Zusammenfassung

Seit Jahren besteht ein Defizit bei der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit einer hüftgelenknahen Femurfraktur. Das zeigt ein Indikator des ESQS-Verfahrens (Externe stationäre Qualitätssicherung), der die Zeitspanne zwischen Aufnahme in ein Krankenhaus und Operation misst. Ein Operationsaufschub bedeutet eine potenzielle Gefährdung für Patientinnen und Patienten, denn ihre Prognose ist im Wesentlichen von der frühzeitigen operativen Versorgung abhängig. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen konnten diesen Zusammenhang zwischen Operationszeitpunkt und Morbiditäts- und Mortalitätsraten nachweisen. Die Ursachen für den Operationsaufschub sind bekannt: Sie sind meistens struktureller oder organisatorischer Art. Wir berichteten dazu in der Dezember Ausgabe von 90 Prozent.

Auf Initiative des GKV-Spitzenverbandes wurde Anfang 2018 im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Aufgabe der Arbeitsgruppe: Entwicklung einer Struktur- und Prozessqualitätsrichtlinie „QS Femurfraktur“. Diese Richtlinie wird zurzeit beraten, ein Beschluss ist für Mitte des Jahres zu erwarten. Der Artikel stellt im Folgenden die wesentlichen Inhalte und Zielsetzungen der Richtlinie aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes dar.

Inhaltlich verfolgt die Richtlinie drei unterschiedliche Ansätze:

  • Definition von strukturellen Anforderungen an eine Abteilung, die hüftgelenknahe Femurfrakturen versorgt, im Sinne von Mindestanforderungen, die jederzeit erfüllt werden müssen.
  • Verpflichtung der Krankenhäuser zur Formulierung verbindlicher SOPs (Standard Operating Procedures) zu den Problemfeldern, die als ursächlich für organisatorische Mängel identifiziert wurden.
  • Einbezug geriatrischer Expertise in die stationäre Akutbehandlung.

Die ersten beiden Maßnahmen sind darauf ausgelegt, die präoperative Verweildauer zu reduzieren. Der dritte Ansatz der Richtlinie ist innovativ: Der Einbezug geriatrischer Expertise ermöglicht eine interdisziplinäre Therapie im Sinne einer ortho-geriatrischen Kooperation, die zu einer Verbesserung des Versorgungsergebnisses führen soll. Internationale und zuletzt nationale Forschungsergebnisse zeigten, dass eine abgestimmte interdisziplinäre Therapie sowohl die Mortalitätsrate als auch die Rate von perioperativen Komplikationen senkt und den Erhalt der Selbstständigkeit positiv unterstützt. Die Anforderungen der Richtlinie bieten somit einen Einstieg in eine Versorgungsform der Zukunft, die dem demografischen Wandel mit den besonderen Anforderungen an die Versorgung einer vulnerablen Patientenklientel gerecht wird.

Nach Analyse der Ursachen für einen Operationsaufschub hat der GKV-Spitzenverband die Mindestanforderungen an eine Krankenhausabteilung, die hüftgelenknahe Femurfrakturen versorgen will, formuliert. Dies geschah auf Grundlage nationaler und internationaler Leitlinien mit hohem Empfehlungs- und Evidenzgrad und aktuellen Studienergebnissen. Die wissenschaftliche Recherche erfolgte durch die Kompetenzzentren KCG (Kompetenz-Centrum Geriatrie) und KCQ (Kompetenz-Centrum „Qualitätssicherung/Qualitätsmanagement“ der MDK-Gemeinschaft und des GKV-Spitzenverbandes). Die Gutachten der Kompetenzzentren sind veröffentlicht und können unter folgenden links aufgerufen werden:

Ziel ist es, durch die verpflichtende Umsetzung der Richtlinienvorgaben endlich eine Qualitätsverbesserung für die stationäre Versorgung alter, gebrechlicher Patientinnen und Patienten zu erreichen. Eine Nichterfüllung der Anforderungen wird für die betreffenden Kliniken Konsequenzen in Bezug auf Vergütung und Leistungserbringung haben. Im Sinne der Patientensicherheit darf in Zukunft die Versorgung nur noch in den Krankenhäusern stattfinden, die Mindestanforderungen erfüllen. Die Prozesse der Umsetzung werden in den nächsten Jahren durch eine Evaluation begleitet.

Hintergrund: Der Qualitätsindikator: „Präoperative Verweildauer“

Ende der 1970er-/Anfang der 1980er -Jahre startete in Eigeninitiative von deutschen Chirurginnen und Chirurgen ein an medizinischen Zielen orientiertes Qualitätsmanagement-Verfahren, das auf freiwillige Teilnahme der Krankenhäuser setzte und den Teilnehmenden die Möglichkeit bot, datengestützt frühzeitig Defizite in der Versorgung zu erkennen und anzugehen. Das Verfahren beschränkte sich auf wenige Diagnosen, die als sogenannte Tracer (Leitmerkmale) fungierten. Es wurde zwischen 1980 und 1983 flächendeckend in Nordrheinwestfalen erprobt und seit 1987 in allen chirurgischen Kliniken eingesetzt (vgl. Scheibe 1995).

Eine der Tracerdiagnosen war die „Schenkelhalsfraktur“, der Indikator zur präoperativen Liegezeit ein Maß für die Qualität der Versorgung einer chirurgischen Abteilung.

Auch international hat der Qualitätsindikator einen bedeutenden Stellenwert. Als „Health Care Quality Indicator“ der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) steht er für Patientensicherheit, die vergleichende Darstellung der Ergebnisse erlaubt Rückschlüsse auf die Gesundheitssysteme.

Im OECD-Bericht findet man auch die deutschen Ergebnisse: an neunter Stelle unter 25 Ländern. Norwegen, Dänemark und Holland belegen die ersten drei Plätze, hier werden Patientinnen und Patienten deutlich früher nach ihrer stationären Aufnahme operiert.

Warum werden hüftgelenknahe Femurfrakturen oft erst deutlich später als empfohlen operiert?

Nach über 20 Jahren stationärer Qualitätssicherung ist das Thema „präoperative Verweildauer“ leider immer noch aktuell, denn die Ergebnisse sind bundesweit nach wie vor nicht innerhalb des vom Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) empfohlenen und vom G-BA festgelegten Referenzbereichs. Gründe für einen Operationsaufschub sind seit langem aus Analysen des Strukturierten Dialogs bekannt, sie lassen sich im Wesentlichen in zwei Kategorien einteilen: organisatorisch-strukturelle sowie patientenbezogene Gründe.

Zu den organisatorisch-strukturellen Defiziten gehören unter anderem Personalengpässe im Nacht- oder Wochenenddienst, unzureichende Überwachungs- und Operationskapazitäten, aber auch eine krankenhausintern ungeklärte Priorisierung von Operationen kann zu einem Aufschub führen. Häufig genannte patientenbezogenen Gründe sind ungeklärte Betreuungsverhältnisse, die ein wirksames Aufklärungsgespräch über die geplante Operation verzögern. Eine verlängerte präoperative Verweildauer kann auch durch einen primär instabilen Zustand der Patientin oder des Patienten bedingt sein, ungeklärtes interdisziplinäres Vorgehen wie auch fehlende verbindliche Anweisungen zum Umgang mit gerinnungshemmender Medikation können Verzögerungen verursachen.

In den letzten Jahren gab es auf Landesebene verstärkte Anstrengungen, das Ergebnis des Indikators durch intensiven Austausch im Sinne von „Lernen vom Besten“ bundesweit zu verbessern.

Die Ergebnisse der letzten Bundesauswertung erreichten aber nach wie vor nicht den „unauffälligen Bereich“. Nach Bewertung des IQTIG liegen gravierende Defizite in der Versorgung vor, deren Ausmaß über das Qualitätsdefizit einzelner Einrichtungen hinausgeht. Konsequenterweise müssen weiterreichende Maßnahmen ergriffen werden (vgl. Qualitätsreport 2017).

Mindestanforderungen

Ziel der Richtlinie ist es, eine zeitnahe Operation innerhalb von 24 Stunden sicherzustellen und die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit hüftgelenknaher Femurfraktur zu verbessern.

Im Dezember 2017 hat der G-BA den Beschluss gefasst, Mindestanforderungen an Krankenhausabteilungen, die notfallmäßig hüftgelenknahe Femurfrakturen versorgen wollen, in einer Richtlinie festzulegen.

Diesem Beschluss war eine Initiative des GKV-Spitzenverbandes vorausgegangen, der auf den dringenden Handlungsbedarf hinwies. Hintergrund waren die erneut unzureichenden Ergebnisse der Bundesauswertung des IQTIG wie auch die aktuelle Veröffentlichung der Ergebnisse einer großangelegten kanadischen Studie zur Versorgung hüftgelenknaher Femurfrakturen. In dieser Studie konnten Pincus und Kollegen nachweisen, dass Patientinnen und Patienten, die mehr als 24 Stunden nach der Krankenhausaufnahme operiert wurden, ein signifikant höheres Risiko bezüglich ihrer 30-Tage-Mortalität hatten.

Strukturelle Anforderungen an eine Krankenhausabteilung müssen geeignet und angemessen sein. Daher müssen sie aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes zumindest den Anforderungen der Basisstufe der Regelungen zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern gemäß § 136c Absatz 4 SGB V entsprechen. Der G-BA hat diese Regelungen im April 2018 zur Stärkung und Verbesserung der Qualität in der Krankenhausversorgung beschlossen. Sie stellen „unverzichtbare medizinische Anforderungen in der Notfallversorgung“ dar und setzen damit qualitätssichernde Standards für Notfallstrukturen im Sinne der „Patientensicherheit“.

Kern der Regelungen ist die jederzeitige 24/7-Verfügbarkeit von Fachpersonal und apparativen Einrichtungen. Ausreichende Überwachungsmöglichkeiten und eine Abteilung für Innere Medizin müssen am Standort ebenfalls zur Verfügung stehen. Neben diesen Anforderungen aus den Notfallregelungen fordern wir die operative Versorgung unter aktiver Beteiligung einer Fachärztin oder eines Facharztes, den frühzeitigen Einsatz der Physiotherapie ab dem ersten postoperativen Tag sowie die Hinzuziehung einer Geriaterin bzw. eines Geriaters als weitere Mindestanforderungen.

Werden die Anforderungen der Notfallstufenregelung zu Versorgungsengpässen führen?

Um abschätzen und darstellen zu können, inwieweit die Notfallstufenregelung die Versorgungslandschaft verändert, haben wir Auswertungen auf Grundlage von Krankenkassendaten des Jahres 2016 durchgeführt: Die kartografische Auswertung (s. u.) stellt die Standorte dar, die Femurfrakturen versorgen (grüne Kreise). Unter diesen werden die Standorte ausgewiesen, die keine Einstufung nach dem Notfallstufenkonzept für Erwachsene aufweisen und demnach die Anforderungen nicht erfüllen (violette Kreise). Die Größe der Kreise entspricht der Anzahl der am jeweiligen Standort behandelten Fälle.

Betrachtet man Zahl und Verteilung der Standorte in dieser durchaus plakativen Darstellung, sind zwei Dinge offensichtlich:

  • Die Versorgung der Patientinnen und Patienten ist gesichert und viele Teile Deutschlands sind eher überversorgt.
  • Auch in strukturschwächeren Ländern wird es nicht zu einem Versorgungsengpass kommen.

Abbildung 2: Krankenhäuser mit operativer Versorgung von hüftgelenknahen Femurfrakturen
Quelle und Darstellung: GKV Spitzenverband

Nach Auswertung der Daten erfüllen 221 von 1.247 Standorten nicht die Anforderungen. Diese Standorte versorgten 2016 insgesamt 7.472 aller 124.618 Fälle. Eine operative Versorgung von Patientinnen und Patienten mit einer hüftgelenknahen Femurfraktur sollte nach Meinung des GKV-Spitzenverbandes hier nicht mehr erfolgen.

Fokus Alterstraumatologie

Ziele der Qualitätssicherung müssen sich in erster Linie „am Nutzen für den Patienten“ orientieren (§2 Vereinbarung über Maßnahmen der Qualitätssicherung für nach §108 SGBV zugelassene Krankenhäuser gemäß §137 Abs. 1 Satz 3 Nr.1 SGB V mit § 135a SGB V).

Alterstraumatologie bezeichnet die Unfallversorgung von Patientinnen und Patienten, die älter als 65 Jahre sind. In Deutschland werden derzeit mehr als 400.000 alterstraumatologische Frakturen (Frakturen der Wirbelkörper, des Handgelenks, des Oberarms und des hüftgelenknahen Oberschenkels) pro Jahr stationär behandelt. Die Femurfraktur ist die mit Abstand am häufigsten im Krankenhaus behandelte Fraktur (vgl. Dyer et al. 2016).

Die meisten Patientinnen und Patienten mit einer Femurfraktur sind über 80 Jahre alt, multimorbide, funktionell eingeschränkt und gebrechlich. Sie sind Risikopatientinnen und -patienten mit kritischer Prognose: 10 Prozent von ihnen sterben innerhalb der ersten 30 Tage nach dem Sturz. Bis zu 20 Prozent verlieren ihre Selbstständigkeit und müssen im Folgejahr in einer Pflegeeinrichtung untergebracht werden. Nur 40 bis 60 Prozent der Patientinnen und Patienten erreichen nach einer hüftgelenknahen Oberschenkelfraktur ihr vorheriges Aktivitätsniveau (vgl. Weißbuch Alterstraumatologie).

Nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes wird das Problem weiter zunehmen: Die Alterung schlägt sich besonders gravierend in den Zahlen der „Hochbetagten“ nieder. 2060 wird in Deutschland ein Drittel der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein, die Zahl der Hochbetagten (über 80 Jahre) wird bis 2050 auf circa 10 Millionen ansteigen (vgl. Statistisches Bundesamt 2015). Der Anteil der Bevölkerung über 80 Jahre wird sich damit auf 15 Prozent erhöhen (vgl. Statistisches Bundesamt Datenreport 2018).

Der Einbezug geriatrischer Kompetenz in die stationäre Versorgung von Patienten mit einer Femurfraktur verbessert signifikant das Behandlungsergebnis und stellt den Anschluss an gängige internationale Standards sicher.

Die Komplexität alter Patientinnen und Patienten erfordert neue Konzepte, die über die operative Versorgung hinausgehen und die besonderen Bedarfe dieser Patientenklientel berücksichtigen. Die Richtlinie verfolgt diesen Ansatz, indem sie den Einbezug geriatrischer Expertise in die stationäre Behandlung aus folgenden Gründen fordert:

Die Notwendigkeit, frühzeitig im Team eine speziell auf den alten, multimorbiden Patientinnen und Patienten abgestimmte Therapie zu entwickeln, wurde im Ausland und in den letzten Jahren auch in Initiativen der deutschen Fachgesellschaften wie der DGU (Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie) und der DGG (Deutsche Gesellschaft für Geriatrie) erkannt.

  • Die Fachgesellschaften entwickelten Zertifizierungskriterien für sogenannte Alterstraumazentren, die bereits eine enge interdisziplinäre Behandlung unter Einbezug geriatrischer Expertise umsetzen. Seit dem Start der Initiative im Jahr 2014 wurden bereits 75 Zentren als AltersTraumaZentrum DGU® in Deutschland und in der Schweiz zertifiziert.
  • Im September 2018 wurde das Weißbuch Alterstraumatologie gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie herausgegeben. Es enthält Empfehlungen für die Behandlung von Verletzungen im Alter und benennt Kriterien für eine optimierte Versorgung von älteren Patientinnen und Patienten mit Knochenbrüchen. Zeitgleich mit dem Weißbuch wurden erste Ergebnisse der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Studie „Prävention, Therapie und Rehabilitation osteoporotischer Frakturen in benachteiligten Populationen“ (PROFinD) veröffentlicht. Sie zeigen den deutlichen Benefit einer ortho-geriatrischen Kooperation und frühzeitigen Therapie gegenüber der Standardtherapie in Bezug auf die 30-Tage-Mortalität. Das Risiko zu versterben war in der Gruppe ohne geriatrisch-unfallchirurgisches Co-Management während der ersten Wochen deutlich höher.

Neben diesen aktuellen Erkenntnissen konnte das KCG in seiner gutachterlichen Stellungnahme für den GKV-Spitzenverband eine belastbare Evidenz aus Metaanalysen internationaler Studien für die Wirksamkeit ortho-geriatrischer Kooperationen in der Versorgung älterer Hüftfrakturpatientinnen und –patienten nachweisen. Die gemeinsame Behandlung durch unfallchirurgische und geriaterische Teams verbessert demnach das Ergebnis in Bezug auf die Mortalität im Krankenhaus, auf eine notwendige Heimaufnahme, auf Delir Raten und auf den funktionalen Status.

Aktuell widmet unter dem Titel „Gebrechliche ältere Patienten in der perioperativen Medizin“ das Deutsche Ärzteblatt dem Thema am 1. Februar 2019 eine Übersichtsarbeit. Auch hier fordern die Autoren konsequenterweise die Entwicklung von interdisziplinären und evidenzbasierten Behandlungskonzepten für ältere Patientinnen und Patienten, die sich einer Operation unterziehen müssen. Der Einbezug einer Geriaterin oder eines Geriaters, die frühe Mobilisation und die definitive operative Versorgung, die möglichst sofortige Vollbelastung erlaubt, werden als essenziell angesehen (vgl. Olotu et al. 2019).

Das Konzept einer ortho-geriatrischen Kooperation ist bisher in Deutschland noch kein flächendeckender Standard, deshalb baten wir das KCG um eine Einschätzung der Umsetzbarkeit. Nach Analysen auf Grundlage von Krankenkassendaten des Jahres 2016/2018 stellt sich folgende Versorgungslandschaft dar:

Abbildung 3: Femurfraktur-versorgende Klinken und Geriatrie-Standorte
Abfrage und Regiograph-Darstellung: KCG

Rot markiert sind 920 Geriatrie-Standorte (Krankenhäuser und Rehabilitations-Einrichtungen (Datengrundlage 2018), blau markiert die 1.260 Femurfraktur-versorgenden Kliniken (Datengrundlage 2016).

Die Darstellung zeigt eine heterogene Versorgungssituation: Für NRW, Berlin und Hamburg erscheint das Verhältnis der Standorte ausgeglichen, aber in weiten Teilen des Landes besteht momentan auf Klinikebene noch ein quantitatives Ungleichgewicht zwischen unfallchirurgischen und geriatrischen Fachabteilungen.

Dennoch ist der Einstieg in eine ortho-geriatrische Kooperation aber schon heute möglich. Das KCG ermittelte 1.858 potenzielle geriatrische Kooperationspartner, die für eine konsiliarische Mitbehandlung bei Bedarf zur Verfügung stehen. Als Kooperationspartner kommen in der Darstellung des KCG alle Klinikstandorte, die eine geriatrische Komplexbehandlung abrechnen, stationäre und ambulante Rehabilitationsabteilungen und über 750 Vertragsärztinnen und -ärzte mit der Zusatz- oder Schwerpunktbezeichnung im Bereich Geriatrie in Betracht.

Zusätzlich ermöglicht eine große Anzahl von Weiterbildungsstätten eine schnelle Anpassung an die Versorgungsanforderungen, die Zusatz-Schwerpunktbezeichnung „Geriatrie“ kann hier innerhalb von 18 Monaten erworben werden.

Abbildung 4: Weiterbildungsstätten gemäß Angaben der Landesärztekammern 2018
Abfrage und Radiograph-Darstellung: KCG

Die Zusatz-Schwerpunktbezeichnung „Geriatrie“ kann an 603 Weiterbildungsstätten erworben werden.

Eine flächendeckende Umsetzung erscheint uns in den nächsten Jahren realisierbar. Als Einstiegsmodell kann das „Konsil auf Anforderung“ schon heute umgesetzt werden. Nach einer Übergangsphase ist eine weiterreichende teamorientierte und interdisziplinäre Kooperation anzustreben.

Standard Operating Procedures (SOPs)

Standards im Behandlungsablauf verbessern die Patientensicherheit

Neben den bereits beschriebenen strukturellen Defiziten berichteten viele Kliniken über organisatorische Probleme im Klinikmanagement: Operationen wurden verzögert durchgeführt, da es an verbindlichen interdisziplinären Absprachen und Anweisungen fehlte.

Ziel der Richtlinie ist es daher, neben der Vorgabe von strukturellen Mindestanforderungen Krankenhäuser zu verpflichten, für vorgegeben Problemfelder Standard Operating Procedures zu entwickeln. SOPs als Qualitätsmanagementinstrumente sollen möglichst interdisziplinär und unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Standards und Leitlinienempfehlungen abgestimmt und verbindlich umgesetzt werden. Kliniken werden sich daher intensiv und kritisch mit den eigenen klinikinternen Abläufen und Zuständigkeiten auseinandersetzen müssen, um Lösungen zu finden.

Zu folgenden Themen sind verbindliche Anweisungen zu implementieren:

  • Umgang mit ungeklärten Betreuungsverhältnissen/nicht einwilligungsfähigen Patientinnen und Patienten
  • Umgang mit gerinnungshemmender Medikation
  • Perioperative Planung: Priorisierung von Eingriffen, Planung von OP-Kapazitäten, Planung von OP-Teams
  • Operationsverfahren
  • Patientenorientiertes Blutmanagement
  • Ortho-geriatrische Zusammenarbeit

Konsequente Umsetzung: Umsetzung mit Konsequenzen

Zentrales Anliegen bei der Festlegung von Mindestanforderungen an die Versorgung der Patientinnen und Patienten ist es, dass zur Wahrung der Patientensicherheit diese nur in Krankenhäusern stattfinden darf, die die Mindestanforderungen erfüllen. Nur diese Krankenhäuser bringen die notwendige Voraussetzung mit, dass die geforderte Mindeststandards auch den Patientinnen und Patienten zugutekommen und sie möglichst zeitnah operativ versorgt werden. Folglich ist schon früh im Prozess sicher zu stellen, dass Patientinnen und Patienten nur in Krankenhäuser gelangen, welche die Anforderungen auch erfüllen.

Krankenhäuser, die die Anforderungen temporär nicht erfüllen, haben sich beim Rettungsdienst abzumelden bzw. müssen im Falle einer Notaufnahme die Patientinnen und Patienten in ein geeignetes Krankenhaus verlegen. Hier sei auf das Beispiel IVENA verwiesen (http://www.ivena.de), eine Anwendung, mit der sich die Träger der präklinischen und klinischen Patientenversorgung jederzeit in Echtzeit über die aktuelle Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten der Krankenhäuser informieren.

Hält sich ein Krankenhaus nicht an diese Vorgaben und behandelt dennoch Patientinnen und Patienten mit Femurfraktur, so handelt es sich um eine ungeeignete Versorgung, die im Rechtssinne nicht erforderlich ist - mit der Folge, dass hierfür keine Vergütung gegenüber der Krankenkasse beansprucht werden kann. Leistungen, die solche Mindestanforderungen der Qualität nicht erfüllen, verstoßen gegen das Qualitätsgebot aus § 2 Absatz 1 Satz 3 SGB V und sind weder ausreichend, noch zweckmäßig oder wirtschaftlich im Sinne von § 12 Absatz 1 Satz 1 (BSG Urteil vom 1. Juli 2014, B 1 KR 15/13 R, Rn.10 ff.).

Vor diesem Hintergrund müssen Regelungen in der Richtlinie dafür sorgen, dass die Krankenkassen umgehend darüber informiert werden, wenn ein Krankenhaus die Mindestanforderungen nicht erfüllt und ebenso erneut, wenn das Krankenhaus sie wieder erfüllt. Nur so können die Krankenkassen wirksam dafür sorgen, dass eine Vergütung in zulässiger Weise erfolgt und ihre Versicherten nur in Krankenhäusern versorgt werden, welche auch die Mindestanforderungen erfüllen.

Um auch für die Öffentlichkeit Transparenz zu schaffen, muss auch eine Darstellung der Krankenhäuser im strukturierten Qualitätsbericht erfolgen, die auf Basis der vom G-BA zur Verfügung gestellten Daten über die verschiedenen Kliniksuchportale veröffentlich werden. Hier soll wie für die datenbasierten Qualitätsindikatoren der stationären Qualitätssicherung für jedes Krankenhaus dargestellt werden, ob es die Mindestanforderungen erfüllt oder nicht, bzw. müssen Angaben über Zeiten der Erfüllung und Nichterfüllung gemacht werden. Die dafür notwendigen Daten, die zudem dem G-BA auch bei seiner Pflicht nach §137d SGB V darin unterstützen, von ihm eingeführte Qualitätssicherungsmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin zu bewerten, müssen vom G-BA jährlich über Strukturabfragen erhoben werden.

Sowohl die oben beschriebenen Informations- bzw. Nachweispflichten gegenüber den Krankenkassen als auch die jährlichen Strukturabfragen erfolgen zeitgemäß softwarebasiert und weitestgehend automatisiert. Der G-BA legt hierfür Spezifikationen fest, die von den Softwareherstellern anzuwenden sind. Hierbei ist auf Datensparsamkeit und intelligente Lösungen zur Dokumentationslast zu achten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Schutz und Vertrauen der Patientinnen und Patienten es erfordern, dass Qualitätsanforderungen konsequent eingehalten werden. Hierfür bedarf es klarer Regelungen zur Durchsetzung, für die Fälle, in denen Leistungserbringer die Qualitätsanforderungen nicht einhalten (siehe auch Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 137 Absatz 1 SGB V durch das KHSG). Für Mindestanforderungen gilt dies in besonderem Maße – niemand möchte in einem Krankenhaus behandelt werden, welches grundlegende Mindestanforderungen nicht erfüllt. Da hier unmittelbar die Patientensicherheit betroffen ist, kann es bei Mindestanforderungen keinen Spielraum geben: Nur wenn die Mindestanforderungen erfüllt werden, dürfen Patientinnen und Patienten in dem Krankenhaus versorgt werden.

Ausblick

Abbildung 5: PDCA-Zyklus
Darstellung: GKV-Spitzenverband

Was kann Qualitätssicherung leisten?

Die Historie des Qualitätsindikators „Präoperative Verweildauer bei operativer Versorgung einer hüftgelenknahen Femurfraktur“ spiegelt die Grundidee einer Prozessentwicklung im Sinne des PDCA Zyklus (Plan, Do, Check, Act) wider, die letztendlich und folgerichtig zu einem Paradigmenwechsel führt.

Der kontinuierliche Verbesserungsprozess, die Grundlage aller Qualitätsmanagementsysteme, wird angestoßen mit dem ersten, damals noch freiwilligen Einsatz des Qualitätsindikators „Präoperative Verweildauer“. Er steht für Patientensicherheit und als Prozessindikator für die Qualität der Versorgung einer chirurgischen Abteilung, da er Rückschlüsse auf organisatorische Abläufe und Strukturen einer Klinik erlaubt. Dieser Indikator wird im Rahmen der ESQS Verfahren weiter eingesetzt. Im Sinne der Qualitätsförderung wird mit auffälligen Kliniken der „Strukturierte Dialog“ geführt und Maßnahmen wie Zielvereinbarungen, kollegiale Gespräche und Begehungen werden ergriffen. In diesem Verfahren sind weiterreichende Konsequenzen für Krankenhäuser, die gegebenenfalls über Jahre auffällige Ergebnisse aufweisen, nicht verpflichtend vorgesehen.

Das Ergebnis der Bundesauswertung 2017, dargestellt im Qualitätsreport des IQTIG, zeigt, dass der Zielwert für die präoperative Verweildauer im dritten Jahr in Folge nicht erreicht wird.

Damit kommt der kontinuierliche Verbesserungsprozess an seine Grenzen: Die Sicherstellung der Versorgungsqualität und der Patientensicherheit ist mit den Mitteln eines ESQS-Verfahrens nicht mehr erreichbar. Deshalb beschließt im Dezember 2017 der G-BA auf Initiative des GKV-Spitzenverbandes, Mindestanforderungen an Krankenhausabteilungen, die notfallmäßig hüftgelenknahe Femurfrakturen versorgen wollen, in einer Richtlinie festzulegen.

Wenn es gelingt, die Rate an Komplikationen, Mortalität und Pflegebedürftigkeit signifikant durch frühe Operation und geriatrische Mitbetreuung zu senken, könnte das ein entscheidender Beitrag zur Verbesserung der Versorgung sein. Die Wirksamkeit der Richtlinie wird in den kommenden Jahren - entsprechend dem PDCA Zyklus - überprüft werden.

Quellen

Datenreport 2018 Statistisches Bundesamt
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/_Querschnitt/DemografischerWandel/DemografischerWandel.html (Zugriff 18.02.2019)

https://www.dgu-online.de/fileadmin/published_content/2.Aktuelles/Presse/PDF/2018/2018_09_26_Pressemappe_Weissbuch_Alterstraumatologie_PROFinD-Studie.pdf (Zugriff:18.02.2019)

Dyer SM, Crotty M, Fairhall N, Magaziner J, Beaupre LA, Cameron ID, Sherrington C; Fragility Fracture Network (FFN) Rehabilitation Research Special Interest Group. A critical review of the long-term disability outcomes following hip fracture. BMC Geriatr. 2016 Sep 2;16:158.

https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/PROFinD-2-Osteoporotische-Frakturen-Praevention-und-Rehabilitation.php (Zugriff:18.02.2019)

https://iqtig.org/qs-berichte/qualitaetsreport/

KCQ Kompetenz-Centrum „Qualitätssicherung/Qualitätsmanagement“ der MDK-Gemeinschaft und des GKV-Spitzenverbandes
Kralewski C, Giehl J. Hüftgelenknahe Femurfrakturen –Strukturelle und prozessuale Mindestanforderungen an das Krankenhaus. 2018
https://www.kcqq.de/de/downloads (Zugriff 18.02.2019)

KCG, Kompetenz-Centrum Geriatrie beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Hamburg
Lübke N, Meinck M. Aktualisierter Auszug aus der gutachterlichen Stellungnahme: „Vorprüfung zur Eignung orthopädisch-geriatrischer Kooperation als Element der Qualitätssicherung in der Versorgung hüftgelenksnaher Femurfrakturen im Krankenhaus" vom Juni 2018. Aspekte: Wirksamkeit orthogeriatrischer Kooperationen, Praxis und Umsetzbarkeit orthogeriatrischer Kooperationen in Deutschland. 2018https://kcgeriatrie.de/Info-Service_Geriatrie/Seiten/Vortr%C3%A4ge_und_Ver%C3%B6ffentlichungen.aspx
(Zugriff: 18.02.2019)

Langenbecks Arch Chir Suppl II (Kongressbericht 1995 201. Qualitätssicherung Chirurgie 8 Jahre Erfahrung mit dem Tracerdiagnosenkonzept O. Scheibe

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Pippel K, Friedemann E, Lübke N: Weiter Bedarf an geriatrischem Nachwuchs. Dtsch Arztebl 2014; 111(33):A 1412-3

Über die Autorin und den Autoren

Dr. Cornelia Gleisberg

Dr. Cornelia Gleisberg, eine der Autorinnen des Beitrags

Die Ärztin für Unfallchirurgie ist beim GKV-Spitzenverband als Referentin für Qualitätssicherung in der Abteilung Medizin tätig.

Peter Follert

Autor Peter Follert

Der Diplom-Psychologe leitet das Referat Qualitätssicherung in der Abteilung Medizin des GKV-Spitzenverbandes.

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