Maßnahmen in Apotheken und mehr Informationsrechte
Bei Arzneimitteln, bei denen der Beirat eine kritische Versorgungslage festgestellt hat, sollen Apotheken substanziell von den Auswahlregeln abweichen können. Sofern bei diesen Arzneimitteln eine Rücksprache mit der verschreibenden Ärztin bzw. dem verschreibenden Arzt notwendig ist, soll die Apotheke eine Aufwandspauschale in Höhe von 0,50 Euro erhalten.
Das BfArM erhält zusätzliche Informationsrechte gegenüber Industrie und Großhändlern. Auf Grundlage dieser Informationen sollen dann Empfehlungen für weitere Maßnahmen entwickelt werden. Zur Warnung vor Versorgungsengpässen werden zusätzlich neue Kriterien aufgestellt. Auf Basis der Empfehlungen des BfArMs soll das Bundesgesundheitsministerium dann Festbeträge, Rabattregeln und die Austauschregeln in Apotheken für kritische Arzneimittelgruppen lockern können.
GKV-Spitzenverband sieht viele offene Fragen
Klar ist: Ein Eckpunkte-Papier skizziert Inhalte, erst im Gesetzesentwurf beginnt die wichtige Detailarbeit. Bereits die Eckpunkte bewertet der GKV-Spitzenverband kritisch. Das liegt an deren eindeutiger Richtung: Sie werden in jedem Fall zu Mehrausgaben führen, denen keine gesicherten Mechanismen für eine tatsächliche Verbesserung der Versorgungssituation gegenüberstehen. Es besteht die Sorge, dass die geplanten Maßnahmen schlicht die Preisbildung durch Festbeträge, Rabattverträge und Preismoratorium aushöhlen. Die Folge wäre eine dauerhafte Mehrbelastung für die Versicherten ohne einen zusätzlichen Mehrwert in der Versorgung. Mehr Markttransparenz und Stärkung der ohnehin vertraglich festgeschriebenen Versorgungsverpflichtungen – diese wichtigen Aspekte kommen in den Eckpunkten dagegen kaum vor. Nicht umsonst sprach die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, daher von einem Weihnachtsgeschenk für die pharmazeutische Industrie.
Aber auch mit Blick auf strukturelle Punkte ist Kritik notwendig: Das BfArM und der Beirat zu Liefer- und Versorgungsengpässen haben eine zentrale Rolle im Umgang mit Lieferengpässen. Der Beirat, ursprünglich ein informelles Austauschgremium, hat erst in der vergangenen Legislaturperiode einen recht steilen institutionellen Karrieresprung gemacht. Die Eckpunkte sehen weitere erhebliche Kompetenzen vor. Allerdings sind dort die pharmazeutische Industrie sowie Leistungserbringende deutlich überrepräsentiert. Dadurch besteht das Risiko einer einseitigen Beurteilung. Eine stärker paritätische Zusammensetzung, die auch das Wissen der Krankenkassen widerspiegelt, erachtet der GKV-Spitzenverband daher als zentral. Auch die Geschäftsordnung muss angesichts der geplanten neuen Kompetenzen auf den Prüfstand.
Versorgungssicherheit braucht verbesserte Datengrundlage
Ein Lieferengpass wird vom BfArM definiert als eine „über voraussichtlich 2 Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang [..].“Dies kann auch einzelne Packungsgrößen betreffen. In einem solchen Fall ist eine Versorgung weiterhin möglich. Hiervon zu unterscheiden ist ein tatsächlicher Versorgungsengpass - also eine Situation, in der Handel und Industrie den Markt grundsätzlich nicht mehr versorgen können. Das denkbar schlechteste Szenario für Patientinnen und Patienten, das allerdings auch wesentlich seltener vorkommt.
Die Früherkennung von kritischen Liefersituationen zu stärken, so wie es die Eckpunkte vorsehen, wird daher vom GKV-Spitzenverband ausdrücklich unterstützt. Ziel muss es sein, die bestehenden Mechanismen so weiterzuentwickeln, dass möglichst schnell und umfassend Klarheit über die Versorgungslage besteht. Vorbild könnte etwa das DIVI-Intensivregister sein, in dem seit April 2020 auf tagesaktueller Basis die verfügbaren Betten in der Intensivmedizin angezeigt werden. Wie können vorhandene Datenströme so gebündelt werden, dass auch für die Arzneimittelversorgung ein vergleichbares, möglichst genaues Versorgungsbild entsteht? Das muss der Gesetzgeber dringend in den Blick nehmen. Versorgungsprobleme haben unterschiedlichste, meist globale Ursachen. Allein mehr Geld im begrenzten nationalen Markt Deutschlands bereitzustellen, wird auf Dauer keine Lösung sein. (mro)