Serie: Qualität in der stationären Pflege

Neues Qualitätssystem in der Langzeitpflege: Wird jetzt alles gut?

Oktober 2019

Diesen Monat startete für den Bereich der stationären Langzeitpflege ein von Grund auf reformiertes Qualitätssystem. Bereits mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (2008) wurde ein erster und begrüßenswerter Anlauf für mehr Transparenz in der Pflege unternommen. Dieses System der sogenannten Pflegenoten konnte jedoch nicht einlösen, was sich die Politik, die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Pflegekassen davon versprochen haben. Somit war ein neuer Anlauf nötig, der mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (2016) unternommen und von der Pflegeselbstverwaltung umgesetzt wurde.

In dieser Serie soll aufgezeigt werden, was sich nun hinsichtlich des internen Qualitätsmanagements von Pflegeeinrichtungen ändert, welche Anpassungen sich bei den von den MDK und dem PKV-Prüfdienst im Auftrag der Landesverbände der Pflegekassen durchgeführten Qualitätsprüfungen ergeben und wie sich diese Reformen auf die Informationen für die Verbraucherinnen und Verbraucher über die Qualität der Pflegeeinrichtungen (Qualitätsdarstellung) auswirken. Am Ende wird der Versuch unternommen, eine erste Einschätzung zur Eignung der neuen Verfahren vorzunehmen. Im ersten Teil werfen wir einen Blick zurück auf den „alten“ Pflege-TÜV und die Historie der Qualitätsprüfung in der stationären Pflege.

Im Jahr 2008 traten mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz zahlreiche Neuerungen für die Qualität und die Qualitätssicherung pflegerischer Einrichtungen in Kraft. Die Landesverbände der Pflegekassen wurden verpflichtet, die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen über die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere zu der Ergebnis- und Lebensqualität, verständlich, übersichtlich und vergleichbar zu informieren. Hierfür waren im Wesentlichen die Ergebnisse aus Qualitätsprüfungen zu berücksichtigen, die von den Medizinischen Diensten im Auftrag der Landesverbände der Pflegekassen durchzuführen waren. Die Qualitätsprüfungen hatten in allen zugelassenen Pflegeeinrichtungen im Abstand von höchstens einem Jahr stattzufinden.

Die Kriterien der Veröffentlichungen und die Bewertungssystematik waren von den Vertragsparteien nach § 113 SGB XI, also dem GKV-Spitzenverband, den Verbänden der Leistungserbringer auf Bundesebene und den Sozialhilfeträgern im sogenannten Plenum der Vertragsparteien nach § 113 SGB XI einvernehmlich innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes zu beschließen. Sollten entsprechende Beschlüsse nicht einvernehmlich gefasst werden, so hatte eine Schiedsstelle entsprechende Regelungen festzusetzen.

Pflege-Transparenzvereinbarung von Anfang an ohne Erfolgsaussichten

Nach intensiven Verhandlungen gelang es den Vertragsparteien zum Jahresende 2008 die sogenannte Pflege-Transparenzvereinbarungen für die stationäre Langzeitpflege (PTVS) zu beschließen. Bereits kurz nach ihrem Inkrafttreten und mit der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse zeigte sich, dass die gesetzliche Anforderung nach einer verständlichen, übersichtlichen und vergleichbaren Qualitätsberichterstattung gelungen war, dass jedoch eine nach Qualitätsunterschieden differenzierende Darstellung mit den PTVS kaum gelingen dürfte. Dies hatte zum einen inhaltliche bzw. methodische Ursachen. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu der Frage, wie eine fundierte und nutzergerechte Qualitätsberichterstattung in dem Sektor der stationären Langzeitpflege ausgestaltet werden könnte, lagen für die Bedingungen des deutschen Pflegeversicherungssystems mit seinen spezifischen Leistungs- und Qualitätsanforderungen nur punktuell vor. Teilweise langjährig erprobte Systeme aus anderen Staaten, insbesondere aus dem anglo-amerikanischen Raum, waren nicht ohne weiteres und nicht kurzfristig auf die bundesdeutschen Bedingungen übertragbar. Die gesetzliche Anforderung, dass die Pflegetransparenz im Wesentlichen auf den Ergebnissen aus Qualitätsprüfungen der MDK zu beruhen hatte, engte theoretisch denkbare Gestaltungsspielräume weiter ein.

Dass es im ersten Anlauf nicht gelungen ist, eine aussagekräftige Transparenz über die Qualität und Qualitätsunterschiede von Pflegeeinrichtungen zu beschließen, liegt zum anderen darin begründet, dass die Verbände der Leistungserbringer entsprechend den gesetzlichen Vorgaben an den Vereinbarungen mitgewirkt haben. Wer davon ausgegangen war, dass unter den Leistungserbringerverbänden ein Interesse daran bestand, Qualitätsunterschiede von Pflegeeinrichtungen und insbesondere schlechte Einrichtungen („Schwarze Schafe“) für die Verbraucherinnen und Verbraucher erkennbar werden zu lassen, wurde enttäuscht. Die Leistungserbringerverbände hatten wenig Interesse daran, in einen Qualitätswettbewerb einzutreten, was bei der gesetzlich festgelegten einvernehmlichen Einigung von Beschlüssen oder Entscheidungen zur Qualitätstransparenz naturgemäß zu deutlichen Kompromissen führen musste. Daran änderte auch die im weiteren Verlauf für Nachbesserungen am System vom GKV-Spitzenverband angerufene Schiedsstelle nach § 113b SGB XI (a. F.) nichts.

80 Kriterien sollten Qualität messen

Das Ende 2009 vereinbarte und bis heute in wesentlichen Punkten unveränderte System sah einen Katalog aus ca. 80 Qualitätskriterien aus den Bereichen

  • Pflege und medizinische Versorgung
  • Umgang mit demenzkranken Bewohnern
  • Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung
  • Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene sowie eine
  • Zufriedenheitsbefragung der Bewohnerinnen und Bewohner

vor. Die Erfüllung der einzelnen Qualitätsanforderungen wurden im Rahmen der jährlich von den MDK durchgeführten Qualitätsprüfungen geprüft, entsprechend der von der Pflegeselbstverwaltung vereinbarten Bewertungssystematik bewertet und durch die Verbände der Pflegekassen auf ihren Portalen veröffentlicht.

Die Darstellung der Ergebnisse der einzelnen Kriterien erfolgte in Form von Schulnoten von 1 bis 5, später als Angabe, bei wie vielen der in die Stichprobe einbezogenen Bewohnerinnen und Bewohner (max. 9 Personen) das Kriterium erfüllt bzw. nicht erfüllt war. Ergänzend wurde eine zusammenfassende Note der fünf o. g. Qualitätsbereiche sowie eine „Gesamtnote“ dargestellt.

Beispielhafte Darstellung der Pflegenoten

Beispielhafte Darstellung der Pflegenoten

Die Gesamtnote sollte den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine schnelle Erfassbarkeit der Qualität ermöglichen. Gleichzeitig wurde damit jedoch die Möglichkeit geschaffen, wichtige Qualitätsthemen wie beispielsweise die Qualität der medikamentösen Therapie oder die Vorbeugung von Druckgeschwüren mit vergleichsweise wenig bedeutenden Aspekten wie der Lesbarkeit von Speiseplänen oder der Durchführung jahreszeitlicher Feste zu verrechnen. Um diesem, auch in der (Fach-)Öffentlichkeit viel kritisierten methodischen Problem zu begegnen, hatte der GKV-Spitzenverband in der Folge versucht, sogenannte Kernkriterien mit einer abweichenden Bewertung zu versehen. Die Durchsetzung dieser und andere Nachjustierungen scheiterte jedoch im Wesentlichen an den zuvor in Grundzügen skizzierten Strukturen der Pflegeselbstverwaltung (Einigkeitsprinzip) und an fehlenden wissenschaftlich fundierten Grundlagen.

Gesamtnoten ohne Aussagekraft

Das Problem bestand vor allem darin, dass die Noten nicht ausreichend nach Qualität differenzierten – insbesondere die „Gesamtnoten“ fielen von vornherein gut bis sehr gut aus und verbesserten sich im Laufe der Zeit aufgrund der durch die Transparenz angestrebten Qualitätsverbesserung der Pflege weiter. Die Veröffentlichung von sehr guten Ergebnissen wäre aus Sicht der Leistungsträger tolerierbar gewesen, wenn die guten Noten die Qualität der Einrichtungen in jedem Fall zutreffend wiedergegeben hätten und wenn die Noten mit der Einschätzung der Prüfinstitutionen über die Qualität der Pflege in Einklang gestanden hätte. Beides war oft nicht der Fall. In Einzelfällen kam es wegen gravierenden Qualitätsmängel zu Schließungen von Pflegeeinrichtungen, die eine gute bis sehr gute Pflegenote hatten.

Durchschnittsnoten der stationären Pflegeeinrichtungen im Landesvergleich, Stand November 2018

Durchschnittsnoten der stationären Pflegeeinrichtungen im Landesvergleich
Quelle: MDK, Stand November 2018

Rückblickend muss also festgestellt werden, dass die begrüßenswerte Intention des Gesetzgebers nach mehr Transparenz über die Qualität von Pflegeeinrichtungen zunächst nicht in einer für die Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen und die Pflegekassen zufriedenstellenden Form gelöst werden konnte. (jsc)

Alle Teile der Serie auf einen Blick finden Sie hier.

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