Schätzerkreis-Prognose

COVID-19-Pandemie stellt GKV-Finanzierung vor erhebliche Herausforderung

November 2020

Am 12. und 13. Oktober 2020 hat der GKV-Schätzerkreis die Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in den Jahren 2020 und 2021 prognostiziert. Die jährlich jeweils zum 15. Oktober von den Finanzexpertinnen und -experten des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) und des GKV-Spitzenverbandes abzugebende Prognose konnte von den Beteiligten — wie bereits im Vorjahr — hinsichtlich der Einnahmen einvernehmlich abgegeben werden. Bei der Höhe der zu erwartenden Ausgaben lagen die Schätzungen des GKV-Spitzenverbandes allerdings über denen des Ministeriums und des BAS.

Prognose 2020

Die Einnahmen des Gesundheitsfonds werden für das laufende Jahr einvernehmlich auf 239,6 Mrd. Euro geschätzt. Darin enthalten sind die jährliche Bundesbeteiligung für versicherungsfremde Leistungen in Höhe von 14,5 Mrd. Euro (abzüglich des Anteils der landwirtschaftlichen Krankenkasse) sowie die ergänzende Bundesbeteiligung von 3,5 Mrd. Euro, die der Bund der Krankenversicherung zusätzlich zur Bewältigung der Pandemiefolgen im Juli gezahlt hat, und eine Entnahme aus der Liquiditätsreserve in Höhe von 0,2 Mrd. Euro zum Ausgleich einer von den Krankenkassen zu finanzierenden Tarifsteigerung für Krankenhausbeschäftigte. Die den Krankenkassen gesetzlich zugesicherten Zuweisungen des Gesundheitsfonds betragen in diesem Jahr unverändert 240,2 Mrd. Euro.

Die voraussichtlichen Ausgaben der Krankenkassen im Jahr 2020 werden von BMG und BAS auf 257,8 Mrd. Euro geschätzt, vom GKV-Spitzenverband auf 258,6 Mrd. Euro. Damit werden die Krankenkassen für 2020 mehrheitlich negative Ergebnisse verzeichnen. Neben den Belastungen durch die Covid-19-Pandemie sind die Gründe vielfältig. Ausschlaggebend sind vor allem zwei Faktoren:

  • der bereits 2019 mit dem GKV-Versichertenentlastungsgesetz vorgegebene Abbau von Finanzreserven und damit einhergehend die Erhebung nicht vollständig ausgabendeckender Zusatzbeiträge
  • sowie die ohnehin starke Ausgabendynamik, die neben pandemiebedingten Sonderbelastungen auch durch zahlreiche Reformgesetze der letzten Jahre bedingt ist Zum Jahresende werden die Krankenkassen voraussichtlich rd. 3,8 Mrd. Euro ihrer Vermögen (Betriebsmittel und Rücklage) abgebaut haben.

Prognose 2021

Für das kommende Jahr erwartet der Schätzerkreis einvernehmlich Einnahmen des Gesundheitsfonds in Höhe von rd. 255,0 Mrd. Euro. Neben den geschätzten Beitragseinnahmen aus dem allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent in Höhe von 223,7 Mrd. Euro und den Einnahmen aus geringfügiger Beschäftigung (3,0 Mrd. Euro) wurden hierbei auch die für die Bewältigung der Pandemiefolgen um 5 Mrd. Euro erhöhte Bundesbeteiligung berücksichtigt (19,4 Mrd. Euro). Den Einnahmen zugerechnet wurden zudem die mit dem Regierungsentwurf für ein Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz vorgesehenen Vermögensübertragungen aus den Finanzreserven der Krankenkassen in Höhe von 8,0 Mrd. Euro sowie die nach dem GKV-Betriebsrentenfreibetragsgesetz vorgesehene Entnahme von 0,9 Mrd. Euro aus der Liquiditätsreserve zum teilweisen Ausgleich von Mindereinnahmen durch den im Jahr 2020 eingeführten Freibetrag auf betriebliche Versorgungsbezüge.

Aufeinandergestapelte Münzen

Die Ausgaben der Krankenkassen werden im Jahr 2021 aus Sicht von BMG und BAS rd. 274,9 Mrd. Euro betragen, aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes dagegen 276,6 Mrd. Euro. Der Ausgabenanstieg beträgt damit gegenüber dem Vorjahr 6,6 bzw. 6,9 Prozent, während der Anstieg der beitragspflichtigen Einnahmen aufgrund der schwierigen pandemiebedingten Konjunkturerwartungen nur auf 2,4 Prozent geschätzt wurde.

Da die erwarteten Nettoeinnahmen des Gesundheitsfonds in Höhe von 255,0 Mrd. Euro den Krankenkassen als Zuweisungen für das Jahr 2021 zugesichert werden, ergibt sich für die Krankenkassen eine rechnerische Unterdeckung von rd. 19,9 Mrd. Euro (BMG/BAS) bzw. 21,6 Mrd. Euro (GKV-Spitzenverband), die angesichts des bereits fortgeschrittenen Vermögensabbaus im Wesentlichen über höhere Zusatzbeiträge zu finanzieren sein wird. Rechnerisch entspricht die Unterdeckung einem durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzbedarf von 1,3 bzw. 1,4 Prozentpunkten.

Finanzierung durch Reserven wirft Fragen für 2022 auf

Insgesamt stellt die COVID-19-Pandemie für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung eine große Herausforderung dar. Das Zuweisungsvolumen für das Jahr 2021 wird durch einmalige Sonderzahlungen aus den Finanzreserven einzelner Krankenkassen und aus dem Bundeshaushalt allein um insgesamt 13 Mrd. Euro aufgefüllt, um den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz der Krankenversicherung nicht über 1,3 Prozent steigen zu lassen. Zugleich soll damit die von der Bundesregierung zugesicherte Sozialgarantie eingehalten werden; die Regierung hatte erklärt, dass der Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz 2021 nicht über 40 Prozent steigen solle. Das Zusatzbeitragssatzniveau wird entsprechend begrenzt auf ein Jahr um etwa 0,8 Prozentpunkte gestützt. Die Maßnahmen werfen folglich schon jetzt die Frage auf, wie über das Jahr 2021 hinaus ein absehbar weiter steigendes Ausgabenniveau ohne sprunghaft steigende Zusatzbeiträge finanziert werden kann.

Schätzwerte des GKV-Schätzerkreises für die Krankenkassen vom 13.10.2020 für das Jahr 2021

in Mio. Euro; Werte gerundet, daher rechnerische Abweichungen möglich

  BMG/BAS GKV-SV
Einnahmen des Gesundheitsfonds = Zuweisungen* 255,0 255,0
Erwartete Ausgaben der Krankenkassen 274,9 276,6
--> rechnerische Unterdeckung -19,9 -21,6
durchschnittlicher Zusatzbeitragssatzbedarf 1,3 % 1,4 %
*inkl. der Vermögensübertragungen aus den Finanzreserven der Krankenkassen und der Zuführung aus der Liquiditätsreserve

Daneben stellt die vorgesehene Abführung von acht Milliarden Euro aus dem Vermögen der einzelnen Krankenkassen einen massiven Eingriff in die Finanzautonomie der selbstverwalteten gesetzlichen Krankenkassen dar. Außerdem wird hiermit ein fatales Signal an die Krankenkassen gesandt, die Rücklagen in rechtlich zulässiger und wirtschaftlich vorausschauender Weise gebildet haben.

Ausblick

Das BMG hat am 30. Oktober 2020 den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2021 in der Höhe von 1,3 Prozent festgesetzt. Damit folgt das BMG erwartungsgemäß der BMG/BAS-seitigen Prognose der Einnahmen und Ausgaben im Jahr 2021 im GKV-Schätzerkreis. Dieser Durchschnitt, der gegenwärtig noch bei 1,1 Prozent liegt, dient zum einen den Krankenkassen als Benchmark im Wettbewerb. Zum anderen ist er für einige Mitgliedergruppen, etwa für die Beziehenden von Arbeitslosengeld II anstelle der kassenspezifischen Zusatzbeitragssätze der Beitragsberechnung zugrunde zu legen.

Die einzelnen Krankenkassen entscheiden jeweils zum Jahreswechsel über die Anpassung ihrer Zusatzbeitragssätze. Aus der Gesamtentwicklung ergibt sich, dass die Zusatzbeitragssätze im nächsten Jahr deutlich angehoben werden müssen. (kme)

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