Arzneimittel

Zell- und Gentherapien: Rekordpreise für Hoffnungsträger?

April 2021

Bereits mehrfach wurde Zell- und Gentherapien vorausgesagt, dass ihr Durchbruch kurz bevorstünde. Und doch haben sie - abgesehen von wenigen Spezialfeldern - noch keinen großflächigen Eingang in unser therapeutisches Rüstzeug gefunden. In den 20er-Jahren dieses Jahrhunderts könnte sich das ändern. Eine US-amerikanische Studie prognostizierte kürzlich, dass bis 2030 etwa ein Tausendstel der Bevölkerung für eine Zell- oder Gentherapie infrage kommen könnten (Quinn et al.). Doch ist auch sichergestellt, dass die enormen Preise für diese Arzneimittel angemessen sind?

Zur Veranschaulichung der Entwicklung sollen zwei Arzneimittel dienen, die derzeit in klinischen Studien untersucht werden.

Forschungsfeld seltene Erkrankungen

Aktuell liegt der Fokus von Gentherapien noch in der Behandlung seltener, monogenetisch bedingter Krankheiten. Hierzu zählt auch die Bluterkrankheit, von der in Deutschland etwa 4.000 Patientinnen und Patienten betroffen sind. Ihr Körper kann einen essenziellen Blutgerinnungsfaktor nicht selbst produzieren. Glücklicherweise können die Betroffenen das heute durch die regelmäßige Gabe des fehlenden Faktors ausgleichen. Eine Gentherapie kann nach bisher veröffentlichten Studienergebnissen über einen Zeitraum von wenigen Jahren den Bedarf dieser Faktortherapie reduzieren und sie in einzelnen Fällen sogar ganz ersetzen (Pasi et al.). Derzeit ist diese Gentherapie aber nicht zugelassen, weil noch unklar ist, wie lange die Wirkung unter Berücksichtigung der potenziellen Risiken anhält.

Volkskrankheiten im Visier

Therapieversuche bei seltenen Erkrankungen sind aber wohl nur der Anfang: Zunehmend wird der Einsatz von Zell- und Gentherapien auch bei Volkskrankheiten wie beispielsweise der koronaren Herzkrankheit oder kritischen Gefäßeinengungen an den Extremitäten erforscht. Von Durchblutungsstörungen am Herzen sind allein in Deutschland Millionen Patientinnen und Patienten betroffen. Eine neuartige Gentherapie soll im Umfeld des verengten oder verschlossenen Blutgefäßes die Durchblutung des Herzmuskels verbessern. Allerdings muss die Therapie bei erneutem Gefäßverschluss offenbar auch erneut angewandt werden.

Forscherin im Labor

Abseits von diesen teilweise heilsversprechenden Therapieansätzen machen Zell- und Gentherapien jedoch vor allem aufgrund ihrer enormen Therapiekosten von sich reden. Diese liegen zum Teil bei mehreren Millionen Euro – pro Einmal-Behandlung einer Patientin bzw. eines Patienten. Es braucht nicht viel Fantasie um sich auszumalen, welche Sprengkraft diese Zahlen für Gesundheitssysteme haben.

Nutzenbewertung von Zell- und Gentherapien weiterentwickeln

Eine nachhaltige und gerechte Finanzierung unseres Gesundheitswesens lässt sich nur sicherstellen, wenn sich die Preise innovativer Arzneimittel nicht an Hoffnungen, sondern an echten Versorgungsverbesserungen für Patientinnen und Patienten bemessen. In Deutschland soll das AMNOG-Verfahren zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln genau das sicherstellen. Allerdings hat dieses grundsätzlich sehr erfolgreiche Verfahren einige Lücken: So dürfen Unternehmen zunächst ein Jahr lang frei bestimmen, welchen Preis die Solidargemeinschaft für ein neu auf den Markt gebrachtes Arzneimittel bezahlen muss. Bei einer einmaligen Gentherapie kann in diesem Jahr allerdings schon der Großteil der Betroffenen behandelt worden sein. Bei einigen Arzneimitteln darf die Nutzenbewertung auch nur abgespeckte Nachweise einfordern. Zudem ist eine Beurteilung der durch Zell- und Gentherapien potenziell eingesparten Kosten für Alternativ- oder Begleitbehandlungen zurzeit erst spät möglich, darüber hinaus enorm zeitaufwendig und beschwerlich. Die Entwicklung bei Zell- und Gentherapien macht deutlich, dass Nutzenbewertung und Verhandlung von Erstattungsbeträgen weiterentwickelt werden müssen. Der GKV-Spitzenverband setzt sich dafür ein, dass nur diejenigen Arzneimittel mehr kosten dürfen, die - wissenschaftlich nachgewiesen - den betroffenen Patientinnen und Patienten auch mehr nutzen. (mku)

Literaturhinweise

Quinn et al. Value Health 2019; 22(6):621-626

Pasi et al. 2020. N Engl J Med 2020; 382:29-40; George et al. N Engl J Med 2017; 377:2215-2227

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