Herausforderungen für die Durchführung
Die duale Finanzierung der Erprobungsstudien stellt deren praktische Umsetzung vor zahlreiche Herausforderungen in der praktischen Umsetzung, die seitens des Gesetzgebers vermutlich nicht vorausgesehen wurden:
1. Abrechnung der Erprobungsleistungen: Grundsätzlich sind sowohl Krankenhäuser als auch Vertragsärztinnen und –ärzte berechtigt, an Erprobungsstudien teilzunehmen und ihre Patientinnen bzw. Patienten in diesem Rahmen zu behandeln. Die Abrechnung stationärer Leistungen erfolgt über das Fallpauschalensystem (DRG). Für die in den aktuell laufenden Erprobungsstudien stationär zu erbringenden Leistungen lagen bereits kalkulierte Fallpauschalen vor. In diesem Fall folgt die Abrechnung durch die Krankenhäuser auf dem bestehenden Weg der Regelversorgung. Für ambulant zu erbringende Leistungen, die neu und daher noch nicht im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) für die vertragsärztliche Versorgung abgebildet sind, sind zunächst EBM-Gebührenordnungspositionen durch den ergänzten Bewertungsausschuss festzulegen. Dies ist für alle laufenden Studien erfolgt. Wichtig zu wissen: Diese ambulant erbringbaren Leistungen dürfen nur von den Zentren abgerechnet werden, die tatsächlich Studienzentren sind und natürlich auch nur für Behandlungen, die tatsächlich im Rahmen der jeweiligen Erprobungsstudie erfolgen. Für die Abrechnung von erprobungsspezifischen EBM-Gebührenordnungspositionen besteht allerdings derzeit weder für Krankenhäuser noch für Vertragsärzte die technische Möglichkeit einer Abrechnung dieser EBM-Ziffern auf elektronischem Wege. Hier muss also auf Papierrechnungen zurückgegriffen werden, die von den Studienzentren direkt an die Krankenkasse der jeweiligen Teilnehmenden geschickt werden. Diese Form der Abrechnung stellt sowohl die Zentren als auch die Krankenkassen vor große Herausforderungen. Für erstere ist der Vorgang mit erhöhtem Dokumentations- und Schreibaufwand verbunden, während letztere einen erhöhten Prüfaufwand haben – und überhaupt erst einmal nachvollziehen müssen, dass es sich bei dem oder der betroffenen Versicherten um einen „Erprobungsfall“ handelt. Angesichts von bisher noch wenigen Studienfällen unter Millionen regulärer Abrechnungsfälle jährlich eine schwierige Aufgabe.
2. Verordnung von weiteren Leistungen oder Arzneimitteln: In einigen der Studien sind auch Leistungen wie Physiotherapie, die Abgabe von Hilfsmitteln oder auch die Gabe von Medikamenten Bestandteil des Studienprotokolls. Ganz besonders betroffen hiervon ist die Erprobung der Liposuktion: die teilnehmenden Patientinnen bekommen im gesamten Studienverlauf physiotherapeutische Anwendungen wie manuelle Lymphdrainage oder angeleitete Bewegungstherapie. Sie benötigen ferner Kompressionsstrümpfe und erhalten jeweils postoperativ Antibiotika, Schmerzmittel und Medikamente zur Thromboseprophylaxe. Sofern an den teilnehmenden Kliniken oder Praxen eine Berechtigung vorliegt, die Verordnungsmuster gemäß Bundesmantelvertrag Ärzte („Muster 13“ für Heilmittelverordnung, „Muster 16“ für die Verordnung von Arznei- und Hilfsmitteln) zu verwenden, kann zumindest der Prozess der Verordnung und Abgabe reibungslos ablaufen. Allerdings können die Krankenkassen auch nicht erkennen, dass derartige Verordnungen im Rahmen einer Erprobungsstudie erfolgt sind. Noch problematischer ist die Situation dann, wenn an den Studienzentren keine Berechtigung zur Verwendung der standardisierten Verordnungsmuster vorliegt. Hier müssen dann jeweils völlig neue Wege beschritten werden, um den Studienpatientinnen und –patienten die entsprechenden Leistungen zukommen zu lassen und durch die Leistungserbringer abrechenbar zu machen. Wenn man sich vor Augen führt, dass in vielen Krankenkassen die Bearbeitung und Abrechnung dieser Leistungen mit unterschiedlichen Zuständigkeiten verbunden ist, wird die Schwierigkeit offensichtlich: Die Krankenkassen müssen in ihren in der Regel elektronisch erfolgenden Arbeitsabläufen papiergebundene Informationen über eine Studienteilnahme integrieren und diese Information allen zuständigen Mitarbeitenden verfügbar machen. Dass das in der Anfangsphase nicht immer klappt, ist nicht verwunderlich.
Folgende Bedingungen müssten also erfüllt sein, um einen reibungslosen Studienablauf bei guter Motivation aller Beteiligten zu gewährleisten:
- Die Krankenkassen müssen wissen, welche Kliniken und Praxen als Studienzentrum Versicherte im Rahmen der Erprobungsstudien behandeln und Leistungen abrechnen dürfen.
- Krankenkassen müssen organisationsintern die Voraussetzungen schaffen, Informationen über die Teilnahme ihrer Versicherten an einer solchen Erprobungsstudie zu erfassen und ihren jeweils zuständigen Mitarbeitenden zur Verfügung zu stellen.
- Versicherte, die an Erprobungsstudien teilnehmen, dürfen dadurch keine finanziellen Belastungen erleiden, d.h. auch nicht „in Vorleistung“ gehen müssen, um studienbedingte medizinische Leistungen zu erhalten. Davon unberührt bleibt die Tragung der gesetzlich geregelten Zuzahlung bei veranlassten Leistungen und Hilfsmitteln.
- Alle Leistungserbringer müssen sich darauf verlassen können, die im Rahmen der Erprobung durchgeführten Behandlungen oder gelieferten Produkte auch innerhalb der hierfür üblichen Fristen bezahlt zu bekommen. Dafür müssen sie allerdings auch durch zeitnahe und möglichst vollständige Informationsübermittlung an die Krankenkassen die entsprechenden Voraussetzungen schaffen.
- Die jeweilige „unabhängige wissenschaftliche Institution“, die für die Studiendurchführung verantwortlich ist, benötigt alle relevanten Informationen zu den Verordnungs- und Abrechnungswegen und ist dafür verantwortlich, diese an die Studienzentren weiterzugeben.