworbene Pneumonie bezieht sich auf Patientinnen und Patienten ab einem Alter von 18 Jahren, die aufgrund einer ambulant erworbenen Pneumonie in einem Krankenhaus behandelt werden. Viele ambulant erworbene Pneumonien bedürfen keiner Behandlung im Krankenhaus. Eine Einweisung ins Krankenhaus wegen dieser Erkrankung erfolgt bei Patientinnen und Patienten mit besonders schweren Verlaufsformen, schwerwiegenden Vor- oder Begleiterkrankungen. Das QS-Verfahren erfasst zurzeit ca. 255.000 Fälle pro Jahr.

Qualitätsindikator „Frühmobilisation nach Aufnahme“

Unter Frühmobilisation versteht man die Mobilisation eines Patienten außerhalb des Bettes für mindestens 20 Minuten innerhalb der ersten 24 Stunden des Krankenhausaufenthaltes [1]. Die Frühmobilisation fördert u.a. das vertiefte Atmen und somit die Belüftung der Lunge.

Sie stellt neben der antibiotischen Behandlung einen wichtigen Baustein in der Behandlung der Lungenentzündung dar. Durch angemessene Frühmobilisation kann der Krankenhausaufenthalt für Patientinnen und Patienten verkürzt werden (im Durchschnitt um einen Tag), ohne dass erhöhte Komplikationsraten auftreten [1, 7].

Eine Pflegerin betreut eine Patientin in einem Krankenhausbett

Einteilung in drei Risikoklassen

In der aktuellen, sehr hochwertigen Leitlinie zur Behandlung ambulant erworbener Pneumonien (S3-Leitlinie) findet sich daher die Empfehlung, dass stabile Patientinnen und Patienten eine Frühmobilisation erhalten sollen [1]. Bei der Betrachtung der Qualitätsindikatoren zur Frühmobilisation muss somit die klinische Stabilität berücksichtigt werden. Die Patientinnen und Patienten werden mit Hilfe eines Risikoscores (CRB-65-Score) in drei Risikoklassen eingeteilt. Beim CRB-65-Score werden als Risikofaktoren die Atemfrequenz, der Blutdruck, der Bewusstseinszustand und das Alter berücksichtigt.

Patientinnen und Patienten der Risikoklasse 1 sind meistens noch selbständig und Patienten der Risikoklasse 2 können in der Regel mit Unterstützung durch das Pflegepersonal mobilisiert werden. Die Risikoklasse 3 stellt dabei die höchste Risikoklasse dar, d.h. die Patientinnen und Patienten in dieser Risikoklasse sind am stärksten gefährdet. Hier muss davon ausgegangen werden, dass eine frühe Mobilisation auf Grund der Schwere der Erkrankung vielfach nicht möglich ist [7]. Ebenso werden Patientinnen und Patienten, die maschinell beatmet werden, chronisch bettlägerig sind, weniger als einen Tag im Krankenhaus liegen oder bei denen aufgrund einer Patientenverfügung keine weitere Behandlung stattfinden soll, nicht in die Auswertung der Qualitätsindikatoren einbezogen. Die Qualitätsindikatoren erfassen somit diejenigen Patientinnen und Patienten, bei denen eine Frühmobilisation innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Aufnahme durchgeführt werden soll.

Ergebnisse des Qualitätsindikators

Im aktuellen QS-Verfahren wird ein Qualitätsindikator ausgewertet und dargestellt, der Patientinnen und Patienten der Risikoklasse 2 betrachtet. Für diesen Indikator wurde ein Referenzbereich von ≥ 90 Prozent festgelegt, d.h. dass ein Krankenhaus das Qualitätsziel erreicht, wenn bei mindestens 90 Prozent der Patientinnen und Patienten der Risikoklasse 2, die weder maschinell beatmet, chronisch bettlägerig sind oder eine dokumentierte Therapieeinstellung haben und länger als einen Tag im Krankenhaus liegen, innerhalb der ersten 24 Stunden nach Krankenhausaufnahme eine Frühmobilisation durchgeführt wurde.

In der folgenden Tabelle werden die Ergebnisse des aktuellen Qualitätsindikators zur „Frühmobilisation nach Aufnahme“ für die Jahre 2014 bis 2020 dargestellt.

QI-ID 2013 „Frühmobilisation nach Aufnahme“

Tabelle 1: Bundesweite Ergebnisse für den Qualitätsindikator QI-ID 2013; IQTIG Bundesauswertung (BUAW) zum Erfassungsjahr 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020, Quelle: IQTIG, Zugriff am 08.12.2021

Erfassungsjahre 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020
Anteil frühmobilisierter
Patientinnen und Patienten der Risikoklasse 2a
(bundesweit)
- in Prozent
92,46 93,26 93,63 94,01 93,87 94,24 92,64
- in absoluten Zahlen 112.755 / 121.954 128.626 /
137.916
122.674 / 131.016
130.793 / 139.134 133.459 / 142.147 120.342 /
127.692
111.396 / 120.243
aohne Patientinnen und Patienten mit maschineller Beatmung, chronischer Bettlägerigkeit, dokumentierter Therapieeinstellung und Verweildauer im Krankenhaus < 1 Tag

Wie Tabelle 1 zeigt, entwickelten sich die Ergebnisse des Indikators „Frühmobilisation nach Aufnahme“ bis zum Jahr 2020 durchgehend positiv. Im Jahr 2020 kommt es zu einem leichten Rückgang der Ergebnisse. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse müssen die besonderen Bedingungen berücksichtigt werden, die im Jahr 2020 aufgrund der Corona-Pandemie bestanden. So lag beispielsweise der Anteil der durch Viren bedingten ambulant erworbenen Pneumonien sehr viel höher als gewöhnlich. Zudem wurden stationär behandelte Corona-Patientinnen und -Patienten mit Pneumonie isoliert und aufwendige Hygienemaßnahmen waren sowohl für das Personal als auch die Patientinnen und Patienten erforderlich. Dies kann dazu führen, dass eine Frühmobilisation während der Pandemie nicht mehr so häufig durchgeführt wurde oder werden konnte.

Insgesamt kann bundesweit eine hohe Versorgungsqualität in Bezug auf die Frühmobilisation nach Aufnahme festgestellt werden.

Von den Fachexpertinnen und -experten, die in dieses QS-Verfahren eingebunden sind Bundesfachgruppe, wird die Frühmobilisation als besonders wichtig betrachtet, da Krankenhäuser, deren Ergebnisse nicht im Zielbereich liegen, möglicherweise einen Verbesserungsbedarf vor allem im Bereich der Pflege haben können [8]. Einige Krankenhäuser haben den angestrebten Zielwert nicht erreicht. Die Ergebnisse dieser Krankenhäuser wurden im sogenannten „Strukturierten Dialog“ analysiert. Dabei zeigte sich, dass von den Fachexpertinnen und -experten nur in sehr wenigen Krankenhäusern „qualitative Auffälligkeiten“, d.h. Qualitätsdefizite festgestellt wurden (siehe Tabelle 2). Mit diesen Krankenhäusern wurden gezielt Verbesserungsmaßnahmen vereinbart.

QI-ID 2013 „Frühmobilisation nach Aufnahme“

Bundesweite Ergebnisse qualitativ auffälliger Krankenhäuser, Anteil an allen Krankenhäusern mit einem Ergebnis für diesen Indikator; Quellen: IQTIG Bundesauswertung (BUAW) zum Erfassungsjahr 2015, Zugriff am 08.12.2021; Anhang zum Bericht zum Strukturierten Dialog 2015, 2016, 2017, 2018, 2019 IQTIG Zugriff am 25.01.2022.

Erfassungsjahre 2014 2015 2016 2017 2018
Anteil qualitativ auffälliger Krankenhäuser
(bundesweit)
- in Prozent
1,99 1,97 2,93 2,02 1,59
- in absoluten Zahlen 28/1408 28/1418 41/1407 28/1387 22/1383

Insgesamt kann somit festgestellt werden, dass Patientinnen und Patienten fast immer in angemessener Weise früh mobilisiert werden, wenn sie wegen einer ambulant erworbenen Pneumonie im Krankenhaus behandelt werden. Die Qualitätssicherung ermöglicht die Beurteilung der Behandlungsqualität bei dieser Erkrankung und das gezielte Eingreifen, wenn Krankenhäuser die Qualitätsanforderungen nicht erreichen.

Ausblick

Während der Corona-Pandemie zeigte der Qualitätsindikator „Frühmobilisation nach Aufnahme“ im Erfassungsjahr 2020 nach mehreren Jahren der Verbesserung erstmals einen Rückgang der Ergebnisse. Auch wenn dies zu Beginn der Pandemie erklärbar und nachvollziehbar ist, stellt eine Verbesserung des Qualitätsindikators „Frühmobilisation nach Aufnahme“ auf ein „Vor-Corona-Niveau“ in naher Zukunft ein wichtiges Qualitätsziel dar. Wie sich der Indikator entwickelt, werden die Zahlen für das zweite Jahr der Pandemie zeigen. Diese wichtigen Informationen gilt es zeitnah auszuwerten.

Der Artikel ist mit Unterstützung des Kompetenz-Zentrums Qualitätssicherung (KCQ) des Medizinischen Dienstes Baden-Württemberg entstanden. (pfo)

Über die Serie

Patientinnen und Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass sie in Krankenhäusern, Arzt- und Zahnarztpraxen qualitativ hochwertig und auf dem neuesten Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse versorgt werden. Daher hat der Gesetzgeber verschiedene Maßnahmen der Qualitätssicherung vorgesehen, zum Beispiel, welche technische Ausstattung und Qualifikationen von Ärzten, Ärztinnen und Pflegepersonal notwendig sind (Strukturqualität), wieviel Erfahrung und Expertise vorhanden sein sollte (Mindestmengen), wie die Versorgungsprozesse optimal gestalten werden können (Qualitätsmanagement) und auch, dass über Behandlungsergebnisse (Ergebnisqualität) öffentlich berichtet werden muss (Qualitätsberichte Krankenhäuser). So können die Patientinnen und Patienten sich über die Qualität informieren und diese bei der Wahl z. B. eines Krankenhauses für einen bestimmten Eingriff berücksichtigen. Für die Umsetzung dieser Vorgaben hat der Gesetzgeber den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) damit betraut, durch Richtlinien und Beschlüsse verbindliche Regelungen für die Krankenhäuser, Arzt- und Zahnarztpraxen aber auch für die Krankenkassen zu erlassen.

Der GKV-Spitzenverband ist als ein Träger des G-BA in den jeweiligen Gremien und Arbeitsgruppen des G-BA an der Ausgestaltung und Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen an die Qualitätssicherung maßgeblich beteiligt und setzt sich insbesondere dafür ein, die Qualität der Behandlungen für die gesetzlich Versicherten sichtbar zu machen. Die gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien des G-BA sind jedoch oftmals schwer zu verstehen, und Qualitätsergebnisse nicht einfach in ihrer Bedeutung zu bewerten. Daher stellen wir in jeder Ausgabe von 90 Prozent einen bestimmten Aspekt der Qualitätssicherung ausführlich vor, um einerseits das wichtige Thema Qualitätssicherung bekannter zu machen und andererseits Hilfestellung zu bieten, die Ergebnisse besser zu verstehen.

Literatur

1. AWMF. Leitlinie Behandlung von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie - Update 2021. 2021. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020-020l_S3_Behandlung-von-erwachsenen-Patienten-mit-ambulant-erworbener-Pneumonie__2021-05.pdf (Zugriff: 02.12.2021)

2. Kolditz M, Ewig S. Community-acquired pneumonia in adults. Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 838–848

3. Hecker M, Sommer N, Tello K et al. Ambulant erworbene Pneumonie. Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 2018; 113: 313-324

4. Ambulant erworbene Pneumonie - Eine unterschätzte Erkrankung. 2017. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-042017/pharmacon-schladming-2017/eine-unterschaetzte-erkrankung/ (Zugriff: 08.12.2021)

5. Ewig S. Ambulant erworbene Pneumonie als terminale Komplikation am Lebensende. https://www.springermedizin.de/emedpedia/pneumonie/ambulant-erworbene-pneumonie-als-terminale-komplikation-am-lebensende?epediaDoi=10.1007%2F978-3-662-45996-6_24 (Zugriff: 01.12.2021)

6. IQTIG. Qualitätsreport 2020. 2020. https://iqtig.org/downloads/berichte/2019/IQTIG_Qualitaetsreport-2020_2021-02-11.pdf (Zugriff: 02.12.2021)

7. IQTIG. Beschreibung der Qualitätsindikatoren für das Erfassungsjahr 2016 Ambulant erworbene Pneumonie. 2017. https://iqtig.org/downloads/auswertung/2016/pneu/QSKH_PNEU_2016_QIDB_V02_2017-04-26.pdf. Zugriff: 08.12.2021)

8. IQTIG. Qualitätsreport 2015. 2016. https://iqtig.org/downloads/berichte/2015/IQTIG-Qualitaetsreport-2015.pdf (Zugriff: 24.01.2022)

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