Innovationen

Autorenbeitrag von Dr. Nick Bertram und Friederike Kuhnt

Therapie des obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms – quo vadis?

April 2021

Das obstruktive Schlafapnoesyndrom (OSA) kann zu den Volkskrankheiten gezählt werden. Die Auswirkungen auf den Alltag der Betroffenen sind zum Teil beträchtlich. Lebensstilinterventionen und nächtliche Überdruckbeatmung führen nicht immer zum Therapieerfolg. Daher scheint der Bedarf an Innovationen hoch. Dies spiegelt sich auch in den Beratungen beim G-BA wider.

Inhalt

Obwohl gegenwärtig, wenn von Innovationen in der medizinischen Versorgung berichtet wird, meist Innovationsfondsprojekte oder digitale Gesundheitsanwendungen im Fokus stehen, so gibt es auch abseits davon – mehr oder weniger – innovative Ansätze in Diagnostik und Therapie bestimmter Krankheitsbilder, was im Folgenden am Beispiel des Obstruktiven Schlafapnoesyndroms (OSA) kurz dargelegt wird.

Obstruktives Schlafapnoesyndrom

Das im Schlaf auftretende OSA entsteht aufgrund eines verminderten Spannungszustandes der Muskulatur der oberen Atemwege, der durch einen beim Einatmen entstehenden Unterdruck zu einer partiellen oder kompletten Verengung der Atemwege (Obstruktion) und somit im schlimmsten Fall zu Atemaussetzern führen kann (DGSM, 2017).

Risikofaktoren, die zum OSA führen, sowie Symptome und Folgeerkrankungen unbehandelter OSA können der folgenden Auflistung entnommen werden.

Auswahl an Risikofaktoren, Symptomen und Folgeerkrankungen von OSA (DGSM, 2017)

  • Übergewicht/Adipositas
  • männliches Geschlecht
  • höheres Lebensalter
  • Alkohol- und Nikotinabusus
  • Einnahme von Beta-Blockern oder Sedativa
  • Schlaf in Rückenlage
  • Komorbiditäten wie Diabetes mellitus oder Hypertonie
  • Tagesmüdigkeit (Leitsymptom)
  • diskontinuierliches Schnarchen
  • Atemaussetzer
  • Abnahme von Tiefschlafphasen
  • Schwankung von Vitalparametern
  • Kopfschmerzen
  • Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen sowie verminderte Leistungsfähigkeit
  • Herzrhythmusstörungen
  • Atherosklerose
  • Herzinsuffizienz
  • Koronare Herzkrankheit
  • Myokardinfarkt
  • Apoplex
  • erektile Dysfunktion

Aufgrund einer unzureichenden bevölkerungsbezogenen Datenlage lässt sich die OSA-Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) nur schwer abschätzen und wird – bei einem Prävalenzanstieg in den letzten Dekaden – zwischen 2 und weit über 7 Prozent geschätzt (Punjab, 2008).

Die OSA-Diagnostik erfolgt gemäß Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) abgestuft (G-BA, 2006). Bei schlafmedizinischen Untersuchungsmethoden, wie der sogenannten kardiorespiratorischen Polygrafie (Stufe 3), die ambulant durchgeführt werden kann, oder der Polysomnografie (Stufe 4), der Schlaflaboruntersuchung, wird als Hauptbefund der Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) bestimmt, der die Anzahl an Atemaussetzern bzw. –stillständen (Apnoe) und die Verminderung der Atmung bzw. des Atemflusses (Hypopnoe) pro Stunde Schlaf angibt und eine Schweregraduierung ermöglicht (Ruehland, et al., 2009). OSA sind bei einem AHI ≤15 als leicht, >15 und <30 als mittelgradig und ab ≥30 als schwer definiert. Eine Behandlungsbedürftigkeit des OSA liegt in Anlehnung an die internationale Klassifikation von Schlafstörungen (International Classification of Sleep Disorders; ICSD-3) vor, wenn der AHI >15/h beträgt, bei einem AHI von ≥5/h Schlafzeit sowie beim Vorliegen typischer klinischer Symptome und Risikofaktoren. Therapieziel ist neben der Besserung der Symptomatik auch die Vermeidung von Folgeerkrankungen (DGSM, 2017).

Therapie des OSA – Status quo

Jede Therapie eines (leichten) OSA sollte eine Lebensstilintervention zur Reduktion von Risikofaktoren und die Optimierung der Schlafhygiene mitberücksichtigen. Insbesondere bei Übergewicht oder Adipositas ist eine Gewichtsreduktion unabdingbar. So konnte gezeigt werden, dass eine moderate Gewichtsreduktion um 10 bis 15 Prozent zu einer AHI-Reduktion von 50 Prozent führen kann (Young, Peppar, & Gottlieb, 2002). Bei einigen Betroffenen können auch operative Verfahren im Bereich der oberen Atemwege aufgrund anatomischer Gegebenheiten indiziert sein (DGSM, 2017).

Schlafender Mann mit einem Gerät zur nächtlichen Überdruckatmung

Als häufigste apparative Langzeittherapieform findet die nächtliche Überdruckatmung (positive airway pressure; PAP) Anwendung, die vom Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasst ist und gegenwärtig den „Goldstandard“ im deutschen Versorgungskontext darstellt. Die PAP-Geräte werden mittels einer Halterung am Kopf befestigt und führen der anwendenden Person über eine Atemmaske Raumluft zu. Hierbei kann die „einfache“, kontinuierliche Form der Luftzufuhr über eine Nasenmaske ((n)CPAP) von der an jeden Atemzug der anwendenden Person automatisch den Beatmungsdruck anpassenden Form (APAP) oder die auf zwei unterschiedlichen Druckniveaus beruhende Beatmung (BIPAP) unterschieden werden. Alle PAP-Therapien bergen jedoch Herausforderungen. So sorgen beispielsweise Maskenunverträglichkeit oder eine störende Geräuschkulisse für eine niedrige Therapietreue (Compliance) und verhältnismäßig hohe Therapieabbruchraten (DGSM, 2017), was für Frustration bei den Betroffenen sorgt. Es ist anzunehmen, dass vor diesem Hintergrund ein Antrag der Patientenvertretung vom 20. März 2018 beim G-BA zur Überprüfung der Unterkieferprotrusionsschiene (UPS) bei leichtem bis mittelgradigem OSA bei Erwachsenen eingereicht wurde. Dieser wurde vom G-BA am 17. Mai 2018 angenommen und eine Methodenbewertung eingeleitet (G-BA, 2018).

Unterkieferprotrusionsschiene

Die UPS ist ein Gerät, das aus je einer transparenten, aus hartem Kunststoff hergestellten Schiene für Ober- und Unterkiefer besteht, die an der Seite mit einem metallenen Steg verbunden sind. Es dient dazu, den Unterkiefer im Schlaf wenige Millimeter nach vorn zu verlagern (sogenannte Protrusion). Dies soll ein Zurückfallen des hinteren Teils der Zunge verhindern, zur Anspannung der Mundbodenmuskulatur führen und so den hinter der Zunge gelegenen Atemraum vergrößern. Bei diesem interdisziplinären Therapieansatz sind neben Vertragsärztinnen und Vertragsärzten auch Zahnmedizinerinnen und Zahnmediziner eingebunden, da die Beurteilung von Zahnstatus, Unterkieferprotrusion und Kiefergelenk obligat ist und UPS nur in einem Dentallabor individuell angefertigt und in der zahnärztlichen Praxis angepasst werden können (Stuck, et al., 2020; DGHNO-KHC, 2019). Dies ist auch deshalb von Relevanz, da gegenwärtig mögliche Kiefergelenksschädigungen durch UPS-Therapien nicht abschließend wissenschaftlich beurteilt werden können. Einschlägige Leitlinien empfehlen die UPS, die von Anwendern meist gut toleriert und gegenüber PAP eher bevorzugt wird, bei leichtem bis mittelgradigem OSA als Alternative zur PAP (DGSM, 2017).

Die Ergebnisse des Berichtes des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), die der G-BA im Rahmen seines Methodenbewertungsverfahrens heranzog, zeigten Hinweise auf einen Nutzen der UPS im Vergleich zu keiner Behandlung bzw. zu einer Scheinbehandlung (Placebo). Die UPS ist der PAP bezüglich der Tagesmüdigkeit nicht unterlegen, d. h. nicht wesentlich schlechter. Allerdings ist die PAP der UPS in Bezug auf den AHI überlegen. Aufgrund fehlender Daten konnte keine Bewertung von kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität erfolgen (IQWiG, 2020). Entsprechend wurde die Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (MVV-RL) des G-BA geändert, Eckpunkte zur Qualitätssicherung erstellt und die UPS als Zweitlinientherapie, bei Unverträglichkeit oder nicht erfolgreicher Durchführung von PAP Bestandteil des GKV-Leistungskataloges (Bundesanzeiger, 2021). Aufgrund des fehlenden wissenschaftlichen Nachweises (Evidenz) ihres Nutzens sind von diesem Beschluss vorgefertigte, aus weichem Kunststoff bestehende Schienen (sogenannte konfektionierte, thermoplastische boil-and-bite-Schienen) nicht umfasst. Deren Haltbarkeit und Wirksamkeit wird auch in der Fachwelt kritisch beurteilt (DGHNO-KHC, 2019).

Weitere „innovative“ Verfahren auf dem Weg in die Versorgung?!

Neben den genannten gibt es weitere Ansätze zur OSA-Therapie.

Da bekannt ist, dass 25 bis 30 Prozent der Fälle auf rückenlageabhängige OSA entfallen, können diejenigen Betroffenen, deren AHI in Rückenlage doppelt so hoch ist wie bspw. in Seitenschläferposition, eine Lagetherapie erhalten (Berry, et al., 2019). Bei dieser werden passive (Tennisballtechnik [tennis ball technique], Lagekissen und –rucksäcke oder Rückenlageverhinderungswesten) und aktive Verfahren (Lagetrainer oder über Algorithmen gesteuerte Vibrationsalarme) unterschieden, welche die anwendende Person dahingehend mechanisch beeinflussen, in einer anderen als der Rückenlage zu schlafen (Stuck, et al., 2020). Da bei allen Lageverfahren ein Nutzennachweis aussteht, sind diese gegenwärtig keine GKV-Leistung. Allerdings hat der G-BA mit Beschluss vom 16. Juli 2020 einen Antrag auf Erprobung der „Schlafpositionstherapie bei milder bis mittelgradiger lageabhängiger obstruktiver Schlafapnoe“ angenommen, der Methode das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative beschieden und Beratungen für eine Erprobungs-Richtlinie eingeleitet. Im Rahmen der Erprobungsstudie soll die identifizierte Evidenzlücke geschlossen werden, sodass im Anschluss daran eine abschließende Nutzenbewertung erfolgen kann (G-BA, 2020a).

Dass die OSA-Therapie nicht nur ambulant, sondern ebenso im stationären Sektor verortet und zumindest auch dort technologischen Weiterentwicklungen unterworfen ist, illustriert bspw. der Beschluss des G-BA zur „Stimulation des Nervus hypoglossus durch ein teilimplantierbares Stimulationssystem bei obstruktiver Schlafapnoe“ vom 5. März 2020. Der Hersteller eines solchen „Zungenschrittmachers“ wollte Auskunft darüber, ob die Methode dem besonderen Bewertungsverfahren nach §137h Absatz 1 Satz 4 SGB V unterfällt. Der G-BA verneinte dies in dem Fall, da sich dieser teilimplantierbare nicht wesentlich von einem vollimplantierbaren Zungenschrittmacher unterscheidet, der bereits in der Krankenhausbehandlung angewendet wird. Das Wirkprinzip dieser Methode beruht auf der elektrischen Stimulation des Zungennervs (Nervus hypoglossus), was zur Kontraktion und Anhebung des Zungenmuskels führt und somit dem Freihalten des Atemwegs dienen soll. Dazu ist je nach verwendetem Medizinprodukt eine Implantation von Elektroden an den Nervenästen im Halsbereich sowie weiterer Geräte im Bereich des Oberkörpers notwendig (G-BA, 2020b). Bei dieser Einschätzung ist jedoch zu beachten, dass der G-BA keine Bewertung der Evidenz für diese Methode vorgenommen hat. Dass die Methode gemäß den Bewertungskriterien des §137h SGB V als „systematisch in die stationäre Versorgung eingeführte Herangehensweise“ anzusehen ist, bedeutet für sich genommen nicht, dass der Nutzen belegt ist oder dass sie das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative aufweist. Dennoch können bereits seit einigen Jahren zusätzliche Entgelte für diese neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB-Entgelte) vereinbart werden.

Auch wenn es diverse (experimentelle) medikamentöse Therapieversuche des OSA gibt, die häufig primär vorliegende Grunderkrankungen und Komorbiditäten adressieren, so gilt unverändert, dass derzeit aufgrund des Fehlens eines Wirksamkeitsnachweises keine medikamentöse Therapie des OSA empfohlen wird (DGSM, 2017; DGHNO-KHC, 2019).

Literaturverzeichnis

Berry, R., Uhle, M., Abaluck, B., Winslow, D., Schweitzer, P., Gaskins, R., . . . Emsellem, H. (2019). NightBalance Sleep Position Treatment Device Versus Auto-Adjusting Positive Airway Pressure for Treatment of Positional Obstructive Sleep Apnea. J Clin Sleep Med, 15(7), S. 947-956.

Bundesanzeiger. (2021). Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung: Unterkieferprotrusionsschiene bei obstruktiver Schlafapnoe. Abgerufen am 12.03.2021 von www.bundesanzeiger.de/pub/de/amtliche-veroeffentlichung?1

DGHNO-KHC. (2019). S3-Leitlinie (Langfassung): Diagnostik und Therapie des Schnarchens des Erwachsenen. Abgerufen am 30.10.2020 von https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/017-068l_S3_Diagnostik_Therapie_Schnarchen_Erwachsene_2019-8.pdf

DGSM. (2017). S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen – Kapitel „Schlafbezogene Atmungsstörungen“. Somnologie, 20 (Suppl s2), S. 97-180.

G-BA. (2006). Diagnostik und Therapie der schlafbezogenen Atmungsstörungen. Abgerufen am 30.10.2020 von https://www.g-ba.de/downloads/40-268-234/2006-01-27-Abschluss-Polygraphie.pdf

G-BA. (2018). Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Einleitung des Beratungsverfahrens: Unterkieferprotrusionsschiene bei leichter bis mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe bei Erwachsenen gemäß §135 Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Abgerufen am 29.10.2020 von https://www.g-ba.de/downloads/39-261-3342/2018-05-17_MVV-RL-Unterkieferprotrusionsschiene-bei-Schlafapnoe-Antragsannahme.pdf

G-BA. (2020a). Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über einen Antrag auf Erprobung gemäß § 137e Absatz 7 SGB V: Schlafpositionstherapie bei milder bis mittelgradiger lageabhängiger obstruktiver Schlafapnoe. Abgerufen am 30.10.2020 von https://www.g-ba.de/downloads/39-261-4376/2020-07-16_Einleitung-Beratungsverfahren-Erp-RL_Schlafpositionstherapie-obstrukt-Schlafapnoe.pdf

G-BA. (2020b). Tragende Gründezum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß 2. Kapitel § 38 Absatz 2 Satz 1 der Verfahrensordnung: Stimulation des Nervus hypoglossus durch ein teilimplantierbares Stimulationssystem bei obstruktiver Schlafapnoe. Abgerufen am 30.10.2020 von https://www.g-ba.de/downloads/40-268-6402/2020-03-05_137h_BAh-19-002_HGNS-OSA_TrG.pdf

IQWiG. (2020). Unterkieferprotrusionsschiene bei leichter bis mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe bei Erwachsenen: Abschlussbericht. Abgerufen am 29.10.2020 von https://www.iqwig.de/de/projekte-ergebnisse/publikationen/iqwig-berichte.1071.html

Punjab, N. (2008). The Epidemiology of Adult Obstructive Sleep Apnea. Proc Am Thorac Soc, 5, S. 136-143.

Ruehland, W., Rochford, P., O’Donoghue, F., Pierce, R., Singh, P., & Thornton, A. (2009). The New AAsm Criteria for scoring Hypopneas: Impact on the Apnea Hypopnea Index. Sleep, 32(2), S. 150-157.

Stuck, B., Arzt, M., Fietze, I., Galetke, W., Hein, H., Heiser, C., . . . Wiater, A. (2020). Teil-Aktualisierung S3-Leitlinie Schlafbezogene Atmungsstörungen bei Erwachsenen. Somnologie, 24, S. 176-208.

Young, T., Peppar, P., & Gottlieb, D. (2002). Epidemiology of Obstructive Sleep Apnea: A Population Health Perspective. Am J Respir Crit Care Med, 165, S. 1217-1239.

Über den Autoren und die Autorin

Dr. med. dent. Nick Bertram, MPH

Dr. Nick Bertram ist Fachreferent im Team Erprobung in der Abteilung Medizin beim GKV-Spitzenverband.

Friederike Kuhnt

Autorin Friederike Kuhnt

Friederike Kuhnt ist Fachreferentin und Teamleiterin im Team Erprobung in der Abteilung Medizin beim GKV-Spitzenverband.

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