Bei gegebenen Angebotsstrukturen wird das Angebot in einer Leistungsgruppe wichtiger, je höher die Bevölkerungsdichte, die DRG-Fallzahl und die Fallschwere werden und je wohnortnäher eine Leistungsgruppe vorgehalten werden muss. Umgekehrt wird bei gegebener Wohnbevölkerung, DRG-Fallzahl, Fallschwere und Erreichbarkeitsgrenze die Vorhaltung einer Leistungsgruppe dann wichtiger, wenn nur wenige Krankenhäuser diese Leistungsgruppe anbieten. Zur Operationalisierung der Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung in ländlichen Gebieten berücksichtigt das Modell die Singularität der Angebote in den Leistungsgruppen über die Summe der von einer Schließung betroffenen Bevölkerung zusätzlich aufzubringenden Fahrminuten, um das nächstgelegene Krankenhaus zu erreichen.
Mit diesem Modell wurde der Insolvenzfall der St. Lukas Klinik in Solingen im Jahr 2023 untersucht. Mit 300 Betten und 7.252 stationären Fällen (CMI 0,99) im Jahr 2022 zählte sie zu den kleineren Grundversorgern. Sie stand mit drei weiteren Krankenhäusern in Trägerschaft der katholischen Kplus Gruppe, die im Januar 2024 wegen Insolvenz aufgelöst wurde. Eines der Krankenhäuser wurde zu einem Teil der GFO-Klinikgruppe in Hilden, die übrigen wurden geschlossen.
St. Lukas Klinik ist nicht bedarfsnotwendig
Der GKV-Kliniksimulator zeigt, dass im Falle einer Schließung kein Bewohner der Region länger als 30 Minuten mit dem Auto zum nächsten Krankenhaus der Grundversorgung benötigt. Zudem ist die St. Lukas Klinik nicht unter den 1.247 Krankenhäusern, die aus Versichertenperspektive ausreichen, um zukünftig die bundesweite Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Dies hatte eine Analyse des GKV-Spitzenverbandes zu bedarfsnotwendigen Krankenhaustandorten im Jahr 2023 ergeben (vgl. Bibliomedmanager.de: Aus Patientensicht reichen 1247 Kliniken).
Viele Leistungen sind verzichtbar
Ist das Krankenhaus also in Gänze verzichtbar? Ein differenzierteres Bild ergibt der Blick auf die Fallzahlen, wenn man sie den NRW-Leistungsgruppen zuordnet. Dabei wurde vorausgesetzt, dass in jeder Leistungsgruppe bestimmte Mindestfallzahlen erbracht werden, um Zufallsgruppierungen oder Gelegenheitsversorgung bei der Zuordnung der Leistungsgruppen auszuschließen. Auffällig ist, dass die St. Lukas Klinik hier nicht einmal die beiden allgemeinen Leistungsgruppen eines Grundversorgerkrankenhauses (Allgemeine Innere Medizin und Allgemeine Chirurgie) erhalten würde -die Fallzahlen sind einfach zu gering. Betrachtet man diese beiden allgemeinen Grundversorgerleistungsgruppen im Fall der St. Lukas Klinik dennoch, zeigen sie wenig Bedarfsnotwendigkeit. Die Erreichbarkeitsanalysen kommen für sie zu denselben Ergebnissen wie der GKV-Kliniksimulator: Die Erreichbarkeit der Grundversorgung ist durch alternative Angebote im Erreichbarkeitsradius von 30 Minuten gesichert.
Beim Blick auf die hochspezialisierten Leistungsgruppen der St. Lukas Klinik zeigt sich ein ähnliches Bild - eine Versorgungsrelevanz in diesen Leistungsgruppen ist kaum erkennbar. Angesichts der hohen Komplexität der Leistungen erscheint eine Spezialisierung der Eingriffe in diesen Leistungsgruppen an anderen Standorten unter qualitativen Aspekten im Interesse der Patientinnen und Patienten sogar sinnvoll; insbesondere, wenn es sich um planbare Leistungen handelt. Mehr als deutlich wird dies auch beim Blick auf den Rang der Versorger in der Leistungsgruppe nach Fallzahlen in NRW. Beim Bauchaortenaneurysma belegte die St. Lukas Klinik Rang 71 von 83, bei den Pankreaseingriffen Rang 50 von 75 und bei den Tiefen Rektumeingriffen Rang 131 von 156 Krankenhäusern in der jeweiligen Leistungsgruppe.
Also alles verzichtbar und eine Insolvenz sogar im Patienteninteresse? Beim Blick auf die Leistungsgruppen Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (MKG) und die Stroke Unit kommen Zweifel. Das Modell zeigt hier eine vergleichsweise hohe Bedarfsnotwendigkeit der St. Lukas Klinik. Diese beiden, selbst im angebotsstarken NRW-Kontext (Fallzahlränge in NRW: MKG 14 von 16; Stroke Unit 17 von 66) versorgungsrelevanten Angebote in den Leistungsgruppen wurden allerdings erhalten: Die Stroke Unit wurde komplett in das nahegelegene Städtische Klinikum Solingen transferiert und die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie wurde Teil der GFO-Klinikgruppe in Hilden. Die versorgungsrelevanten Leistungsgruppen werden also ganz im Sinne der Versicherten an anderen Standorten weiterbetrieben. Ob dies in erster Linie bewusste, planerische Entscheidungen zur „Rettung“ waren oder ob lediglich die rentablen „Sahnestücke“ der Klinik im Marktgeschehen übernommen wurden, sei dahingestellt.
Auswirkungsanalysen sind kein Hexenwerk
Wir haben gezeigt, dass von der Bundesebene entlang des populationsbezogenen Modells zur Planung und Folgenabschätzung eine Auswirkungsanalyse für die Krankenhausplanung oder Lenkung von Marktprozessen möglich ist. Planungsentscheidungenkönnen so faktenbasiert unterstützt werden, ohne sich dem Vorwurfeiner rein algorithmischen Planung aussetzen zu müssen. Am Beispiel der Insolvenz und Schließung der St. Lukas Klinik zeigt sich, dass die Grundversorgung weiterhin wohnortnah gesichert ist, komplexe Leistungen im Sinne der Qualität konzentriert wurden und versorgungsrelevante Leistungsgruppen an anderen Krankenhausstandorten weiterbetrieben werden. Schlussendlich resultiert daraus für die Versicherten sogar eine verbesserte Versorgungslage. Eine Insolvenz mit Schließung verliert bei genauer Betrachtung selbst auf der Ebene eines kleinen Grundversorgungskrankenhauses seinen Schrecken.