Medizin

Ein Autorenbeitrag von Dr. Antje Gottberg

Die Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin – eine Erfolgsgeschichte?

September 2022

Seit mehr als 20 Jahren fördern die gesetzlichen Krankenkassen Stellen und andere Maßnahmen in der ärztlichen Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin mit mittlerweile dreistelligen Millionenbeträgen im Jahr. Der Artikel beschreibt die Historie und die Rechtsgrundlagen sowie die Organisationsstrukturen zur Steuerung der Fördermaßnahmen. Ebenfalls werden die Effekte der bisherigen Maßnahmen dargestellt und kritisch hinterfragt.

Inhalt

Historie: Wie alles anfing

Bereits Mitte der 90er-Jahre zeichnete sich ab, dass sich die Zahl der „grundversorgenden“ Arztgruppen nicht bedarfsgerecht entwickeln würde, während sich gleichzeitig immer mehr Ärztinnen und Ärzte für eine fachärztliche Weiterbildung und spätere Berufsausübung entschieden. Als Ziel wurde daher formuliert, das im ambulanten Sektor bestehende Verhältnis von 60 Prozent Fachärzteschaft zu 40 Prozent Hausärzteschaft umzukehren (Deutsches Ärzteblatt 95). Dazu sollte das Berufsbild des Arztes bzw. der Ärztin für Allgemeinmedizin aufgewertet werden.

Auf dem 100. Deutschen Ärztetag wurde im Jahr 1999 die Neufassung der Musterweiterbildungsordnung für das Fach Allgemeinmedizin beschlossen. Die Weiterbildung wurde von vormals drei auf fünf Jahre verlängert. Als Anreiz zur Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Weiterbildungsstellen in Kliniken und in Vertragsarztpraxen hatten der Ärztetag und die Gesundheitsministerkonferenz der Länder eine Gehaltsförderung durch Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen (KV) auf den Weg gebracht (Reeg et al.). Diese Maßnahme wurde ursprünglich als zweijähriges „Initiativprogramm der Gesundheitsministerkonferenz der Länder“ begonnen. Die Rechtsgrundlage bildete Artikel 8 im GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz mit Wirksamkeit zum 1. Januar 1999. Im weiteren Verlauf wurde zunächst die Befristung aufgehoben, dann wurde schrittweise die Reichweite der Regelung in Bezug auf Fördersummen, Stellenanzahl, Fachgebiete und weitere förderfähige Maßnahmen vergrößert. Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz wurde im Juli 2015 schließlich die Förderung der Weiterbildung als § 75a in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) aufgenommen.

Grundzüge der Regelung

Zu fördernde Stellen und Fächer

Aktuell sieht der § 75a SGB V vor, dass mindestens 7.500 Stellen für die Weiterbildung Allgemeinmedizin zu fördern sind. Bundesweit sollen außerdem bis zu 2.000 Stellen in der ambulanten Weiterbildung in grundversorgenden Fächern, davon mindestens 250 Stellen in der Kinder- und Jugendmedizin gefördert werden. Rechengröße hierbei sind Vollzeitäquivalente, also über 12 Monate besetzte Vollzeitstellen. Bemerkenswert ist, dass der Begriff "grundversorgende fachärztliche Versorgung" im Gesetz nicht abschließend bestimmt ist. Offenbar geht er auf einen Beschluss des Ausschusses für Gesundheit zurück, der es den Vertragspartnern überlassen hatte, diese Gruppe zu definieren (www.haufe.de). Die ärztliche Weiterbildungsordnung kennt keine solche Untergliederung. In der Begründung zur Einführung des § 75a in das SGB V mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz werden die Vertragspartner auf die „Grundversorger aus der Gruppe der allgemeinen fachärztlichen Versorgung nach § 12 der Bedarfsplanungsrichtlinie“ verwiesen, jedoch explizit werden lediglich die Kinder-, Frauen- und die konservativ tätigen Augenärztinnen und -ärzte genannt (www.bundestag.de). Für welche Fächer die Weiterbildung schließlich gefördert werden soll, wird auf Landesebene zwischen KV und den Krankenkassenverbänden vereinbart und richtet sich nach den regionalen Bedarfen an bestimmten Facharztgruppen.

Finanzierung

Bereits das Initiativprogramm Weiterbildung Allgemeinmedizin aus dem Jahr 1999 sah vor, dass die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die Private Krankenversicherung (PKV) sowie die KVen als Kostenträger jeweils gleiche Anteile zur Gehaltsförderung von Weiterzubildenden in Vertragsarztpraxen beisteuern, wenn dort relevante Abschnitte zur Weiterbildung in der Allgemeinmedizin absolviert werden. Darüber hinaus unterstützen GKV und PKV (allein) die entsprechenden Weiterbildungsabschnitte in Krankenhäusern und stationären Rehabilitationseinrichtungen. Richtgröße für die Gehaltsförderung ist die „im Krankenhaus übliche Vergütung“. Die Fördermittel sind in voller Höhe an die Weiterzubildenden auszuzahlen. In Gebieten mit festgestellter oder drohender Unterversorgung soll eine höhere Förderung vorgesehen werden. Die Fördersummen werden regelmäßig angepasst. Aktuell wird eine Stelle in einer Vertragsarztpraxis mit 5.000 Euro gefördert, bei (drohender) Unterversorgung kommen 250 bzw. 500 Euro dazu. GKV und PKV fördern jede Stelle im Krankenhaus mit 1.420 Euro in den Fächern Innere bzw. Allgemeinmedizin und mit 2.040 Euro in anderen Fächern.

Vereinbarung

Im § 75a SGB V ist ebenfalls festgelegt, dass GKV-Spitzenverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) eine Vereinbarung treffen sollen, die unter anderem regelt, wie hoch die Fördersummen sind, wie die Förderung bei einem Wechsel zwischen verschiedenen KVen kontinuierlich sichergestellt wird, wie die zu fördernden Stellen auf die KVen verteilt werden und welche Ausgleichsverfahren es gibt, wenn in einer KV mehr oder weniger Stellen gefördert werden als vorgesehen sind. Diese Vereinbarung ist im Einvernehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherungen zu schließen, mit der Bundesärztekammer soll das Benehmen hergestellt werden. Die jeweils aktuelle Version der Vereinbarung und ihrer Anlagen ist auf der Homepage des GKV-Spitzenverbandes veröffentlicht.

Eine Patientin spricht mit einem Arzt

Kompetenzzentren Weiterbildung

Mit der Überführung der Rechtsgrundlage zum Förderprogramm zur Weiterbildung in der Allgemeinmedizin in das SGB V im Jahr 2015 wurde dieses um ein neues Element erweitert: Die Weiterbildungsförderung umfasst seither neben der unmittelbaren Förderung der Weiterbildungsstellen die Förderung sogenannter Kompetenzzentren Weiterbildung (KW). Dafür können Fördermittel von bis zu 5 Prozent der Mittel für die Stellenförderung zusätzlich von den Kostenträgern bereitgestellt werden.

Die Kompetenzzentren Weiterbildung (KW) sind in der Regel an universitären allgemeinmedizinischen Instituten angesiedelt. Ihr Angebot soll insbesondere eine nahtlose Anbindung zwischen Studium und allgemeinmedizinischer Weiterbildung erleichtern. Ab Juli 2017 wurden Förderverträge mit 15 KW geschlossen. Im Januar 2023 beginnt die zweite Förderphase, für die sich die interessierten Zentren bewerben mussten. Anträge aus 15 Zentren konnten bewilligt werden. Das Angebot der KW umfasst Fortbildungsveranstaltungen verschiedener Formate sowohl für die Weiterzubildenden als auch ihre Weiterbildenden. Dazu zählen Präsenz- und Online-Seminare mit Falldarstellungen, praktische Untersuchungskurse (z. B. Ultraschall), aber auch Train-the-Trainer-Kurse, in denen die Praxisinhaberinnen und - inhaber ihre medizindidaktischen Fähigkeiten zu optimieren lernen. Die Inhalte, die vermittelt werden, sind medizinisch-fachlicher Art, umfassen aber auch Themen wie die Vorbereitung auf die Facharztprüfung oder eine spätere Niederlassung. Seit 2018 haben jährlich zwischen 1.800 und 2.500 Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung an den Angeboten teilgenommen sowie zwischen 500 und 600 Weiterbildende.

Die Kernelemente der Regelung zur Förderung der Weiterbildung sind in Abbildung 1 zusammengefasst.

Abbildung 1:

Eine schematische Übersicht der Weiterbildungsförderung nach Paragraph 75a SGB V

Organisation und Umsetzung

Die Lenkungsgruppe

Zur Umsetzung der vielfältigen gesetzlichen Aufgaben im Zusammenhang mit der Förderung der Weiterbildung wurde eine Lenkungsgruppe etabliert. Sie besteht aus bis zu vier Vertretern jedes der drei Vertragspartner. Die Bundesärztekammer und der PKV-Verband sind an der Lenkungsgruppe zu beteiligen, falls erforderlich können auch externe Sachverständige hinzugezogen werden. Die Geschäftsführung der Lenkungsgruppe obliegt den Vertragspartnern in jeweils zweijähriger Rotation. Die Lenkungsgruppe definiert die Rahmenvorgaben für die Kompetenzzentren Weiterbildung. Außerdem verantwortet sie das Monitoring und die Evaluation der Fördermaßnahmen sowie die verschiedenen Prozesse des erforderlichen Datenaustauschs zwischen Kostenträgern und Förderempfängern. Eine weitere Aufgabe der Lenkungsgruppe ist die Weiterentwicklung der Vereinbarung und ihrer Anlagen. Beispielsweise sind hier regelmäßig die jeweiligen Förderbeträge anzupassen, es muss auf Änderungen der Musterweiterbildungsordnung reagiert werden oder aber Änderungen innerhalb der Rechtsgrundlage wie z. B. Erhöhung der Zahl der zu fördernden Stellen müssen in die Vereinbarung übertragen werden.

Die Abwicklung der Zahlungsflüsse für die Stellenförderung und die Kompetenzzentren erfolgt zunächst gebündelt durch die Partner der Vereinbarung, die dann wiederum im Binnenverhältnis mit ihren Mitgliedern, also den Einzelkassen, den regionalen KVen und den Krankenhäusern abrechnen.

Die Registrierstelle

Bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft ist die zentrale Registrierstelle angesiedelt. Hier werden alle Prozesse im Zusammenhang mit der Förderung der Weiterbildungsstellen in den Krankenhäusern gesteuert, begonnen mit der Antragsannahme, der Ausstellung von Teilnahmebestätigungen, der Annahme der Nachweise und der Ausstellung der Förderbescheinigungen. Die DKG übernimmt außerdem die Abrechnung mit dem GKV-Spitzenverband und dem PKV-Verband und die Auszahlung der Förderbeträge an die Krankenhäuser.

Die Gemeinsame Einrichtung

Mit der Gründung und Förderung der Kompetenzzentren Weiterbildung (KW) ergaben sich weitere Aufgaben, welche in der Verantwortung der Lenkungsgruppe liegen. Diese umfassen die administrative Abwicklung des Antrags- und Förderverfahrens ebenso wie dessen Evaluation und ggf. Weiterentwicklung, die Begleitung des Aufbaus der Kompetenzzentren und die Durchführung sämtlicher Abrechnungen. Nach zunächst kommissarischer Übernahme dieser Aufgaben durch die KBV beschloss man, dieses umfangreiche Arbeitsgebiet einer sogenannten Gemeinsamen Einrichtung (GE) als externem Dienstleister zu übertragen, der der Lenkungsgruppe zuarbeitet. Die Mittel hierfür werden als Pauschale von 5 Prozent des möglichen Gesamtförderbetrags für die Kompetenzzentren bereitgestellt. Für die Jahre 2018 bis 2022 ging dieser Auftrag nach Ausschreibung an das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), welches auch im Bereich Gesundheit über umfangreiche Erfahrungen als Projektträger verfügt. Für den Zeitraum ab 2023 bis 2028 wird der Auftrag derzeit neu ausgeschrieben.

Zahlen, Daten und Berichte

Evaluationen

Die zwischen den Partnern geschlossene Vereinbarung sieht eine Reihe von Evaluationen vor, mit denen die Maßnahmen regelmäßig überprüft werden. Die Berichte enthalten u. a. die Anzahl und Stellenanteile der geförderten Ärztinnen und Ärzte in den KVen, die Zahl der erworbenen Facharzttitel, die Dauer der Weiterbildung und die Gesamt-Fördersummen im Zeitverlauf. Die Zusammenführung der Daten erfolgt durch die KBV. In den jährlichen Evaluationsbericht geht außerdem die qualitative und quantitative Evaluation der Kompetenzzentren ein, die durch die Gemeinsame Einrichtung erstellt wird.

Zusätzlich wurde durch die Lenkungsgruppe im Jahr 2021 eine wissenschaftliche Gesamtevaluation der Kompetenzzentren durch ein externes Institut (IGES) beauftragt. Schwerpunkt war die Nutzung und die Qualität der Angebote und die Zufriedenheit der Teilnehmenden. Die im Folgenden dargestellten Daten entstammen dem zuletzt veröffentlichen Evaluationsbericht 2020. Alle genannten Berichte sind hier verfügbar: https://www.kbv.de/html/themen_2861.php

Geförderte Stellen

Die Zahl der geförderten Stellen im vertragsärztlichen Bereich ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, im Mittel jeweils um 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Abbildung 2 zeigt die Anzahl der Vollzeitäquivalente ab 2016 im Fach Allgemeinmedizin und in weiteren Fachgruppen. Die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte sind im Durchschnitt 38,6 Jahre alt (Allgemeinmedizin) bzw. 35,7 Jahre (weitere Fächer). Rund 72 Prozent aller Weiterbildungsstellen werden durch Ärztinnen besetzt. Im Krankenhaus ist die Zahl der geförderten Stellen über dieselben Jahre weitgehend konstant geblieben, sie beträgt ca. 1.350 Vollzeitäquivalente.

Bei den geförderten „weiteren Fachgruppen“ entfällt der größte Anteil auf die Kinder- und Jugendmedizin (22 Prozent), gefolgt von Augenheilkunde (17 Prozent), Dermatologie (16 Prozent) und Frauenheilkunde (14 Prozent).

Abbildung 2:

Statistik über geförderte ambulante Vollzeitstellen

Fördermittel

Eine zusammenhängende Statistik über die Mittel für die Stellenförderung ist erst für die Jahre ab 2010 verfügbar. Darin zeigt sich ein kontinuierlicher Anstieg der Fördersummen sowohl für die ambulanten als auch die stationären Weiterbildungsstellen. Dies ist teilweise auf die diversen gesetzlichen Änderungen zu förderfähigen Stellen und die stetig angepassten Förderbeträge zurückzuführen. Von rund 38 Mio Euro im Jahr 2010 hat sich die Gesamtfördersumme für die ambulanten Weiterbildungsstellen auf zuletzt 386 Mio Euro mehr als verzehnfacht (Abbildung 3), bei den geförderten Stellen im Krankenhaus von 8 auf 24 Mio Euro etwa verdreifacht (Abbildung 4).

Abbildung 3:

Statistik über Gehaltsförderung im ambulanten Sektor

Abbildung 4:

Statistik über Gehaltsförderung im stationären Sektor

Die 15 Kompetenzzentren erhielten 2020 insgesamt 3,6 Mio Euro Fördermittel. Seit 2018 haben jährlich zwischen 1.800 und 2.500 Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung an den Angeboten teilgenommen sowie zwischen 500 und 600 Weiterbildende.

Effekte

Wie eingangs dargestellt war das übergeordnete Ziel der Fördermaßnahmen die langfristige, bedarfsgerechte Sicherung der hausärztlichen Versorgung durch eine ausreichende Anzahl allgemeinmedizinisch weitergebildeter Ärztinnen und Ärzte. Eine finanzielle Förderung der Weiterbildung ganz gezielt für dieses Fach sollte dazu führen, dass der Anteil der Abschlüsse in diesem Fach steigt, insbesondere im Verhältnis zur Zahl aller abgeschlossenen Facharztausbildungen.

Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Die Bundesärztekammer hat die Gesamtzahl der Facharztanerkennungen im zeitlichen Verlauf ausgewertet. Bei einer insgesamt gestiegenen Zahl abgeschlossener Weiterbildungen von 1998 bis 2021 ist der Anteil von Abschlüssen in Allgemeinmedizin sogar gesunken, von ca. 16 Prozent in 1998 auf ca. 13 Prozent in 2021 (Abbildung 5) (Berechnungen nach Bundesärztekammer).

Abbildung 5:

Anteil allgemeinmedizinischer Abschlüsse 1998 und 2021

Auch das ursprüngliche Ziel der Umkehrung des Verhältnisses von Hausärzteschaft zu Fachärzteschaft von seinerzeit 40 : 60 wurde nicht erreicht. Die statistische Information aus dem Bundesarztregister zeigt, dass im Jahr 2021 der Anteil von hausärztlich Tätigen an allen ärztlichen Fachgruppen in der vertragsärztlichen Versorgung nur noch 36 Prozent betrug (www.kbv.de).

Weiterhin wird eindringlich vor einem zunehmenden Mangel an Hausärztinnen und -ärzten gewarnt, insbesondere im ländlichen Bereich, aber auch in Städten. Eine Studie des IGES Instituts im Auftrag der Robert Bosch Stiftung ergab, dass im Jahr 2035 bundesweit etwa 11.000 Hausärztinnen und -ärzte fehlen würden (www.iges.com).

Dies legt natürlich die Frage nahe, ob all die Initiativen der letzten Jahrzehnte, der personelle Aufwand und die Fördergelder, die in die Weiterbildung geflossen sind, letztendlich wirkungslos waren? Diese Frage ist schon deswegen kaum zu beantworten, weil es, wie so häufig bei systemischen Interventionen, keine vergleichende Versuchsanordnung gibt. Es ist also nicht auszuschließen, dass der Mangel an hausärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzten noch eklatanter wäre, wenn es das Förderprogramm nicht gäbe.

Unstreitig ist, dass die Entscheidung für die spätere Aufnahme einer ambulanten hausärztlichen Tätigkeit von weit mehr Faktoren bestimmt wird als dem Vorliegen einer Fachgebietsanerkennung. Hier spielen u. a. die Rahmenbedingungen des jeweiligen Gesundheitssystems eine Rolle, die fraglos wiederum auch einen Einfluss auf die Entscheidung junger Ärztinnen und Ärzte für eine bestimmte Fachrichtung haben. Zu den weiteren, sicher ebenfalls für die Fächerwahl relevanten Einflussgrößen gehören unter anderem Arbeitsbedingungen, Arbeitsorte und mögliche Einkünfte.

Als weiterer Aspekt kann jedoch auch die (vermutete) Attraktivität der späteren Tätigkeit eine Rolle bei der Entscheidung spielen: In Ländern mit Primärarztsystemen, in denen Patientinnen und Patienten mit jeder Art von Beschwerden immer zunächst eine Allgemeinarztpraxis aufsuchen müssen, bekommen die dort tätigen Ärztinnen und Ärzte ein viel breiteres Krankheitsspektrum dargeboten als dort, wo der sofortige Zugang zu Spezialistinnen und Spezialisten niedrigschwellig ist. Entsprechend wird auch Kritik am deutschen System geäußert: Ein Ergebnis der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten KarMed-Studie ist, dass die Ausbildung in Deutschland bei drei Viertel der Absolventinnen und Absolventen mehr als sechs Jahre dauert, bei den Ärztinnen, die die Mehrheit der Gruppe bilden, faktisch sogar neun bis elf Jahre, insbesondere dann, wenn die Weiterbildung in die Phase der Familiengründung fällt (van den Bussche et al.). Dem gegenüber stehe eine Reduktion des Tätigkeitsfeldes auf solche Aufgaben, die nicht von vorn herein einem Spezialisten oder einer Spezialistin angetragen werden (Zeitschrift für Allgemeinmedizin). Die eingangs beschriebene Intention der „Aufwertung“ der Allgemeinmedizin durch eine vergleichbar lange Weiterbildungszeit wie in anderen Fachdisziplinen laufe demnach ins Leere.

Als vorläufiges Fazit lässt sich formulieren: Die erste Voraussetzung für eine bedarfsgerechte hausärztliche Versorgung besteht ganz sicher darin, dass sich genügend Ärztinnen und Ärzte für eine allgemeinärztliche Weiterbildung entscheiden und diese erfolgreich zu Ende bringen. Damit ist die Weiterbildung eine zentrale, grundlegende Einflussgröße der zukünftigen Gestaltungsmöglichkeiten in der Versorgung, die weiter gefördert werden sollte. Das derzeitige Förderprogramm als isolierte Maßnahme ist aber offensichtlich nicht in der Lage, die intendierten Ziele zu erreichen. Hierfür brauchen wir eine übergreifende Diskussion z. B. über folgende Fragen:

  • Die Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin wurde in einer Zeit initiiert, in der auch in Deutschland die koordinierte hausärztliche Versorgung und Hausarztmodelle mit zumindest einigen Elementen eines Primärarztsystem in der gesundheitspolitischen Diskussion einen hohen Stellenwert hatten. Das scheint derzeit nicht mehr so zu sein. Andererseits wird in der internationalen Betrachtung deutlich, dass vor allem hausarztbasierte Systeme eine qualitativ hochwertige und gleichzeitig wirtschaftliche Versorgung zu leisten imstande sind. Wird sich die Gesundheitspolitik künftig wieder ernsthaft dieser Herausforderung stellen?
  • Die Realität der hausärztlichen Versorgung vor allem in größeren Städten ist in der Versorgungsrealität häufig geprägt von einem eher beschränkten Tätigkeitsspektrum, weil von vielen Patientinnen und Patienten in großem Umfang unmittelbar Fachärztinnen und Fachärzte konsultiert werden. Nach Wegfall der Praxisgebühr gibt es praktisch keine breit wirksame Gegensteuerung zu dieser Entwicklung mehr, wenn man einmal von regional bestehenden Hausarztmodellen absieht. Wird die Gesundheitspolitik darauf reagieren und gegensteuern?
  • Das in den Großstädten sehr eingeschränkte Tätigkeitsfeld der Hausarztpraxen passt nicht mehr so recht zum breiten und hohen Standard der in den letzten 20 Jahren weitergebildeten Allgemeinmediziner. Andere Länder haben eine deutlich kürzere Weiterbildungszeit für Hausärztinnen und -ärzte von z. B. 3 Jahren. Wie soll auf das zunehmende Auseinanderdriften von hohen Weiterbildungsanforderungen einerseits und schmaler werdendem Tätigkeitspektrum in der Berufspraxis andererseits reagiert werden?

Diese Fragen gehen weit über das Thema Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin hinaus. Letztlich geht es um unser strukturelles Ziel für die ambulante Versorgung in den nächsten Jahrzehnten.

Literatur

Deutsches Ärzteblatt: „Länder wollen ‚Negativtrend‘ stoppen“. Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 16, 17. April 1998 (15) A-927

Reeg J, Herrmann M, Lichte T: Das Initiativprogramm „Allgemeinmedizin“ der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, Bundegesundheitsblatt 2006 49:364-369

https://www.haufe.de/personal/haufe-personal-office-platin/sommer-sgb-v-75a-foerderung-der-weiterbildung-24-foerderung-der-weiterbildung-bei-grundversorgenden-fachaerzten_idesk_PI42323_HI9496254.html

https://dserver.bundestag.de/btd/18/051/1805123.pdf

Eigene Berechnung nach Bundesärztekammer, Ärztestatistik zum 31. Dezember 2021

https://www.kbv.de/media/sp/2021-12-31_BAR_Statistik.pdf

https://www.iges.com/kunden/gesundheit/forschungsergebnisse/2021/hausaerztemangel/index_ger.html

van den Bussche, Hendrik et al.: Die Resultate von sechs Jahren Weiterbildung für die hausärztliche Versorgung in Deutschland – Teil 1, Z Allg Med | 2018; 00 (9)

Zeitschrift für Allgemeinmedizin, Leserbrief von Prof. Dr. Heinz-Harald Abholz | 2018; 94 (11)

Dr. Antje Gottberg

Die Autorin des Artikels, Dr. Antje Gottberg

Dr. Antje Gottberg ist Fachreferentin in der Abteilung Medizin beim GKV-Spitzenverband. Sie vertritt den Verband u. a. in der Lenkungsgruppe Weiterbildung.

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