Pflege-Modellprojekt

Mit Musik geht’s etwas besser

Juli 2021

Wie beeinflusst das regelmäßige Hören der eigenen Lieblingsmusik die Lebensqualität, die soziale Partizipation, aber auch das Problemverhalten von Menschen mit Demenz in Pflegeheimen? Das vom GKV-Spitzenverband geförderte Modellprojekt „Individualisierte Musik für Menschen mit Demenz – Verbesserung von Lebensqualität und sozialer Partizipation für Menschen mit Demenz in der institutionellen Pflege“ hat genau das untersucht. Damit wurde eine in Deutschland bislang einmalige randomisierte kontrollierte Studie zur Wirksamkeit, Akzeptanz und Anwendbarkeit einer individualisierten Musikhör-Intervention in der institutionellen Pflege realisiert. Im Ergebnis birgt das Musikhören ein großes Potenzial in der stationären Pflege.

Fünf Pflegeheime in Thüringen nahmen von Anfang 2018 bis Ende 2020 an der Studie teil. Die mitwirkenden 118 Pflegebedürftigen wiesen zu 59 Prozent eine schwere, zu 24 Prozent eine mittlere und zu 17 Prozent eine leichte Demenz auf. Ihr durchschnittliches Alter betrug gut 84 Jahre, unter ihnen waren 90 Frauen und 28 Männer. Über 76 Prozent der teilnehmenden Menschen mit Demenz war Musik in ihrem Leben wichtig oder einigermaßen wichtig: Sie hatten ein Instrument gespielt, gerne selbst gesungen, gerne getanzt. In den individuellen Listen der Lieblingsmusik dominierten Schlager, gefolgt von Volksmusik und klassischer Musik.

Die mitwirkenden Pflegebedürftigen hörten jeden zweiten Tag für 20 Minuten ihre Lieblingsmusik. Sie reagierten darauf am häufigsten mit Singen und Lachen. Auch ihre sprachliche Kommunikation nahm zu. Eine Teilnehmerin äußerte: „Ich kann nur sagen, das, was sie eben mit mir gemacht haben, hat mich zutiefst berührt. Ich hatte auch sehr viel Lust gehabt, richtig zu tanzen.“

Positive Effekte klar erkennbar

Pflegekräfte und Mitarbeitende des Sozialen Dienstes schilderten die von ihnen beobachteten Wirkungen: „Was mir aufgefallen ist, dass sie immer textsicherer wurde. Anfänglich hat sie mal ein paar Silben oder Worte mitgesungen, aber gegen Ende des Projekts hat sie dann den Refrain komplett durchgesungen. Und das bei allen Liedern.“ Oder: „Er war ausgeglichener, er war nicht so verbal ungehalten wie oft sonst, er konnte im Wohnbereich bleiben.“ Die stärksten positiven Effekte wurden bei Entspannung/Beruhigung, Stimmung, sozialer Interaktion und Aktivierung verzeichnet. Langfristige Effekte der Musikintervention wurden bei der sozialen Beteiligung, bei kognitiven Fähigkeiten (wie Gedächtnisfunktionen und Sprache) sowie bei der Reduktion von Agitation berichtet. Insgesamt wurden die individuell formulierten Ziele in der Interventionsgruppe signifikant häufiger erreicht als in der Kontrollgruppe.

Älterer Mann hört Musik über Kopfhörer

Foto: (c) Fitzkes_AdobeStock

Untersuchung von Anwendbarkeit und Akzeptanz

Für die Verstetigung der Intervention in die Versorgung wurde gemeinsam mit einem Pflegeheim ein Schulungskonzept erarbeitet und umgesetzt. Zur erfolgreichen Implementierung gehört auch, die Verantwortlichkeiten im Personal zu verteilen und dessen Austausch über die individualisierten Musikinterventionen zu organisieren. Musikpräferenz-Fragebögen wurden in das Aufnahme-Verfahren für neue Mitbewohnerinnen und –bewohner integriert.

Alle Beteiligten nahmen die individualisierte Musikintervention mit hoher Akzeptanz an. Sie ermöglicht als nebenwirkungsarme, nicht-pharmakologische sowie leicht umsetzbare Intervention eine Verbesserung der Lebensqualität, eine Verringerung von herausforderndem Verhalten und die Zunahme sozialer Partizipation für Menschen mit Demenz im institutionellen Pflegesetting. Die Studie konnte darüber hinaus zeigen, dass sich die Intervention sehr gut in die vorhandenen Tagesstrukturen verschiedener Pflegeheime integrieren ließ und von Menschen unterschiedlicher Professionen mit geringem Aufwand durchführbar ist. Die Ergebnisse spiegeln die Bedeutung des individualisierten, auf die Menschen mit Demenz angepassten Vorgehens wider, sowohl bei der Musikauswahl als auch der Evaluation der vielfältigen Reaktionen sowie der individuell möglichen Zielerreichung.

Zusammenfassend belegen die Ergebnisse des Modellprojekts somit das große Potenzial individualisierter Musikhör-Interventionen für Menschen mit Demenz in der institutionellen Pflege und geben damit wichtige Impulse zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung. (che)

Bleiben Sie auf dem Laufenden