Was bedeutet dies für die informierte Patientenentscheidung?
Aufgabe und eigener Anspruch des G-BA ist es, für die Versicherten der GKV nur solche Leistungen verfügbar zu machen, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie eine positive Nutzen-Schaden-Bilanz aufweisen. Idealerweise liegt einem Einschluss in den GKV-Leistungskatalog also eine Datenbasis zugrunde, die eine solche Einschätzung zulässt. Im Fall der LDR-Brachytherapie zeichnet sich ab, dass es diesen endgültigen Nutzenbeleg niemals geben wird. Gleichermaßen war im weiteren Beratungsverlauf auch klar, dass die Methode nicht aus der Versorgung ausgeschlossen werden würde, weil auch der Beweis für Unwirksamkeit oder Schädlichkeit nicht zu führen war. Man konnte sich letztendlich darauf verständigen, dass es erforderlich ist, dem Patienten die verbleibende Unsicherheit so ehrlich wie möglich zu kommunizieren. Dieses Vorgehen ist nicht frei vom Beigeschmack, das Dilemma der nicht zweifelsfreien Evidenz auf den Patienten abzuwälzen. Ist das zumutbar?
Die Erfahrungen aus der PREFERE-Studie haben gezeigt, dass eine ausführliche, evidenzbasierte Patientenaufklärung einen entscheidenden Beitrag zur selbstbestimmten Therapieentscheidung leisten kann: Vor Studienbeginn wurde durch ein universitäres Institut ein aufwändiges Patientenvideo nebst umfangreichen Printmaterialien erstellt. Dieses sollten Patienten mit neu diagnostiziertem Niedrig-Risiko-Prostatakarzinom erhalten, um über die vier Behandlungsoptionen und den damit verbundenen Grad an Ergebnissicherheit und Nebenwirkungsprofilen aufzuklären und, eben wegen der bestehenden Unsicherheiten, zur Studienteilnahme zu motivieren. Den Männern wurde ausreichend Zeit gegeben, das Material auch gemeinsam mit Partnerinnen oder Partnern zu sichten. Das Video fand auch tatsächlich großen Anklang bei den Betroffenen, allerdings nicht unbedingt in der beabsichtigten Weise: Die Männer berichteten, dass sie sich nach Ansehen des Films so gut informiert fühlten, dass sie sich klar für eine bestimmte Vorgehensweise entscheiden könnten. Damit kam für sie die Studienteilnahme nicht mehr in Frage. Dieser Verlauf war für die Studie natürlich bedauerlich, spricht aber dafür, dass die Männer sehr wohl mit der kommunizierten Unsicherheit umzugehen wussten und sich auf dieser Basis für eine Behandlung entscheiden konnten.
Auch vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen aus der PREFERE-Studie wurde das IQWiG vom G-BA beauftragt, eine Patienteninformation/Entscheidungshilfe zu entwickeln, die allen Betroffenen vor der Durchführung der LDR-Brachytherapie verpflichtend auszuhändigen ist. Kernbotschaft dieser Entscheidungshilfe ist die Gegenüberstellung zweier Aspekte: Einerseits die Sicherheit, mit der zu den verschiedenen Behandlungsoptionen Aussagen zur onkologischen Wirksamkeit (konkret: zum Überleben) getroffen werden können, andererseits die Darstellung der unterschiedlichen Nebenwirkungen.
Es gibt allerdings auch einen wesentlichen Unterschied zwischen den damaligen Studienbedingungen und der nun durch den Richtlinienbeschluss erzeugten Situation. Dies ist der Zeitpunkt im Behandlungsverlauf, zu dem die Patienten die Informationen ausgehändigt bekommen. In der PREFERE-Studie war vorgesehen, dass dies unmittelbar dann erfolgt, wenn die Männer erstmals mit ihrer Diagnose konfrontiert wurden. Und zwar idealerweise, bevor über eigene Präferenzen oder solche der Urologin bzw. des Urologen gesprochen werden konnte. Der Patient war zu dem Zeitpunkt also weitgehend „empfehlungsnaiv“ und ihm wurden alle vier Behandlungsoptionen dargestellt.
Ein solches Vorgehen der neutralen Aufklärung über alle alternativen Behandlungsoptionen entspricht den gesetzlichen Aufklärungspflichten des BGB in § 630e. Ob dies im Behandlungsalltag immer in adäquater Form stattfindet, ist allerdings durchaus fraglich. Die Tatsache, dass sich auf diversen Webseiten von Patientenselbsthilfeorganisationen umfangreiche Materialsammlungen finden, deuten darauf hin, dass ein Bedarf an ausführlicher und verständlicher Information besteht.
Der aktuelle Richtlinienbeschluss des G-BA mit der Verpflichtung zur Aushändigung der standardisierten Patienteninformation kann sich ausschließlich auf die LDR-Brachytherapie beziehen, denn nur diese war der beantragte Beratungsgegenstand. Das bedeutet aber eben auch, dass die betroffenen Männer die Informationen zur Evidenzsituation aller Behandlungsarten nur dann zwingend bekommen müssen, wenn bei ihnen eine LDR-Brachyherapie durchgeführt werden soll. Eine Verpflichtung dazu besteht auch nur für diejenigen, die diese Behandlung durchführen. Häufig wird das also jemand in einer Praxis oder Klinik sein, zu dem der Patient überwiesen wurde mit dem Ziel der Durchführung der Brachytherapie. Diese Rahmenbedingungen lassen es fraglich erscheinen, ob der Patient diese bereits angebahnte Behandlungsentscheidung nach Lektüre der Information noch einmal revidiert.