Pflegeversicherung

Krankenhauseinweisungen oft vermeidbar?

Juli 2022

Krankenhausaufenthalte können für Pflegeheimbewohnende zu einem Gesundheitsrisiko werden. Nicht selten haben sie Infektionen oder funktionelle Verluste und Verwirrtheitszustände zur Folge. Bei der Entscheidung, ob in einer krisenhaften Situation eine Krankenhauseinweisung veranlasst oder ein Bewohnender in der Pflegeeinrichtung belassen und betreut wird, bestehen häufig Unsicherheiten. Der GKV-Spit­zen­ver­band förderte daher eine Studie, in der nun die Ist-Situation von potenziell vermeidbaren Krankenhauseinweisungen aus Sicht der Pflege untersucht wurde.

Welchen Handlungsspielraum haben Pflegekräfte bei der Entscheidung für oder gegen eine ungeplante Krankenhauseinweisung? Welche strukturellen und prozessualen Rahmenbedingungen können deren Entscheidung maßgeblich beeinflussen? Diesen Fragen ging ein Team der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) in einem vom GKV-Spitzenverband im Rahmen des Modellprogramms zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung geförderten Projekts mit dem Titel „Notfalleinweisungen minimieren. Studie zu Umfang und Notwendigkeit von Notfalleinweisungen alter und hochaltriger Menschen aus stationären Pflegeeinrichtungen (NoMi)“ nach.

Die nicht-repräsentative Studie kommt dabei zu überraschenden Ergebnissen und alarmierenden Zahlen zu Einweisungshäufigkeiten und zu potenziell vermeidbaren Krankenhausaufenthalten von Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohnern.

Häufige sehr kurze Krankenhausaufenthalte

Erstes wichtiges Ergebnis: Bei ungefähr der Hälfte der (ungeplanten) Einweisungen haben die Pflegeheimbewohnenden das Krankenhaus innerhalb von einem Tag wieder verlassen. Diese Einweisungen mit einer Abwesenheitsdauer unter 24 Stunden (d.h. einem Aufenthalt im Krankenhaus unter einem Tag) wurden in der Analyse als Proxy für potenziell vermeidbare Einweisungen herangezogen. In der Mixed-Methods-Studie wurde neben einer GKV-Routinedatenanalyse, standardisierten Befragungen und qualitativen Interviews mit Pflegekräften und Leitungspersonal schwerpunktmäßig eine Dokumentenanalyse durchgeführt. Hierfür wurde ein durch zwölf Hamburger Pflegeheime routinemäßig erhobener, aggregierter und anonymisierter Datensatz (Einweisungsübersichten, Verlegungsberichte, Pflegedokumentation, Handakten) zu allen im Jahr 2019 stattgefundenen Einweisungen der Häuser analysiert. Insgesamt wurden im gesamten Untersuchungsjahr n = 4.638 ungeplante Krankenhauseinweisungen bei einer Gesamtbewohnerschaft von n = 2318 Bewohnenden gezählt.

Ein Rettungswagen vor einem Gebäude

Einweisungen während Öffnungszeiten von Arztpraxen

Weiterhin überrascht die Erkenntnis, dass die häufigsten ungeplanten Einweisungen von Pflegeheimbewohnenden nicht am späten Abend, Freitagnachmittagen oder Wochenenden erfolgten, sondern gerade während der regelhaften Öffnungszeiten von Arztpraxen. Stürze und der Wechsel von Dauerkathetern stellten sich neben den aus den Dokumentationsdaten nicht klar zuzuordnenden Einweisungsgründen als die häufigsten Gründe für Krankenhauseinweisungen heraus.

Sorge vor möglichen Konsequenzen

Die qualitative Erhebung machte darüber hinaus die umfangreichen Probleme bezüglich ungeplanter Einweisungen aus Pflegeheimen deutlich. Insbesondere die Angst vor möglichen rechtlichen Konsequenzen des eigenen Handelns führt bei Pflegekräften häufig dazu, dass die Verantwortung in krisenhaften Situationen weitergegeben und Pflegeheimbewohnende „vorsorglich“ in ein Krankenhaus überführt werden.

Empowerment von Pflegekräften notwendig

Die Studie schließt mit dem weitreichenden Fazit, dass Pflegekräfte entsprechend ihrer Kompetenzen und ihres professionellen Selbstverständnisses zu einer selbstbewussten Entscheidung in krisenhaften Situationen zum Wohle des Pflegebedürftigen befähigt werden müssen. Pflegekräfte sollten - insbesondere auch träger- und leitungsseitig - wieder in die Lage versetzt werden, erlerntes Fachwissen wie die Katheterisierung oder die Beurteilung von Sturzfolgen zurückzuerlangen bzw. anzuwenden.

Der Abschlussbericht wird auf der Homepage des GKV-Spitzenverbandes zur Verfügung gestellt. (smä)

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