Nachbesserungen am neuen System nötig
Im Jahr 2019 wird es ein neues System geben, um die Qualität von Pflegeeinrichtungen zu prüfen, zu bewerten und für Verbraucherinnen und Verbraucher verständlich darzustellen. Die seit Jahren in der Kritik stehenden Pflegenoten werden dann schrittweise abgelöst.
Das Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld (Dr. Klaus Wingenfeld) und das Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (aQua) aus Göttingen haben dem Qualitätsausschuss Pflege im September 2018 Vorschläge für ein neues Qualitätssystem bestehend aus Qualitätsindikatoren, externen Qualitätsprüfungen und einer daraus resultierenden Qualitätsberichterstattung in stationären Einrichtungen vorgelegt. Den Auftrag dazu hatten sie im Januar 2017 vom Qualitätsausschuss Pflege erhalten. In den kommenden Monaten wird der Qualitätsausschuss Pflege entscheiden, wie mit den Vorschlägen umgegangen wird. Der GKV-Spitzenverband wird sich in dieser Debatte für Nachbesserungen einsetzen.
Der Vorschlag der Wissenschaftler differenziert nach Ansicht des GKV-Spitzenverbandes nicht ausreichend zwischen guter, mittelmäßiger und schlechter Qualität. Dies ist eine Folge der empfohlenen Bewertungsregeln für die Qualitätsprüfungen. Zudem ist der Vorschlag zur Darstellung der Qualitätsergebnisse nicht verbraucherfreundlich. Gute und schlechte Qualität in Pflegeeinrichtungen muss für jeden einfach erkennbar sein. Auch hier bietet der Vorschlag der Wissenschaftler bisher keine zufriedenstellende Lösung an.
„Wenn wir eines aus den Pflegenoten gelernt haben, dann das: Gute und schlechte Qualität in Pflegeeinrichtungen muss für jeden einfach erkennbar sein. Eine zweite Auflage von verwässerten Ergebnissen darf es nicht geben.“
Das neue Qualitätsbewertungssystem basiert auf drei Säulen:
- Indikatoren zur Ergebnisqualität aus dem internen Qualitätsmanagement der Einrichtungen (z. B. Mobilität, Anwendung von Gurten)
- Ergebnisse aus externen Qualitätsprüfungen des Medizinischen Dienstes (z. B. Körperpflege, Wundversorgung)
- freiwillige Einrichtungsinformationen (z. B. Spezialisierung, Ausstattung)
Internes Qualitätsmanagement mittels Indikatoren
Neu sind 15 Qualitätsindikatoren, die in der Langzeitpflege erstmalig flächendeckend zur Anwendung kommen. Damit rückt die Ergebnisqualität stärker als bisher in den Vordergrund der Qualitätsberichterstattung, was der GKV-Spitzenverband ausdrücklich unterstützt.
Durch Indikatoren lassen sich z. B. die Anzahl neu aufgetretener Druckgeschwüre oder die Anzahl gravierender Sturzfolgen erfassen. Auch ein Einrichtungsvergleich ist anhand von Indikatoren prinzipiell gut möglich. Allerdings beantworten die von der Pflegewissenschaft entwickelten Ergebnisindikatoren viele praktische Fragen derzeit nur unbefriedigend. Beispielsweise ist die externe Kontrolle der von den Pflegeeinrichtungen erhobenen Indikatorendaten durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Nachhinein nicht immer sicher möglich. Die Zeitpunkte der Erhebung der Indikatoren durch die Einrichtung und der stichprobenartigen Überprüfung auf Plausibilität durch den MDK fallen deutlich auseinander. Denn die Indikatoren werden halbjährlich erhoben, die MDK-Prüfung findet maximal einmal im Jahr statt.
Erfahrungen mit Indikatoren existieren zwar aus mehreren von der Universität Bielefeld begleiteten Umsetzungsprojekten, allerdings fehlen dazu Veröffentlichungen. In mancher Hinsicht sind die Indikatoren allerdings von sehr begrenzter Aussagekraft, wie folgende Beispiele zeigen:
Alle sechs Monate erheben zukünftig die Einrichtungen selbst die notwendigen Indikatoren-Daten bei grundsätzlich allen Bewohnerinnen und Bewohnern. Die Bewertung der Ergebnisse einer Einrichtung erfolgt in fünf Stufen, jeweils ausgerichtet am Durchschnitt aller Pflegeheime (weit unterdurchschnittlich, leicht unterdurchschnittlich, durchschnittlich, leicht überdurchschnittlich, weit überdurchschnittlich). Die den Bewertungen zugrunde liegenden Durchschnittswerte ergeben sich nicht aus den erhobenen Ergebnissen. Die Durchschnittswerte stammen vielmehr aus anderen Projekten, zu denen entsprechende Veröffentlichungen fehlen. Sie sind somit für den Qualitätsausschuss nicht beurteilbar.
Einzelne Indikatoren bieten darüber hinaus kaum nennenswerte Qualitätsinformationen. Der Indikator „Aktualität der Schmerzeinschätzung“ berücksichtigt beispielsweise nur, ob in den letzten drei Monaten eine Schmerzerfassung vorgenommen wurde. Nicht erfasst wird, was die Einrichtung gegen Schmerzen unternommen hat oder wie viele der Bewohnerinnen und Bewohner unter Schmerzen leiden.
Indikatoren sind grundsätzlich sinnvoll. Aber der vorliegende Entwicklungsstand bedeutet, dass sich in den nächsten Jahren diesbezüglich weiterer Handlungsbedarf ergibt.
Externe Qualitätsüberprüfung durch den MDK
Die Wissenschaftler aus Bielefeld und Göttingen schlagen auch ein neues Verfahren vor, nach dem der MDK und der PKV-Prüfdienst in Zukunft die Qualität in Pflegeheimen überprüfen sollen. Damit erweitern sich die Prüfinhalte um neue Themen und der Fokus verschiebt sich hin zu einer bewohnerbezogenen Versorgungsqualität. Diese wird an der Ergebnis- und an der Prozessqualität gemessen. Die bisherigen Elemente der Einrichtungsprüfung, z. B. zum internen Qualitätsmanagement, treten dagegen in den Hintergrund. Die Abkehr von der dokumentenlastigen Prüfung ist grundsätzlich zu begrüßen. Bei der bewohnerbezogenen Prüfung werden zukünftig Qualitätsaspekte wie die Unterstützung im Bereich der Mobilität oder das Schmerzmanagement umfassend bewertet. Die Bewertung solcher Qualitätsaspekte ersetzt die bisherige Bewertung einzelner Prüfkriterien.
Bei der neuen Bewertungssystematik gibt es vier zusammenfassende Kategorien: keine/geringe, moderate, erhebliche, schwerwiegende Qualitätsdefizite. Ab November 2019 werden alle rund 12.000 stationären Pflegeeinrichtungen auf Basis der neuen Qualitätsprüfungs-Richtlinien geprüft. Kritisch zu sehen ist allerdings, dass die Prüfungen zukünftig einen Tag vorher angekündigt werden müssen.
Auch mit dem neuen Prüfverfahren können schlechte Teil-Ergebnisse in der Qualitätsprüfung aufgrund der Bewertungssystematik zu einer guten zusammenfassenden Einschätzung der Pflegequalität der Einrichtung führen. Selbst bei einem massiven Pflegefehler und einer eingetreten gesundheitlichen Schädigung bei Bewohnerinnen und Bewohnern wäre die zweitbeste Qualitätsstufe „moderates Defizit“ für die Einrichtung möglich. Das ist aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes nicht vertretbar. Die künftigen Qualitätsergebnisse müssen für Verbraucherinnen und Verbraucher klar zwischen guten und schlechten Einrichtungen trennen.
Der GKV-Spitzenverband hat daher einen Alternativvorschlag vorgelegt, der jeden eingetretenen Schaden bei einem Heimbewohner sichtbar macht. Die beste Qualitätsstufe für die Einrichtung würde nur noch dann vergeben, wenn kein eingetretenes Defizit bei einzelnen Bewohnerinnen oder Bewohnern vorliegt. Diese strengere Gewichtung bei Qualitätsdefiziten mit eingetretenen negativen Folgen ist aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes nach den Erfahrungen mit den alten Pflegenoten notwendig und sachgerecht.
Drittes Standbein: freiwillige Informationen der Einrichtungen
Die Ergebnisse aus dem indikatorenbasierten internen Qualitätsmanagement der Einrichtungen und der externen Qualitätsprüfung durch den MDK werden in dem geplanten Verfahren um eine dritte Informationssäule ergänzt. Auf freiwilliger Basis können die Pflegeheime zusätzlich darüber informieren, welche personellen wie strukturellen Angebote sie bereitstellen. Dazu zählen dann beispielsweise Angaben zur personellen Ausstattung der Einrichtung wie der Fachkräfteanteil in der Pflege oder wie viele Mitarbeiter die Einrichtung in den letzten sechs Monaten verlassen haben. Oder auch Informationen darüber, ob ein Probewohnen möglich ist oder die Heimmitarbeiter eine Fremdsprache sprechen und wenn ja, welche. Diese freiwilligen Angaben der Einrichtungen unterliegen jedoch keiner externen Prüfung oder Plausibilitätskontrolle.
Laienverständliche Darstellung bleibt Herausforderung
Künftig werden sehr viel mehr Daten und Informationen – gerade zur Ergebnisqualität - verfügbar sein. Das ist grundsätzlich gut. Gemessen am Auftrag des Gesetzgebers, den Verbraucherinnen und Verbrauchern übersichtliche, verständliche und vergleichbare Informationen zu geben, muss man jedoch feststellen: Bisher liegen keine befriedigenden Vorschläge der Wissenschaftler zur Darstellung von Pflegequalität vor.
Die Wissenschaftler der Universität Bielefeld und von aQua empfehlen, Verbraucherinnen und Verbraucher anhand von 15 einzelnen Indikatorenergebnissen (zu zehn Themen) mit Punkten über die Qualität zu informieren. Das alleine ist bereits unübersichtlich. Das Problem verschärft sich jedoch. Denn die Ergebnisse aus den MDK-Qualitätsprüfungen zu 16 Themenbereichen (Qualitätsaspekten) sollen anhand von Kästchen dargestellt werden. Insgesamt sollen die Verbraucherinnen und Verbraucher künftig über 20 Papierseiten (oder Informationen aus Internetseiten) durcharbeiten, verschiedene Qualitätsdaten und verschiedene Verfahren der Datenerhebung berücksichtigen. Das hilft Betroffenen nicht, für ihre Bedürfnisse die richtige Einrichtung zu finden. Notwendig ist eine verbraucherfreundliche Darstellung.
Der Qualitätsausschuss Pflege wird daher einen weiteren Auftrag vergeben, um eine für Verbraucherinnen und Verbraucher handhabbare Darstellung der Qualitätsergebnisse zu bekommen. Der GKV-Spitzenverband wird sich dabei für eine zeitgemäße und nutzerfreundliche Online-Suche einsetzen. Sollte der Qualitätsausschuss Pflege in seinen Entscheidungen mehrheitlich an einer suboptimalen Darstellung der Pflegequalität festhalten, wäre für den GKV-Spitzenverband denkbar, den Pflegekassen mehr Gestaltungsspielräume zu geben. Sie könnten die Ergebnisse aus den Qualitätsprüfungen und der Indikatorenerhebung zum Beispiel individuell als Online-Angebote aufbereiten, bei denen über Suchmasken Präferenzen der Versicherten einbezogen werden könnten. Diese Option besteht heute bereits per Gesetz für Dritte (§ 115 1c SGB XI), die nicht zu den Vereinbarungspartnern in der Pflege gehören. Den Pflegekassen steht diese Option derzeit per Gesetz nicht zu. Sie müssen nach aktueller Rechtslage die Ergebnisse nach den künftigen Vorgaben des Qualitätsausschusses Pflege veröffentlichen. Eine Gesetzesänderung an dieser Stelle wäre spätestens bei einem für Verbraucherinnen und Verbraucher unbefriedigenden Beschluss zur Darstellung im Qualitätsausschuss Pflege notwendig. Man hätte dann zwar verschiedene individuelle Lösungen, die aber die Ergebnisse entsprechend den Bedürfnissen der Suchenden filtern und damit handhabbar machen.
Fazit: Fachliche Nachbesserungen im Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern sind aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes unerlässlich. Dafür wird er sich sowohl im Qualitätsausschuss Pflege einsetzen, als auch gegenüber der Politik für seine Position werben.
Rückblick: Wie kam es zu den Pflegenoten?
Im Jahr 2009 wurden erstmalig die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen in Pflegeheimen in laienverständlicher Form – die sogenannten Pflegenoten - veröffentlicht. Vorausgegangen war ein Jahr intensiver Arbeit und harter Verhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und den Verbänden der Leistungserbringer, um ohne jegliche wissenschaftliche Vorarbeiten und Vorkenntnisse den Auftrag aus dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz fristgemäß umzusetzen.
Besonders strittig waren die Auswahl der Prüfkriterien und die dazu vereinbarte Ausfüllanleitung. Die richtige Balance zwischen Aspekten der Betreuung und medizinisch-pflegerischer Versorgung zu finden – und dies im Konsens –, erwies sich als besonders schwierig. Eine stärkere Gewichtung von wichtigen medizinisch-pflegerischen Kriterien, wie sie sich der GKV-Spitzenverband gewünscht hatte, konnte damals aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Konsensfindung nicht durchgesetzt werden. Das Resümee nach den ersten MDK-Prüfungen fiel dennoch positiv aus. Die veröffentlichten Ergebnisse machten transparent, dass eine Reihe von Einrichtungen zum Teil deutliche Qualitätsdefizite hatte.
Mit der zweiten Prüfungswelle wurden die Noten sukzessive besser, da sich die Heime und Dienste immer besser auf die Prüfungen einstellten. Die Kritik am Bewertungssystem wuchs, denn die Noten wurden als zu gut empfunden und schlechte Einzelbewertungen bei relevanten Qualitätskriterien gingen in der Gesamt-Durchschnittsnote unter.
Eine wissenschaftliche Untersuchung im Jahr 2010 zeigte, dass weder national noch international wissenschaftliche Erkenntnisse zu Transparenzsystemen vorlagen, die sich als kurzfristig realisierbare Alternative anboten. Deshalb gab es damals ungeachtet des Überarbeitungsbedarfs keine Alternative zu den bestehenden Pflege-Transparenzvereinbarungen. In den folgenden Jahren versuchten die Vertragspartner immer wieder, das System zu verbessern, indem z. B. Einzelkriterien überarbeitet und medizinisch-pflegerische Kriterien deutlicher hervorgehoben wurden. Der GKV-Spitzenverband scheiterte jedoch vor der zwischenzeitlich eingerichteten Schiedsstelle mit dem Versuch, durch Kernkriterien eine stärkere Gewichtung auf den medizinisch-pflegerischen Aspekt zu legen und damit die Aussagekraft der Pflegenoten zu stärken.
Schlussendlich wurde im Jahr 2015 die gesetzliche Grundlage neu gefasst und die Vertragspartner nach § 113 SGB XI aufgefordert, mit Hilfe von wissenschaftlichem Sachverstand ein indikatorengestütztes Qualitätsmessungsinstrument als Ersatz für die Pflegenoten zu entwickeln. Dazu wurde durch den Qualitätsausschuss Pflege im Januar 2017 der Auftrag für die wissenschaftliche Erarbeitung dieser Instrumente an das Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld (Dr. Klaus Wingenfeld) und das aQua – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen vergeben. Der Bericht mit Vorschlägen für ein neues Qualitätsmessungsinstrument in stationären Einrichtungen wurde dem Qualitätsausschuss Pflege im September 2018 vorgelegt.