Qualitätssicherung

Autorenbeitrag von Dr. Antje Gottberg

G-BA-Beratungen zur LDR-Brachytherapie

PREFERE und danach

Februar 2021

Mit dem Beschluss zur Einführung der LDR-Brachytherapie zur Behandlung des Prostatakarzinoms endete einer der längsten Beratungsprozesse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Zur Verbesserung der vorgefundenen dürftigen Evidenzlage wurde sogar lange vor der gesetzlich geschaffenen Möglichkeit der Erprobungen eine Studie initiiert, die von einem breiten Konsens in Wissenschaft und Gemeinsamer Selbstverwaltung getragen wurde. Die PREFERE-Studie hätte einen wichtigen Beitrag zur Klärung des Nutzens verschiedener Therapiestrategie bei Prostatakrebs, dem häufigsten Krebs bei Männern, liefern können. Die Finanzierung war umfassend gesichert, jedoch scheiterte die Studie wegen mangelnder Rekrutierung nach wenigen Jahren. Dieser Aufsatz stellt ausführlich die Entwicklung und schließlich das Scheitern dieser Studie vor. Außerdem werden die Schwierigkeiten deutlich, vor denen der G-BA bei seinen Nutzenbewertungen steht, wenn Methoden in der Versorgung bereits Fuß gefasst haben, ohne dass eine belastbare Datenbasis für einen Nutzenbeleg geschaffen wurde.

Inhalt

Worum geht es?

Als Brachytherapie bezeichnet man die Bestrahlung von Tumorgewebe über eine kurze Distanz („brachy“). Dabei wird die Strahlenquelle in die unmittelbare Umgebung des Tumors oder in den Tumor selbst eingebracht. Im vorliegenden Fall geht es um die so genannte „Low-dose-rate“ (LDR)-Brachytherapie der Prostata bei Männern mit Prostatakrebs. Hier werden, nach vorheriger röntgendiagnostischer Vermessung und Dosisberechnung, etwa reiskorngroße radioaktiv beladene Strahlenquellen („Seeds“) in die Prostata eingebracht. Sie geben über einen bestimmten Zeitraum eine niedrig-dosierte („low dose“) Strahlung ab und verbleiben danach lebenslang im Organ. Im Vergleich zu einer operativen Entfernung der Prostata ist der Eingriff kurz und kann auch unter regionaler Anästhesie durchgeführt werden. Anders als bei der „klassischen“ Bestrahlung muss die Strahlung nicht durch die Haut erst andere Organe durchdringen, bevor sie das Zielgewebe erreicht.

Ist das neu?

Eine der Kernaufgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses ist die Beratung über die Aufnahme neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 135 SGB V. Auf dieser Rechtsgrundlage stellte 2002 der damalige Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) einen Antrag auf Bewertung der LDR-Brachytherapie beim Prostatakarzinom, seinerzeit noch beim Vorläufer des G-BA, dem Bundesauschuss der Ärzte und Krankenkassen.

Zu diesem Zeitpunkt gab es die Brachytherapie oder zumindest das eigentliche Behandlungsprinzip seit vielen Jahrzehnten. Die Methode als solche ist beinahe so alt wie die Entdeckung der Radioaktivität selbst: Bereits fünf Jahre nach Entdeckung des Radiums durch Marie Curie fand das Element Verwendung zur Behandlung maligner Erkrankungen. Fallberichte über die lokale Behandlung von gut- und bösartigen Prostataerkrankungen stammen teilweise schon aus den 10er- und 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In den 1970er-Jahren wurden dann radioaktive Jod-125-Träger dauerhaft in die Prostata implantiert, zunächst in einem offen-chirurgischen Eingriff. Die Entwicklung der Ultraschallbildgebung durch den Enddarm hat schließlich die heutige Applikationsform der Seeds ermöglicht, nämlich durch die Haut im Dammbereich. Spätestens seit den 1990er-Jahren fand die Behandlungsart im Krankenhaus Anwendung bei der Behandlung von Prostatakarzinomen mit niedrigem Metastasierungsrisiko. Wie die vorangehende Darstellung zeigt, war die Brachytherapie also keineswegs mehr eine neue Behandlungsmethode, als der Antrag auf Nutzenbewertung gestellt wurde. Man hätte erwarten dürfen, dass angesichts der doch jahrzehntelangen Anwendung auch Erkenntnisse zum Nutzen vorliegen und damit die Bewertung eine unkomplizierte, reine Formsache hätte sein sollen.

Nutzenbewertung für ambulante und stationäre Methoden

Ein Grundprinzip des deutschen Sozialrechts in Bezug auf die Verfügbarkeit von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden für GKV-Versicherte ist die gegenläufige Wirkweise von „Erlaubnis- und Verbotsvorbehalt“. Dabei gilt ersterer im vertragsärztlichen Bereich und der Verbotsvorbehalt im Krankenhaus. Das bedeutet, dass neue Methoden in der vertragsärztlichen Versorgung nur dann angewendet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss dies nach einer Nutzenbewertung explizit erlaubt, ausgedrückt durch Aufnahme in die Richtlinie „Methoden vertragsärztlicher Versorgung“. Im Krankenhaus ist es umgekehrt: Prinzipiell dürfen dort alle Methoden zur Anwendung kommen, die der G-BA, ebenfalls auf Basis einer Nutzenbewertung, nicht ausdrücklich verboten hat.

Dieses Grundprinzip von Erlaubnis- und Verbotsvorbehalt wurde zwar in der jüngeren Vergangenheit durch diverse Gesetzesreformen modifiziert, war jedoch zum Beginn der Beratungen zur LDR-Brachytherapie maßgeblich. So wurde die Behandlung im Krankenhaus seinerzeit bereits seit Jahren durchgeführt. Mit der Zunahme der Möglichkeiten zum ambulanten Operieren sollte sie den Patienten außerhalb der Krankenhausbehandlung zur Verfügung gestellt werden. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte konnten sie jedoch mangels Erlaubnis nicht zulasten der GKV erbringen, im vertragsärztlichen Sektor war die LDR-Brachytherapie also neu.

Patient und Ärztin im Gespräch

Erste Nutzenbewertung durch das IQWiG

Mit der Bewertung der Studienlage zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden beauftragt der G-BA meistens das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Für das Institut war die Nutzenbewertung der LDR-Brachytherapie im Jahr 2004 einer seiner ersten Aufträge nach der Gründung.

Solch ein Auftrag muss immer eine konkrete Forschungsfrage enthalten, anhand derer das IQWiG die relevanten wissenschaftlichen Studien herausfiltert und die darin enthaltenen Ergebnisdaten auswertet. Vereinfacht kann man sagen, dass dabei immer ein Vergleich der zu bewertenden Methode mit den in der GKV-Versorgung vorhandenen Alternativen durchgeführt wird. Beim lokal begrenzten Prostatakarzinom kommen dabei drei Behandlungsarten infrage: Die operative Entfernung der Prostata, die externe Strahlentherapie und die abwartende Beobachtung, bei der eine invasive Behandlung erst dann erfolgt, wenn der Tumor sein Ausbreitungsverhalten ändert. Zudem muss für die Bewertung vorab definiert werden, welche Zielgrößen („Endpunkte“) denn überhaupt betrachtet werden sollen. Infrage kommen hier vorrangig sogenannte patientenrelevante Endpunkte, also die Sterblichkeit (Mortalität), die Krankheitsschwere (Morbidität), die Lebensqualität und die Nebenwirkungen unter einer bestimmten Behandlung.

Wesentliche Voraussetzung für eine aussagefähige vergleichende Bewertung ist das Vorliegen von vergleichenden Studien. Als Goldstandard gelten hier randomisierte Studien, bei denen Patienten per Zufallszuteilung eine der untersuchten Behandlungsarten erhalten. Dies ist das beste Verfahren, um sicherzustellen, dass gemessene Effekte tatsächlich durch die Interventionen selbst und nicht durch bekannte oder unbekannte Patienteneigenschaften hervorgerufen werden. Um es kurz zu machen: Studien der beschriebenen Art konnten nicht identifiziert werden. Letztendlich gingen zwar elf Studien in die Nutzenbewertung des IQWiG ein, keine von ihnen wies jedoch eine zufällige Patientenzuteilung auf, und es wurden weitere Qualitätsmängel benannt. Zusammenfassend bewertet das IQWiG (2007), „dass es gegenüber der Operation zwar Hinweise auf einen Vorteil der Brachytherapie hinsichtlich der Beeinträchtigung der Sexualität und der Harnkontinenz gäbe. Im Vergleich zur perkutanen Strahlentherapie finden sich in diesen Studien Hinweise auf einen Vorteil der Brachytherapie bezüglich der Enddarmfunktion. Im Hinblick auf das Gesamt- und krankheitsspezifische sowie krankheitsfreie Überleben beziehungsweise krankheitsbedingte Beschwerden liegen keine Belege für eine Überlegenheit, Unterlegenheit oder Gleichwertigkeit der Brachytherapie gegenüber der Prostatektomie oder der Strahlentherapie vor.“

Und rät weiter abschließend:

„Damit reichten die möglichen Vorteile der Brachytherapie hinsichtlich Organfunktion und Lebensqualität bei Patienten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom als Nutzenbeleg allein für einen Einsatz dieses Therapieverfahrens nicht aus, da ein möglicher Schaden bezogen auf das Überleben und krankheitsbedingte Beschwerden nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann. Wir empfehlen dringend die Durchführung von aussagekräftigen klinischen Studien, um den Stellenwert der Brachytherapie im Vergleich zu den sonstigen Behandlungsoptionen zu definieren.“

Nach Abgabe des IQWiG-Berichtes 2007 stand der G-BA also vor der Erkenntnis, dass die jahrzehntelange Anwendung der LDR-Brachytherapie nicht von der Schaffung einer belastbaren Datenbasis begleitet worden war, anhand derer die Anwenderinnen und Anwender sowie Patienten sicher sein konnten, welche Vor- und Nachteile in Bezug auf Heilungs- und Überlebenswahrscheinlichkeit die Behandlung denn nun hat.

Die PREFERE-Studie

Der G-BA beschloss nun, die Methode zunächst nicht in den Leistungskatalog der GKV aufzunehmen, sondern die Beratungen auszusetzen und, wie vom IQWiG angemahnt, die benötigte Studie auf den Weg zu bringen. Der G-BA hatte damals noch keine gesetzliche Kompetenz, selbst Studien zu initiieren und durchzuführen. Deshalb wurde der GKV-Spitzenverband im Juni 2009 aufgefordert, ein Studienkonzept vorzulegen, welches geeignet sei, den Nutzen der LDR-Brachytherapie im Vergleich zu den anderen Behandlungsmethoden beim lokal begrenzten Prostatakarzinom nachzuweisen. In Zusammenarbeit mit dem IQWiG, dem Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes (MDS), einschlägigen Fachgesellschaften, Patientenorganisationen und der Deutschen Krebshilfe entstand das Konzept für eine komplexe randomisierte Studie. Über 7.000 Männer mit neu entdecktem Prostatakrebs sollten per Zufallszuteilung eine von vier Behandlungsarten bekommen: die operative Entfernung der Prostata, die externe Bestrahlung, die aktive Überwachung oder eben die LDR-Brachytherapie. Es ist wohl eher selten, dass für eine Erkrankung so viele, dazu derart unterschiedliche Therapiealternativen zur Auswahl stehen. Daher war zu erwarten, dass Männer in der Krankheitssituation die Behandlungsart kaum vollständig dem Zufall überlassen würden, anders, als wenn es beispielsweise um die Wahl zwischen zwei Medikamenten ginge. Man hatte sich deswegen zu einem „präferenzbasierten“ Studiendesign entschieden, das bedeutet, dass ein Patient vor der Behandlungsauslosung bis zu zwei der Therapiearten „abwählen“ konnte, wenn sie für ihn überhaupt nicht infrage kamen.

Die Vielzahl betroffener Männer bei gleichzeitig unbefriedigender Datenlage über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Behandlungsarten sprach für eine hohe Relevanz des Forschungsvorhabens. Daher gelang es auch, die Finanzierung des Projekts sicherzustellen: Die Deutsche Krebshilfe hatte die Kostenübernahme für die Forschungsleistungen zugesagt und außerdem die Entwicklung und Produktion evidenzbasierter Patientenaufklärungsmaterialien (Broschüren, Video) finanziert. GKV und PKV übernahmen u. a. die Kosten für die Studiendokumentation in den Prüfzentren und bei den beteiligten niedergelassenen Urologinnen und Urologen. Die Laufzeit der gesamten Studie war mit 14 Jahren geplant: Vier Jahre für die Rekrutierung der Patienten mit anschließender zehnjähriger Nachbeobachtung.

Zwar lief die Studie nach aufwändiger Öffentlichkeitsarbeit plangemäß an, letztendlich musste das ambitionierte Vorhaben nach wenigen Jahren beendet werden, weil es nicht ansatzweise gelungen war, die benötigte Anzahl von über 7.000 betroffenen Männern für die Teilnahme zu gewinnen.

Woran lag es?

Die Gründe für das Scheitern der Studie sind zwar nie systematisch evaluiert worden, diverse Hürden wurden aber genannt, die man im Vorfeld wahrscheinlich auch unterschätzt hatte und trotz aufwändiger Begleitarbeit letztlich nicht abbauen konnte. Wichtigste Voraussetzung für das Gelingen war sicher, dass infrage kommende Patienten überhaupt auf die Studie angesprochen wurden. Diese Aufgabe fiel in PREFERE den niedergelassenen Urologinnen und Urologen zu, die ja in aller Regel das Prostatakarzinom diagnostizieren. Die Studie verlangt aber, dass jede Urologin, jeder Urologe alle vier Therapieoptionen als gleichwertig darstellt, auch wenn sie oder er eigene Präferenzen hat (vgl. Albers 2016) oder der Patient um eine gezielte Empfehlung bittet. Man musste also dem Patienten gegenüber bei Diagnosestellung kommunizieren, dass die Datenlage nach wie vor Unsicherheiten aufweist und man daher nicht zuverlässig sagen könne, welche Behandlungsart die beste sei. Dies schien schwer vermittelbar angesichts der Tatsache, dass alle vier Verfahren, einschließlich der LDR-Brachytherapie, ja bereits seit Jahrzehnten zur Anwendung gekommen waren.

Hinzu kamen sicherlich auch strukturelle Gründe: Im Versorgungsalltag haben niedergelassene Ärztinnen und Ärzte meist ein Netzwerk von bestimmten Kliniken, die sie ihren Patienten für Operationen oder andere Behandlungen empfehlen. Allerdings waren nur wenige dieser Kliniken auch Prüfzentren der PREFERE-Studie, sodass von dieser Praxis hätte abgewichen werden müssen. Von denjenigen Zentren, die vergleichsweise viele Patienten in die Studie einbringen konnten, wird berichtet, dass man mit den niedergelassenen Urologinnen und Urologen in der Umgebung einen regelmäßigen Austausch gepflegt hatte, einen persönlichen Ansprechpartner benannt hatte, sodass es gelang, die Studie in den normalen Alltagsablauf zu integrieren.

Herausforderungen für die Forschung

Was für die betroffenen Männer günstig ist, erschwert zugleich die Forschung zu dieser Erkrankung: Das Prostatakarzinom schreitet (glücklicherweise) sehr langsam voran. Das bedeutet, dass man sehr große Gruppen von erkrankten Männern über sehr viele Jahre beobachten muss, um aussagefähige Daten zur Überlebenswahrscheinlichkeit unter den verschiedenen Behandlungsarten zu erhalten. Schneller hingegen erhält man verwertbare Ergebnisse zu Therapienebenwirkungen, die ja meist unmittelbar oder zumindest in einem überschaubaren Zeitraum nach den Interventionen eintreten. Die Verschiedenheit der Therapieoptionen macht es zusätzlich sehr schwierig, Männer davon zu überzeugen, die Wahl der Behandlung einem Zufallsverfahren zu überlassen. Selbst ein präferenzbasiertes Studiendesign wie in der PREFERE-Studie, in dem die Patienten Einfluss auf die möglichen Interventionen nehmen konnten, erhöhte nicht die Bereitschaft zur Teilnahme. Mehrere abgebrochene randomisierte kontrollierte Studien (randomised, controlled trials, RCT) in England (vgl. Crook, Gomez-Iturriaga, Wallace et al.), Kanada (vgl. Studienregistereintrag, NCT00499174) und den USA (vgl. Crook, Gomez-Iturriaga, Wallace et al) verdeutlichen diese Herausforderungen.

Dennoch sind randomisierte Studien auch in diesem Umfeld möglich. Immerhin liegt hochwertige Evidenz zumindest für die Behandlung durch Operation, externe Bestrahlung und aktive Überwachung vor. Hier gibt es randomisierte Studien, mithilfe derer aussagekräftige Daten zum Langzeitüberleben gewonnen werden konnten. Exemplarisch seien hier die Studien aus Skandinavien (vgl. Bill-Axelson, Holmberg, Ruutu et al.) und die PIVOT-Studie (Wilt, Brawer, Jones et al.) genannt, in der jeweils die operative Behandlung mit der abwartenden Beobachtung verglichen wurden. Sie wurden bereits in den frühen 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts begonnen und verfügen dementsprechend über sehr lange Nachbeobachtungszeiten. Allerdings dauerte der Einschluss von jeweils rund 700 Patienten auch acht bis zehn Jahre. In der randomisierten ProtecT-Studie (Hamdy et al.) (n = 1.643) wurden schließlich als primäre Therapieoptionen aktive Überwachung, radikale Prostatektomie und Strahlentherapie verglichen. Auch hier betrug die Rekrutierungszeit rund zehn Jahre.

Erneute Bewertung der Evidenzlage

Mit dem Abbruch der PREFERE-Studie entfiel für den G-BA auch die Grundlage für die Aussetzung der Beratungen. Diese wurden also wieder aufgenommen und zunächst das IQWiG mit einer erneuten Recherche beauftragt, um zu prüfen, ob sich seit der letzten Recherche im Jahr 2010 die Datenbasis zur Behandlungsmethode verändert hatte. Bereits in einem Update 2010 (vgl. IQWiG 2018) hatte man eine randomisierte Studie zum Vergleich der LDR-Brachytherapie mit der operativen Entfernung der Prostata gefunden, die allerdings nur eine kleine Fallzahl sowie weitere methodische Mängel aufwies und in ihrer Aussagekraft daher als eingeschränkt beurteilt wurde. Zusätzlich war eine Reihe nicht randomisierter Vergleichsstudien hinzugekommen. Die Update-Recherche im Jahr 2017 förderte zwei weitere verwertbare Studien sowie eine Folgepublikation zutage. Allerdings lieferten auch diese keine weiteren Daten zur Frage des Überlebens der Erkrankung durch die Therapie.

Über einen Zeitraum von insgesamt rund zwölf Jahren hat das IQWiG also mehrfach intensiv die weltweite Studienlage beleuchtet. Im Fazit der letzten Bewertung (vgl. IQWiG 2010 wird festgestellt, dass auch durch wenige neu identifizierte Studien und Dokumente die Datenlage zur LDR-Brachytherapie aus den vorangegangenen IQWiG-Berichten kaum nennenswert erweitert werden konnte. Weiterhin lag nur eine einzige abgeschlossene randomisierte Studie vor. Insgesamt sei die Datenlage nach wie vor als wenig aussagekräftig zu bewerten. Insbesondere fanden sich keine neuen Ergebnisse zur Beantwortung der Fragestellung zur Überlebenswahrscheinlichkeit, die beim Therapieziel „Heilung“ von zentraler Bedeutung ist. Daher ist der Nutzen oder Schaden der LDR-Brachytherapie im Vergleich zu allen anderen Behandlungsoptionen nach wie vor unklar. Statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Behandlungsarten zeigten sich lediglich im Bereich der Nebenwirkungen der verschiedenen Behandlungsarten.

Abschließende Beratungen im G-BA

Vor dem Hintergrund einer absehbar nicht mehr verbesserungsfähigen Evidenzlage musste der G-BA also einen Richtlinienbeschluss zur Methode über ihren Verbleib in der Krankenhausbehandlung bzw. ihre Einführung in den ambulanten Sektor fassen. Man kam schließlich überein, die Leistung einzuführen, allerdings explizit begrenzt auf die Durchführung bei Tumoren der niedrigsten Risikokategorie. Überdies sollen begleitende Maßnahmen der Sicherung der Behandlungsqualität dienen.

Eine dieser Maßnahmen ist die bestmögliche Förderung der informierten Entscheidung des Patienten. Der Prostatakrebs niedriger Risikokategorie ist durch einen sehr langsamen Verlauf mit einer vergleichsweise niedrigen Sterblichkeit charakterisiert. Daher könnten mögliche graduelle Unterschiede in der onkologischen Wirksamkeit der verschiedenen Behandlungsarten für viele Patienten weniger wichtig sein als deren Nebenwirkungsprofile. Zwar hat die operative Entfernung der Prostata die beste Datenlage zur onkologischen Wirksamkeit, allerdings geht sie im Vergleich zur LDR-Brachytherapie mit einer häufigeren Beeinträchtigung von Sexualfunktion und Kontinenz einher. Im Vergleich zur externen Bestrahlung zeigt die LDR-Brachytherapie hingegen seltener darmbezogene Störungen auf. Dies sind durchaus relevante Aspekte der Lebensqualität, deren Abwägung und Präferenzierung allein der Patient vornehmen kann. Um ihm dies zu ermöglichen, wurde das IQWiG beauftragt, eine evidenzbasierte Entscheidungshilfe zu entwickeln. Sie stellt dar, mit welcher Sicherheit Aussagen zur onkologischen Wirksamkeit (also: zum Überleben der Erkrankung) für die jeweiligen Therapiearten getroffen werden können, und erläutert die Datenlage zu den unterschiedlichen Nebenwirkungsprofilen.

Die Richtlinie zu den Qualitätssicherungsmaßnahmen sieht die Verpflichtung vor, jedem Patienten im Zuge der vorbereitenden Gespräche dieses Dokument auszuhändigen. Weitere Vorgaben beziehen sich auf die Qualifikation derjenigen, die die LDR-Brachytherapie durchführen, nämlich ausschließlich Ärztinnen und Ärzte für Urologie oder Strahlentherapie mit der erforderlichen Strahlenschutz-Fachkunde. Ferner muss sichergestellt werden, dass Patient und weiterbehandelnde Ärztin bzw. weiterbehandelnder Arzt darüber informiert sind, dass die korrekte Platzierung der Seeds einige Woche nach dem Eingriff durch eine Kontrolluntersuchung verifiziert werden muss.

Am 17. September 2020 hat der G-BA die genannten Richtlinien beschlossen und damit eines seiner längsten Beratungsverfahren beendet. Eine Zusammenfassung der Beratungshistorie zeigt die folgende Abbildung.

Verlaufsdarstellung der G-BA-Beratungen zur LDR-Brachytherapie beim Prostatakarzinom

Was bedeutet dies für die informierte Patientenentscheidung?

Aufgabe und eigener Anspruch des G-BA ist es, für die Versicherten der GKV nur solche Leistungen verfügbar zu machen, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie eine positive Nutzen-Schaden-Bilanz aufweisen. Idealerweise liegt einem Einschluss in den GKV-Leistungskatalog also eine Datenbasis zugrunde, die eine solche Einschätzung zulässt. Im Fall der LDR-Brachytherapie zeichnet sich ab, dass es diesen endgültigen Nutzenbeleg niemals geben wird. Gleichermaßen war im weiteren Beratungsverlauf auch klar, dass die Methode nicht aus der Versorgung ausgeschlossen werden würde, weil auch der Beweis für Unwirksamkeit oder Schädlichkeit nicht zu führen war. Man konnte sich letztendlich darauf verständigen, dass es erforderlich ist, dem Patienten die verbleibende Unsicherheit so ehrlich wie möglich zu kommunizieren. Dieses Vorgehen ist nicht frei vom Beigeschmack, das Dilemma der nicht zweifelsfreien Evidenz auf den Patienten abzuwälzen. Ist das zumutbar?

Die Erfahrungen aus der PREFERE-Studie haben gezeigt, dass eine ausführliche, evidenzbasierte Patientenaufklärung einen entscheidenden Beitrag zur selbstbestimmten Therapieentscheidung leisten kann: Vor Studienbeginn wurde durch ein universitäres Institut ein aufwändiges Patientenvideo nebst umfangreichen Printmaterialien erstellt. Dieses sollten Patienten mit neu diagnostiziertem Niedrig-Risiko-Prostatakarzinom erhalten, um über die vier Behandlungsoptionen und den damit verbundenen Grad an Ergebnissicherheit und Nebenwirkungsprofilen aufzuklären und, eben wegen der bestehenden Unsicherheiten, zur Studienteilnahme zu motivieren. Den Männern wurde ausreichend Zeit gegeben, das Material auch gemeinsam mit Partnerinnen oder Partnern zu sichten. Das Video fand auch tatsächlich großen Anklang bei den Betroffenen, allerdings nicht unbedingt in der beabsichtigten Weise: Die Männer berichteten, dass sie sich nach Ansehen des Films so gut informiert fühlten, dass sie sich klar für eine bestimmte Vorgehensweise entscheiden könnten. Damit kam für sie die Studienteilnahme nicht mehr in Frage. Dieser Verlauf war für die Studie natürlich bedauerlich, spricht aber dafür, dass die Männer sehr wohl mit der kommunizierten Unsicherheit umzugehen wussten und sich auf dieser Basis für eine Behandlung entscheiden konnten.

Auch vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen aus der PREFERE-Studie wurde das IQWiG vom G-BA beauftragt, eine Patienteninformation/Entscheidungshilfe zu entwickeln, die allen Betroffenen vor der Durchführung der LDR-Brachytherapie verpflichtend auszuhändigen ist. Kernbotschaft dieser Entscheidungshilfe ist die Gegenüberstellung zweier Aspekte: Einerseits die Sicherheit, mit der zu den verschiedenen Behandlungsoptionen Aussagen zur onkologischen Wirksamkeit (konkret: zum Überleben) getroffen werden können, andererseits die Darstellung der unterschiedlichen Nebenwirkungen.

Es gibt allerdings auch einen wesentlichen Unterschied zwischen den damaligen Studienbedingungen und der nun durch den Richtlinienbeschluss erzeugten Situation. Dies ist der Zeitpunkt im Behandlungsverlauf, zu dem die Patienten die Informationen ausgehändigt bekommen. In der PREFERE-Studie war vorgesehen, dass dies unmittelbar dann erfolgt, wenn die Männer erstmals mit ihrer Diagnose konfrontiert wurden. Und zwar idealerweise, bevor über eigene Präferenzen oder solche der Urologin bzw. des Urologen gesprochen werden konnte. Der Patient war zu dem Zeitpunkt also weitgehend „empfehlungsnaiv“ und ihm wurden alle vier Behandlungsoptionen dargestellt.

Ein solches Vorgehen der neutralen Aufklärung über alle alternativen Behandlungsoptionen entspricht den gesetzlichen Aufklärungspflichten des BGB in § 630e. Ob dies im Behandlungsalltag immer in adäquater Form stattfindet, ist allerdings durchaus fraglich. Die Tatsache, dass sich auf diversen Webseiten von Patientenselbsthilfeorganisationen umfangreiche Materialsammlungen finden, deuten darauf hin, dass ein Bedarf an ausführlicher und verständlicher Information besteht.

Der aktuelle Richtlinienbeschluss des G-BA mit der Verpflichtung zur Aushändigung der standardisierten Patienteninformation kann sich ausschließlich auf die LDR-Brachytherapie beziehen, denn nur diese war der beantragte Beratungsgegenstand. Das bedeutet aber eben auch, dass die betroffenen Männer die Informationen zur Evidenzsituation aller Behandlungsarten nur dann zwingend bekommen müssen, wenn bei ihnen eine LDR-Brachyherapie durchgeführt werden soll. Eine Verpflichtung dazu besteht auch nur für diejenigen, die diese Behandlung durchführen. Häufig wird das also jemand in einer Praxis oder Klinik sein, zu dem der Patient überwiesen wurde mit dem Ziel der Durchführung der Brachytherapie. Diese Rahmenbedingungen lassen es fraglich erscheinen, ob der Patient diese bereits angebahnte Behandlungsentscheidung nach Lektüre der Information noch einmal revidiert.

Fazit

In Bezug auf Dauer und Verlauf stellen die G-BA-Beratungen zur LDR-Brachytherapie ganz sicher eine Ausnahme dar und sind in dieser Form durch diverse mittlerweile erfolgte Gesetzesänderungen heutzutage gar nicht mehr möglich. Insbesondere wird aber auch deutlich, vor welchem Dilemma der G-BA steht, wenn Leistungen bereits lange in der Versorgung etabliert sind, ohne dass ihre Verbreitung durch die Schaffung einer belastbaren Datengrundlage zum Nutzen begleitet wurde. Dies kann kaum mehr nachgeholt werden. Im vorliegenden Fall müssen nun die Patienten auf eingeschränkter Evidenzgrundlage ihre Behandlungsentscheidung treffen. Der G-BA kann dies nur bestmöglich unterstützen, indem verpflichtend auch über die Aussagesicherheit zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen der einzelnen Behandlungsoptionen aufgeklärt wird.

Eine solch missliche Lage kann auch zukünftig nur dadurch abgewendet werden, dass neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden hinreichend untersucht werden, bevor sie ihren Eingang in die Regelversorgung finden.

Literatur

Albers P. PREFERE-STUDIE (2) - Was ist für die Zukunft abzuleiten? Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 50 | 16. Dezember 2016, A2314-16

Bill-Axelson A, Holmberg L, Ruutu M, et al.; SPCG-4 Investigators. Radical prostatectomy versus watchful waiting in early prostate cancer. N Engl J Med 2011; 364: 1708–17.

Crook JM, Gomez-Iturriaga A, Wallace K, Ma C, Fung S, Alibhai S et al. Comparison of health-related quality of life 5 years after SPIRIT: surgical prostatectomy versus interstitial radiation intervention trial. J Clin Oncol 2011; 29(4): 362-368.

Hamdy, F.C., et al., 10-Year Outcomes after Monitoring, Surgery, or Radiotherapy for Localized Prostate Cancer. N Engl J Med, 2016. 375(15): p. 1415-1424.

IQWiG (2007) Abschlussbericht N04-02, https://www.iqwig.de/download/N04-02_Abschlussbericht_Brachytherapie.pdf

IQWiG (2010) Rapid Report N10-01, https://www.iqwig.de/download/N10-01_Rapid_Report_Brachytherapie_beim_Prostatakarzinom.pdf

IQWiG (2018) Rapid Report N17-04, https://www.iqwig.de/download/N17-04_Brachytherapie-beim-Prostatakarzinom_Rapid-Report_V1-0.pdf

Studienregistereintrag, NCT00499174

Wilt TJ, Brawer MK, Jones KM, et al.; Prostate Cancer Intervention versus Observation Trial (PIVOT) Study Group. Radical prostatectomy versus observation for localized prostate cancer. N Engl J Med 2012; 367: 203–13.

Über die Autorin

Dr. Antje Gottberg

Dr. Antje Gottberg, eine der Autorinnen des Beitrags

Dr. Antje Gottberg ist Fachreferentin in der Abteilung Medizin beim GKV-Spitzenverband.

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